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"Robert?"

"Hmm?"

"Wann soll ich wieder fahren? Es ist gleich immerhin schon nach 12 Uhr. Und Morgen müssen wir ja auch wieder ziemlich früh los."

Sie saßen noch immer auf dem Sofa und genossen es. Und eigentlich wollten sie beide nicht, dass Christian wieder ging. Es war auch gerade einfach zu schön. Und Robert würde in dem Moment auch jedes mögliche Risiko eingehen, um einfach so weiter mit Christian machen zu können. Dementsprechend zweifelte er nicht lange an seinem Gedanken, bevor er ihn aussprach.

"Bleib einfach hier, in meinem Bett ist noch etwas Platz. Und Morgen früh fährst du einfach früh genug, dann haben wir beide noch genug Zeit und es wird hoffentlich nicht allzu auffällig."

Christian stimmte natürlich zu. Ihm war in dem Moment egal, was am nächsten Morgen sein würde. Er wollte einfach bei Robert sein. Auch wenn er genau wusste, dass er am nächsten Morgen wieder professionell sein musste und so unauffällig verschwinden musste, wie er an diesem Abend gekommen war. Aber das würde schon klappen. Er vertraute einfach auf seine Fähigkeiten. Gleichzeitig war Christian auch wieder etwas nervös. Denn es war ja beileibe nichts Alltägliches, dass er so bei Robert war. Dass sie nebeneinander einschliefen und auch wieder aufwachten.

Robert beobachtete Christian etwas, als sie nebeneinander in seinem Bett lagen. Hier hatte Robert nicht so ein sonderlich schlechtes Gewissen, da Andrea sowieso sehr selten hier übernachtet hatte. Auch wenn Robert ja wirklich schon seit einiger Zeit in dieser Wohnung lebte. Zumindest zeitweise. Aber jetzt gerade war dies von Vorteil. Denn so plagte ihn nicht das schlechte Gewissen, wenn er Christian auf der anderen Betthälfte liegen sah. Und er konnte sich wirklich mit dem Gedanken anfreunden, dass dies nicht nur einmalig war. Bevor Robert einschlief, zog Christian ihn nochmal in einen innigen Kuss. So konnte man einen Abend gelungen beenden. Und für beide war es ein gelungener Abend.

Mitten in der Nacht wachte Christian auf. Er hatte wirre Dinge geträumt und immer ging es um ihn und Robert. Mal waren es negative Dinge, dann wieder positive. Insgesamt war es auf jeden Fall sehr verwirrend. Deshalb war Christian beruhigt, als er Robert so friedlich neben ihm liegen sah. Er lag ihm zugewandt und hatte seinen Arm ausgestreckt, sodass er mehr oder weniger auf seiner Bettseite lag. Doch an einschlafen war nicht mehr zu denken. Als er jedoch auf sein Handy schaute, merkte er, dass es noch viel zu früh war. Normalerweise würde er aufstehen, um sich etwas abzulenken. Das half meistens. Aber er hatte etwas Angst, dass er nachher noch Robert wach machte. Das war das Letzte, was er wollte.

Trotzdem stand Christian irgendwann leise auf. Er hoffte einfach mal, dass er leise genug war. Es fühlte sich etwas komisch an, sich so alleine in Roberts Wohnung umher zu bewegen. Aber er hoffte, dass Robert damit kein Problem haben würde.

Er besorgte sich etwas Wasser und setzte sich dann in der Küche an den Tisch. Wieder fiel sein Blick auf die schwach erleuchteten Bilder, die an der Wand hingen. All die Bilder, die Geschichten aus Roberts Leben erzählten. Und wieder fragte sich Christian, wie er dort rein passte. Und was er eigentlich für eine Rolle in Roberts Leben spielte. Und in der Zukunft spielen wird. Zumindest eine andere, als noch vor kurzer Zeit. Wie sie dann aussehen wird, das konnte wahrscheinlich noch niemand sagen.

Aber gleichzeitig spürte auch Christian Gewissensbisse, als sein Blick auf die Bilder von Roberts Frau und seinen Kindern fiel. Er würde Roberts Leben ganz schön verändern. Er hatte es genau genommen schon getan. Und natürlich fühlte es sich nicht gut an, wenn er darüber nachdachte, wie schwierig es für Roberts Familie werden würde. Auch dank ihm. Aber war es Egoismus, wenn er sich trotzdem so unfassbar gut mit Robert fühlte? Er nahm es einfach so hin. Und vielleicht würden an der Wand mit den Bildern bald auch Bilder in Roberts neuer Rolle als Regierungsmitglied hängen, und vielleicht würde er dann auch darauf zu sehen zu sein. Es war zumindest ein schöner Gedanke.

Etwas beruhigt ging Christian dann wieder leise in das Schlafzimmer. Als er sich hinlegte, merkte er, dass auch Robert nicht mehr am Schlafen war.

