Irgendwann

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POV Erling

Ich ging an die Tür und empfing einen Julian der irgendwie ähnlich nervös wie ich wirkte, obwohl er dazu ja eigentlich keinen Grund haben müsste, schließlich hatte ich ihn eingeladen, um ihm auf seine Frage zu antworten.

„Hey, schön dass du da bist, willst du was trinken?", fragte ich erstmal, damit es möglichst nicht zu einer unangenehmen Stille kam, während wir ins Wohnzimmer gingen. „Danke für die Einladung. Einfach nur ein Wasser wäre super." Nachdem ich uns beide mit etwas zu trinken versorgt hatte und wir auf dem Sofa etwas Smalltalk über das heutige Training gehalten hatten, wurde ich langsam nervös und entschloss mich dann einfach das Thema zu wechseln. „Also, ja ich bin verknallt, aber das war nicht der Grund für meine gute Laune heute", fing ich an. Das waren eigentlich nicht die Worte, die ich mir eben zurecht gelegt hatte, aber egal, spontan war ja meistens besser und kam besser an. „Das was ich dir jetzt gleich sage muss definitiv unter uns bleiben und bevor ich es dir sage, muss ich dir noch eine Frage stellen", führte ich meinen kurzen Monolog fort. Julian sah mich etwas geschockt an nickte aber „Klar, du weißt ich kann Dinge für mich behalten. Also was willst du von mir wissen?" Ich meinte eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme rauszuhören, schob es aber auf die etwas ungewohnte Situation hier. Ich überlegte, wie ich meine Frage schonen verpacken konnte, entschied mich dann aber doch es einfach gerade raus zu sagen, denn die Antwort war mir für den weiteren Verlauf des Gesprächs schon wichtig. „Also, wie stehst du zum Thema Bisexualität?" Mir war klar, dass Julian unter Umständen auf sich selbst beziehen würde und sein Ausdruck bestätigte meine Befürchtung, aber wie gesagt, vor meinem Outing musste ich für mich einfach sicher gehen, dass ich mich nicht vollkommen in ihm getäuscht hatte und er im schlimmsten Fall homophob oder so ist. „Gut", antwortete er etwas unsicher, „Warum fragst du und vor allem was hat das mit deiner Laune zu tun?" Julian war manchmal echt nicht der schnellste und manche Punkte brauchten einfach etwas länger bei ihm. Aber ich wollte ihn auch nicht länger auf die Folter spannen, weil ich wusste, dass er es auf sich beziehen würde und ich wusste wie sich die Angst entdeckt worden zu sein anfühlte. Das ist kein schönes Gefühl. „Also, bitte vergiss nicht, dass ich keine Info für die Öffentlichkeit und das soll auch erst mal so bleiben. Um es kurz zu machen ich bin bisexuell und habe mich gestern zum ersten Mal geoutet und festgestellt, welche Last mir da von den Schultern fällt und deswegen bin ich heute einfach super gut drauf." Er sah mich einfach nur leicht schockiert an, bevor nach ein paar Augenblicken einfach erstmal nur ein einzelnes „Krass" als Reaktion folgte. 

Danach kam erstmal nichts, aber ich sah es in seinen Kopf regelrecht arbeiten und ließ ihm daher den Moment. „Äh...Also...damit habe ich null gerechnet...ich meine cool, dass du mir davon erzählst und dich vor mir outest." „Du hast kein Problem damit?", fragte ich immer noch unsicher. Er hatte zu diesem Gedanken absolut keinen Ansatz gegeben, aber irgendwie schien die Angst vor Ablehnung doch irgendwo tief in mir drin zu stecken und bei meinem Outing immer wieder hervor zu kommen. „Nein, warum sollte ich?" Danach war er einen Moment still und ich sah wie er mit sich rang und es wirkte so als ob er etwas sagen wollte, aber es nicht konnte. Nach ein paar Momenten innerlich fühlte es sich nach Stunden an kam von Julian nur ein leises „Ich glaube, dann sollte ich dir auch was erzählen." Ich schaute ihn etwas überrascht an und hoffte aber, dass es das war, was ich seit einiger Zeit vermutete. 

„Ich bin schwul. Und seit fast 4 Jahren in einer Beziehung mit einem Mann. Und auch das ist eine Info, die die Öffentlichkeit nichts angeht, aber ich denke, das kannst du dir denken", ratterte er schnell die Infos runter. Nun war es an mir erstmal kurz ein wenig sprachlos zu sein. Ja, ich hatte es geahnt, aber es von der Person direkt zu hören und dann auch noch, dass er seit so langer Zeit in einer Beziehung war, war dann doch überraschend. „Danke, dass du es mir erzählst und mir offenbar vertraust. Weiß es sonst noch jemand aus dem Team?" „Nein, hier weiß es keiner. Zumindest habe ich beziehungsweise wir es niemandem hier erzählt. Ich glaube Marco ahnt es aber. Aus Leverkusen wissen es ein, zwei Jungs", antwortete Julian, „du bist also der erste hier, aber ich hatte schon immer mal wieder darüber nachgedacht es Marco zu erzählen, aber irgendwie hat sich nie so eine wirkliche Gelegenheit ergaben. Du sagst, du hast dich gestern das erste Mal überhaupt geoutet, war es wer aus dem Team?" Da ich offensichtlich etwas erschrocken guckte schob Julian noch schnell hinterher „Sorry, war vielleicht etwas direkt, du musst es mir natürlich nicht sagen, es hat mich nur interessiert, da die Person ja offensichtlich sehr gut darauf reagiert haben muss, denn sonst hättest du ja sicher keine gute Laune deswegen." Ich überlegte kurz, ob ich es Julian erzählen sollte, aber ich dachte, vielleicht fällt es ihm dann auch leichter anderen aus der Mannschaft davon zu erzählen. 

Kaum vorzustellen, wie schwer es für ihn sein musst in den letzten 2,5 Jahren niemandem von seiner Beziehung erzählen zu können und sich so zu verhalten, dass es niemand merkt. Bei mir hatte es nur ein halbes Training gedauert und Julian hatte gemerkt, dass etwas anders war und auch Marco hatte vermutlich etwas mitbekommen. „Ich habe es Jude erzählt. Irgendwie kamen wir auf das Thema und ich fand es dann eine gute Gelegenheit es ihm zu sagen. Und wie du schon vermutet hast, hat er super offen und positiv reagiert. Das Thema war in den letzten Wochen sehr präsent bei mir und irgendwie musste ich jetzt jemandem davon erzählen, da sonst auch meine sportlichen Leistungen früher oder später darunter gelitten hätten. Ich dachte erst, dass ich das kann, also die Sache mit mir selbst auszumachen, aber irgendwie wohl doch nicht", erzählte ich doch etwas ausführlicher als zunächst geplant und ließ natürlich auch den Part von Judes Outing aus, denn das war nicht meine Sache es anderen Leute zu erzählen. 

„Aber du hast gesagt, dass es hier beim BVB niemand weiß. Wie hast du das gemacht? Ist das nicht unfassbar schwer und vor allem wie hast du das geschafft?" „Ja, es ist natürlich nicht ganz einfach und ich kann es gar nicht so genau sagen, wie wir es geschafft haben, dass kaum jemand von uns weiß. Am Anfang der Beziehung sind wir quasi davon ausgegangen, dass sich jemand mal verquatscht oder es sonst wie bei Mitspielern raus kommt. Aber bisher war das nur einmal in Leverkusen der Fall und seitdem habe ich mich irgendwie daran gewöhnt es für mich zu behalten. Auch wenn es schon den ein oder anderen Moment hatte, wo ich mich sehr zurückhalten musste, nicht jemandem zu erzählen wie stolz ich gerade auf ihn bin und wie glücklich. Wie jetzt, ich würde dir super gerne noch mehr erzählen, einfach weil es gut tut darüber zu reden, aber wir haben noch nicht wirklich darüber gesprochen, wie wir mit Outings umgehen. Denn ich will ihn nicht ohne seine Erlaubnis vor dir outen auch wenn du damit vermutlich ja kein Problem hast, du es dir wahrscheinlich eh schon denken kannst und es auch nicht weiter erzählen würdest, aber das möchte ich trotzdem nicht. Ich hoffe das verstehst du", erzählte er und lächelte besonders als er von seinem Freund sprach. Das klang irgendwie schön, aber auch anstrengend. „Klar, verstehe ich, wenn du möchtest kannst du ihm gerne von mir erzählen." 

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über das Leben als ungeoutete Fußballprofis und ich bekam einen guten Einblick in das Leben und merkte auch wie verliebt er trotz vermutlicher Fernbeziehung war. Immer wenn er von seiner Beziehung und einzelnen kleinen Momenten und Augenblicken aus der Beziehung erzählte hatte er ein glückliches Strahlen in den Augen, dass ich sonst nur von ihm kannte, wenn er ein Tor gemacht hatte. Aber selbst dieses Strahlen kam nicht an das Strahlen in unserem Gespräch heran, was mich schmunzeln ließ. Auch seine schlechten Leistungen in der letzten Saison konnte er mir endlich erklären. Wir hatten schon ein paar Mal darüber gesprochen, aber bisher blockte er immer ab oder sprach davon, dass er einfach eine schlechte Phase habe. „Ich habe ihn extrem vermisst, er ist gewechselt und nachdem wir uns fast 4 Jahre fast täglich sehen konnten, sehen wir uns jetzt wesentlich seltener und das hat mich offensichtlich doch mehr mitgenommen als ich vor seinem Wechsel gedacht hätte. Und durch Corona konnten wir uns nicht einfach mal so zwischendurch besuchen und dann kam eins zum anderen. Bei Länderspielpausen war er zuerst krank und ich sah ihn wieder nicht, dann wurden meine Leistungen im Verein weiter schlechter und ich nicht mehr zu Nationalmannschaft eingeladen und dann steckte ich irgendwie in einer totalen negativ Spirale drin. Im Sommer konnten wir uns zwar auch nicht wirklich lange sehen, aber zumindest war er in Deutschland, ich habe mich so langsam daran gewöhnt und wie man sieht werden meine Leistungen auch wieder besser. Sorry für den langen Monolog, aber irgendwie musste das jetzt mal raus, denn so wirklich erzählt habe ich das noch keinem Außenstehenden und wie du bei deinem Outing schon gemerkt hast, tut das manchmal wirklich gut sich einfach mal alles von der Seele zu reden." „Das stimmt, das tut wirklich richtig gut. Danke für dein Vertrauen und ich erzähle natürlich niemandem davon und würde mich freuen deinen Freund bald mal kennenzulernen oder zumindest offiziell zu erfahren wer es ist", sagte ich zum Abschied und umarmte ihn. „Ich spreche mit ihm und melde mich dann. Danke auch für dein Vertrauen und dann bis morgen", verabschiedete er sich von mir.

Das war auf jeden Fall ein aufschlussreicher Nachmittag mit dem ich in dieser Form nicht gerechnet hatte. Das Gespräch kam irgendwie nicht mehr darauf, dass ich ja zu Anfang gesagt hatte, dass ich Gefühle für jemanden hatte, aber da war ich auch absolut nicht traurig drum. So konnte ich erstmal mit all den neuen Informationen über Julian klar kommen.

A/N

Hey 😊
Da haben beide wohl etwas erfahren, womit sie nicht unbedingt gerechnet haben...
Ich hoffe es hat euch gefallen und ich würde mich über Feedback freuen 😊