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POV Erling

So verbrachten wir zunächst wie schon so häufig den Nachmittag vor der Playstation und spielten gegeneinander FIFA. Nach einiger Zeit stand es mal wieder unentschieden und wir beschlossen, dass es für heute reichte. „Nicht das es wieder so ausartet wie beim letzten Mal und wir fast Marco oder Gio zur Streitschlichtung anrufen mussten", erinnerte Jude an das letzte Mal bei dem wir bis kurz vor Mitternacht gegeneinander gespielt hatten, weil wir einfach beider furchtbare Verlierer waren und uns immer wieder gegenseitig herausgefordert hatten. „Ja, das wäre nicht so gut. Ich bin auch dafür, dass wir es heute einfach bei einem Unentschieden belassen, bevor wir morgen wieder beiden völlig übermüdet und schlecht gelaunt beim Training aufkreuzen. Aber wir können ja noch was ohne Wettkampf machen", schlug ich vor. „Klar, wie wäre es mit einer Runde Netflix? Da wäre nur noch die Frage, was wir da gucken wollen?" „Wie wäre es mit ‚Tote Mädchen lügen nicht'? Ist zwar nicht mehr ganz aktuell und vielleicht auch eher was für Mädchen, aber ich habe irgendwie ständig etwas davon gehört, dass ich mir das jetzt endlich mal ansehen will", warf ich in den Raum. So ganz ohne Hintergedanken hatte ich die Serie nicht vorgeschlagen, denn sie war zwar vermutlich jetzt nicht gerade das, was man eine „Männer-Serie" nennen würde, aber sie hatte zumindest einen LGBTQ-Anteil, über den ich hoffte irgendwie das Gesprächsthema in diese Richtung lenken zu können und vielleicht auch an Judes Reaktion schon zu erkennen, was er wohl davon hält. „Klingt gut. Und wenn es uns doch nicht gefällt können wir ja doch was anders gucken." 

Und tatsächlich hielt sich die Begeisterung relativ schnell in Grenzen und nach der halben ersten Folgen beschlossen wir, dass das wohl doch nicht so das Wahre ist und wir machten noch ein Folge irgendeiner Serie an, die wir das letzte Mal zusammen gesehen hatten und irgendwie besser fanden. Aber ich konnte mich nicht wirklich auf die Folge konzentrieren, denn meine Gedanken waren heute nur bei dem einem Thema: sollte ich mich bei Jude outen? Oder zumindest mal über das Thema sprechen. Ich wusste absolut nicht warum das Ganze jetzt auf einmal eine solche Präsenz in meinem Kopf hatte. Vielleicht weil ich mir vorgenommen hatte über die Serien mit ihm darüber zu sprechen und das nicht funktioniert hat. Oder ich hoffnungslos verknallt in ihn war. Was auch immer es war, es musste irgendwie aufhören oder sollte zumindest nicht mehr so extrem präsent sein, denn sonst konnte ich morgen beim Training auch direkt zu Hause bleiben. Denn egal um was es ging, wenn ein anderes Thema neben Fußball während des Trainings zu präsent in meinem Kopf war, war meine Leistung einfach nur schlecht. Und dieses Thema hatte Potenzial morgen ein solches darzustellen. Das letzte Mal als mich das Thema nur im Ansatz während des Trainings beschäftigt hatte, hatte ich keinen Ball ins Tor gebracht und mir fast ein Band gerissen. Das Thema war schon immer mal wieder in meinem Kopf, aber normalerweise nur wenn ich mehr Zeit hatte darüber in Ruhe nachzudenken und selbst dann war es nicht so heftig und irgendwie beängstigend und erdrückend. Normalerweise verschwanden die Gedanken auch immer wieder relativ schnell, spätestens wenn ich an etwas mit Fußball dachte. Aber das funktionierte heute offenbar absolut nicht. Nach ein paar Minuten des Gedankenkarussels, es fühlte sich innerlich an wie Stunden, hatte ich mich ich mich zu einer Entscheidung durchgerungen. Ich rede mit Jude darüber. Ich schnappte mir also die Fernbedienung und drückte auf Pause, da mich die Actionszene im Hintergrund unfassbar ablenkte und ich so die Gefahr sah, dass ich es mir doch noch anders überlegen und es dann doch nicht ansprechen würde.

„Jude? Kann ich dich mal was fragen? Oder viel mehr dir was sagen?" Jude sah mich etwas verwirrt an. Vermutlich eine Mischung aus meiner Frage und auch der Tatsache, dass ich ohne Vorwarnung die Serie auf dem Fernseher pausiert hatte. „Klar, immer." Er sah mich etwas besorgt an. „Gut. Wie stehst du zum Thema Homo- und Bisexualität?", fing ich an. „Normal, also wie soll ich dazu stehen? Ich denke jeder sollte das machen was ihn oder sie glücklich macht. Und wenn es eine gleichgeschlechtliche Beziehung ist, bin ich der Letzte der damit ein Problem hat. Wieso fragst du?" Ich zögerte nochmals kurz und war kurz davor mir irgendeine Ausrede einfallen zu lassen von wegen ein Freund hat sich bei mir geoutet und ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll oder so, aber das wolle ich ja gerade nicht mehr. 

„Ich bin Bisexuell." Darauf kam erstmal nur eine Schweigen und mit jeder Sekunde, die Jude nichts sagte stieg meine Angst ein kleines bisschen, dass er doch ein Problem damit hatte. Was total schwachsinnig war, da er ja gerade noch gesagt hatte, dass er das nicht hat. „Schön, dass du mir das du mir vertraust und mir das anvertraust. Weiß es sonst noch jemand?" „Nein und das soll auch erstmal weiter so bleiben" „Krass, das heißt ich bin der erste dem du davon jemals erzählst? Wie kommt es dazu wenn ich Fragen darf?" „Ich weiß es auch nicht so ganz genau", sagte ich, obwohl ich mir doch relativ sicher war, dass es damit zu tun hatte, dass ich Gefühle über eine Freundschaft hinaus für ihn hatte. „Bisher hatte ich nie das starke Bedürfnis danach es jemandem zu erzählen, aber über die letzten Wochen und auch den ganzen Stress mit meinen Wechselgerüchten, bei denen mich niemand mal so wirklich gefragt hat, was ich denn eigentlich will, ist das Bedürfnis extrem gewachsen dass jemandem zu sagen. Und da ich nicht weiß wie meine Eltern und geschweige denn mein Berater das ganze aufnehmen würde und du hier ein guter Freund für mich geworden bist, ist die Wahl auf dich gefallen. Ich hoffe das ist ok, dass ich dich damit reinziehe, denn das ist auch etwas, das erstmal nicht die Runde machen soll." Jude schwieg kurz und antwortete dann: „Danke wirklich für dein Vertrauen, ich fühle mich wirklich fast geehrt, dass ich der erste und einzige bin, dem du davon erzählt hast und du kannst mir sicher sein, ich werde es niemandem erzählen, wenn du das nicht willst." 

Mir fiel ein riesen Stein vom Herzen. Ich dachte bisher eigentlich, dass es mich nicht wirklich belasten würde, dass niemand davon wusste, aber offensichtlich tat es das doch. Und jetzt war ich einfach nur extrem erleichtert, dass Jude das ganze so locker aufnahm. Das Problem, das ich in ihm verknallt war und er nichts davon wusste, hatte ich zwar immer noch, aber ich konnte mit ihm grundsätzlich über das Thema reden. Und das tat wirklich gut. Wir unterhielten uns also noch eine ganze Zeit und ich erzählte ihm wie ich zu der Erkenntnis gelangt war, dass ich auch auf Männer stand und auch noch genauer warum ich es eigentlich bisher niemandem erzählt hatte. Er hörte zu und stellte zwischendurch Fragen, aber absolut nichts was irgendwie unangenehmen oder so gewesen wäre. Irgendwann stellten wir fest, dass es schon echt spät geworden war. Einige Zeit nach meinem Outing waren wir auch wieder auf andere Themen gekommen und hatten uns darüber offensichtlich noch super lange unterhalten.

„Willst du vielleicht bei mir im Gästezimmer schlafen? Dann musst du nicht noch nach Hause kommen und ich kann dich ja morgen auch zum Training mitnehmen", fragte ich Jude, der neben mir auf dem Sofa saß und auch schon relativ müde aussah. „Ich habe auch noch eine Extra-Zahnbürste und Klamotten dürften sich sicherlich auch noch finden für diese Nacht." „Sehr gerne. Ich schreibe kurz noch meiner Mutter, dass sie sich keine Sorgen machen muss." 

Bevor ich in mein Schlafzimmer ging und Jude ins Gästezimmer ging blieb er kurz stehen „Danke, Erling für dein Vertrauen. Wirklich. Echt mutig von dir und ich glaube da muss ich dir auch noch was sagen. Ich auch." 

Es dauerte einen Moment bis es bei mir Klick machte, dir fortgeschrittene Uhrzeit tat wohl ihr Übriges dazu, dass ich nicht gleich verstand, was er mir damit sagen wollte. Sollte das heißen, dass er auch Bi ist? „Willst du mir damit sagen, dass du auch Bi bist?", fragte ich ihn immer noch etwas verwirrt, aber ich hatte Angst, dass er wenn ich noch länger mit einer Antwort warten würde entweder ins Gästezimmer verschwand oder es als negative Reaktion auffassen würde und die sollte es definitiv nicht sein. „Ja, das will ich damit sagen und nachdem ich gesehen habe wie erleichtert du nach dem Gespräch warst wollte ich das auch. Und deine Körpersprache eben hatte absolut Recht, es fühlt sich erleichternd an", sprudelte es aus ihm raus. „Und ich würde auch eigentlich noch so viel mehr erzählen und mit dir darüber reden, natürlich nur, wenn das für dich ok ist, aber ich bin einfach unfassbar müde und will morgen beim Training nicht völlig übermüdet sein", ergänzte er für diese Uhrzeit relativ aufgeregt. „Alles gut. Beruhig dich erstmal. Natürlich kannst du mit mir darüber reden und es freut auch mich, dass du mir davon erzählst. Aber du hast Recht es ist super spät. Lass und schlafen gehen und morgen beim Frühstück darüber reden, wenn du möchtest." „Danke Erling, das bedeutet mir viel. Schlaf gut", antwortete er nur noch und verschwand dann im Schlafzimmer „Gute Nacht Jude."

Als ich im Bett lag, war ich zwar noch etwas aufgewühlt, aber es fühlte sich einfach alles so leicht an und auch mein Gedankenkarussel war trotz der neuen Info ziemlich ruhig, was mich überraschte. Doch so dauerte es dann nicht mehr lange bis ich dann tatsächlich eingeschlafen war.

A/N:

Hey :)

das war also Erlings und Judes Outing. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ich würde mich sehr über Feedback zum Kapitel und auch allgemein zur Story freuen :)

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