"Christian? Ist alles gut?", murmelte er verschlafen. Wahrscheinlich war er noch im Halbschlaf.

"Ja, alles gut. Ich musste nur kurz etwas Trinken. Schlaf ruhig weiter."

"Sicher?" Mit einem benebelten Blick schaute er zu Christian. Und dieser stellte fest, dass Roberts Augen im Dunklen noch stärker strahlten, als sie es eh schon taten. Das strahlende Blau seiner Augen hob sich deutlich von dem Rest des Raumes ab. Und sie fesselten Christian. Aber gleichzeitig nickte er nur kurz und schloss auch dann seine Augen, damit Robert sich nicht weiter um ihn kümmerte. Immerhin wollte er ihn nicht vom Schlafen abhalten. Auch wenn es ihm schwer fiel, seine Augen von denen seines Gegenübers abzuwenden. Als er dann wieder die länger werdenden Atemzüge hörte, öffnete er wieder seine Augen und drehte sich so, dass er Robert sehen konnte.

Roberts Haare hingen ihm ins Gesicht und Christian hatte das Verlangen, sie wieder dort zu platzieren, wo sie normalerweise lagen. Wobei, Roberts Haare waren ja sowieso immer etwas durcheinander. Musste das eigentlich so sein, wenn man bei den Grünen war? Musste da zwangsläufig alles durcheinander sein? Verwirrt, wie Christian auf diesen Gedanken kam, hörte er auf, auf Roberts Haare zu starren. Irgendwas war wirklich nicht mit ihm selber in Ordnung, stellte Christian fest. Er hatte manchmal wirklich komische Gedanken. Er sollte lieber an schöne Dinge denken, wie den heiligen freien Markt oder die Zeit mit Robert. Und sich nicht selbst verwirren.

Aber wie konnte er durch die Situation mit Robert nicht verwirrt sein? Ja, er wusste dass Robert die ganze Sache, was auch immer es jetzt war, auch wollte. Und er wusste, dass Robert sich wohl von seiner Frau trennen würde. Und er wusste auch, wie viel er selber riskieren würde. Und aus genau diesem Grund wollte er wissen, was Robert riskieren würde. Für sie beide. Für eine gemeinsame Zukunft. Was waren seine roten Linien?

Auch wenn sie ja längst besprochen haben, was sie momentan für eine Lösung hätten. Nämlich, dass Christian sich eine abgelegene Wohnung sucht, und sie sich dann dort treffen könnten. Aber wenn irgendwas heraus kommen würde. Wenn sie gesehen würden. Wenn sich die Gerüchte über sie verstärken. Wie weit würde Robert dann gehen? Wo würde er eine Grenze ziehen? Und wie wahrscheinlich war es denn, dass so etwas passieren würde? Es war zumindest nicht ausgeschlossen. Definitiv nicht.

Immerhin hatte auch Marco ziemlich schnell etwas mitbekommen. Wer konnte garantieren, dass dies nicht auch bei anderen Menschen der Fall war? Bei Menschen, die weniger besonnen reagierten, als Marco es tat. Apropos Marco. Christian hatte tatsächlich auch wegen ihm ein etwas schlechtes Gewissen. Immerhin hatte er ihn und Volker heute für einen Abend mit Robert versetzt. Und ihn dabei ziemlich angelogen. Christian würde es wundern, wenn er es ihm wirklich abgenommen hatte. Aber er konnte es ja zumindest hoffen, auch wenn ihm bewusst war, dass auch Marco eins und eins zusammen zählen konnte. Und da er Christian so gut kannte, war dies ja noch einfacher. Da war es für Marco eigentlich so einfach, wie eins und eins mit einem Taschenrechner zusammen zu zählen.

Wahrscheinlich sollte er nochmal mit Marco reden. Aber er konnte es ihm nicht erzählen. Er konnte und wollte nicht. Noch war dieses Glück, was er gerade mit Robert erlebte, einfach zu zerbrechlich, als dass er Marco davon erzählen könnte. Außerdem wollte er dieses kleine Geheimnis für sich behalten. Und Robert würde es  wahrscheinlich ähnlich sehen. Warum sollte er auch Marco Buschmann vertrauen? Immerhin hatten die beiden bisher nicht wirklich viel miteinander zu tun gehabt. Und schon gar nicht auf einer vertraulichen Ebene. Christian würde ja auch nicht wollen, dass Robert einer Annalena Baerbock alles über sie beide erzählte. Wobei er da ja selber mit Marco eigentlich schon zu weit gegangen war. Zu viel erzählt hatte. Aber gut, das war ja auch aus der Not heraus.

Und besondere Situationen erfordern nunmal besondere Entscheidungen. Dies war nunmal solch eine.

Der ganze Lärm um uns Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt