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POV Erling

Die nächsten Tage nach all den Outings verliefen unspektakulär. Julian und ich unterhielten uns häufiger und warfen uns von Zeit zu Zeit immer mal wieder wissende Blicke zu, wenn er etwas länger mit seinem Handy beschäftigt war, denn inzwischen konnte ich mir denken, dass er mit seinem Freund schrieb. Und wir beiden wirkten, soweit ich das auch für mich selbst beurteilen konnte irgendwie gelöst und frisch. Besonders Julians Leistungssteigerung war so deutlich, dass er regelmäßig Lob vom Trainer bekam und im nächsten Spiel direkt ein Tor und ein Assist zum Sieg beitrug und damit zum Man of the Match gewählt wurde und auch für mich lief es nach meinen diversen Verletzungen wieder gut. 

Ein paar Tage später schrieb mir Kai Havertz eine Nachricht mit dem einfachen Wort „Danke". Das war wohl seine Art zu sagen, dass er mit Julian zusammen war. Was mir Julian dann auch im nächsten Gespräch bestätigte.

Mit Jude hatte sich auch nicht wirklich etwas verändert. Wir trafen uns vielleicht etwas häufiger und sprachen jetzt nicht mehr nur darüber welche Mädchen wir gut fanden, sondern auch über Typen die wir anziehend fanden. Dass ich Gefühle für ihn hatte, hatte ich ihm aber immer noch nicht gesagt. Manchmal war es zwar irgendwie schwer, da wir zwei Personen waren, die schon ab an Körperkontakt suchten und ich bei der ein oder anderen Berührung von ihm schon etwas Herzklopfen bekam, was aber bisher zum Glück nie aufgefallen war. Ich hatte allerdings Angst damit unsere Freundschaft aufs Spiel zu setzen und so beschloss ich erstmal weiter nichts zu sagen.

Da die gemeinsamen Treffen mit Gio nach unserem Outing etwas gezwungen waren und sich einfach nicht so frei und natürlich anfühlten beschlossen Jude und ich uns auch bei Gio zu outen, um einen weiteren Ort und Person zu haben, an dem wir nicht auf jedes Wort achten mussten. Jude hatte inzwischen ebenfalls festgestellt, wie befreiend es war eine Person zu haben, mit der man drüber sprechen kann auch wenn er es ja schon seiner Mutter erzählt hatte, die gut reagiert hatte. Aber das war nun auch kein Thema über das man so gerne mit seinen Eltern sprach. So verabredeten wir uns für heute Nachmittag nach dem Training bei mir.

Nach den üblichen Späßen und dem Austausch über das heutige Training versuchte ich irgendwie sanft zum Thema zu kommen, obwohl ich eigentlich eher Team Zaunpfahl war, aber gut. „Gio", fing ich an „es gibt etwas, das Jude und ich mit die teilen wollen und ich bzw. wir hoffen darauf, dass du es gut aufnimmst und akzeptierst und auch nicht sauer bist, weil du in gewisser Weiser als letzter von uns davon erfährst. Aber wenn du weißt worum es geht, verstehst du es hoffentlich." Gio sah leicht verwirrt aus sagte aber erst einmal nichts. Ich sammelte mich kurz und Jude nickte mir zu. „Also, Jude und ich sind Bi", sagte ich dann nur kurz und schmerzlos „und wir hoffen, du hast kein Problem damit oder es ändert sich irgendetwas an unserer Freundschaft. Außerdem ist das eine Info, die bisher nur wenige haben und dabei soll es auch bleiben. Für mich bist du erst die dritte Person überhaupt die es erfährt." „Und für mich der zweite, neben meiner Familie", ergänzte Jude zu meinem kurzen Monolog. Gio sah zunächst noch überraschter aus als vor unserem Outing. „Ok...wow...ich weiß nicht was ich sagen soll. Danke für euer Vertrauen vielleicht einmal. Und keine Angst ich erzähle es niemandem, wenn ihr das nicht wollt. Damit habe ich wirklich absolut nicht gerechnet", kam nach einem kurzem Augenblick „ich glaube die Info muss ich erstmal verarbeiten, aber ich habe wirklich kein Problem damit und freue mich wie gesagt, dass ihr mir das erzählt. Wie kam es denn dazu, dass ihr es euch erzählt habt?" Mir fiel ein riesen Stein vom Herzen und auch Jude sah extrem erleichtert aus. Wir erzählten Gio ein bisschen wie es dazu kam und auch noch ausführlicher warum wir es ihm erzählen wollten. Er war wie schon seine erste Reaktion vermuten ließ super verständnisvoll und versicherte, dass sich nichts an unserer Freundschaft ändern würde und es unter uns bleiben würde. Nachdem wir darüber soweit alles besprochen hatten und Gios Fragen zunächst geklärt waren, besprachen wir auch wieder andere Themen und verbrachten den restlichen Abend vor der Playstation.

Am Abend im Bett dachte ich nochmal darüber nach was für ein Glück ich bisher mit meinen Outings hatte. Ausnahmslos alle hatten super positiv reagiert und ich fühlte mich einfach gut, dass ich jetzt darüber sprechen konnte. Ich dachte zwar, dass ich das mit mir alleine ausmachen konnte und ja das hat bis zu einem gewissen Grad auch funktioniert, aber so war es um Welten besser. Kein Versteckspiel mehr oder Halbe Wahrheiten bei Gesprächen über potenzielle Partnerinnen. Und das machte Dortmund für mich auch so wertvoll. Ich konnte mir nicht vorstellen jetzt den Club zu wechseln und wieder niemanden zu haben, mit dem ich im normalen Leben drüber sprechen könnte. Klar, Gio, Jude und Julian waren weiter da und ich könnte mit ihnen sprechen, aber eben nicht im Alltag. Und dafür wusste ich jetzt allein mit den Erfahrungen der letzten paar Tage wie gut das tat und wie wichtig es offensichtlich für meinen Kopf und meine Leistung auf dem Platz war. Ich hatte wirklich gemerkt, dass ich auch dem Platz in den letzten Tagen gefühlt Bäume ausreißen könnte und wollte. Das wollte ich jetzt wie gesagt erstmal nicht durch einen Wechsel aufgeben auch wenn ich immer noch unglücklich in Jude verknallt war. 

Ich hoffte sehr, dass ich das in den nächsten Wochen und Monaten auch meinem Berater und meinem Vater klar machen konnte ohne mich outen zu müssen. Denn ich hatte keine Ahnung wie sie reagieren würden. Der potenziell nächste Weltstar im Fußball bisexuell. Gerade in konservativeren Ländern würde das absolut nicht gut ankommen und außerdem fanden Turniere in Ländern statt in denen Homosexualität alles andere als legal waren. Und das ließ sich nicht gut verkaufen und meinen Marktwert vermutlich nicht unbedingt steigen. Welcher Verein wollte schon einen Profi der durch sein privates Liebesleben extreme Aufmerksamkeit auf sich zog. Keine Ahnung, ob das alles so eintreffen würde, aber so malte ich mir zumindest die schwarze Version meiner Zukunft aus. Und damit blieb meine Angst vor der Öffentlichkeit und wie sie reagieren würde, sollte dieser Fakt jemals an die Öffentlichkeit geraten. Ich konnte mir die Hass-Nachrichten schon vorstellen. Es war ja jetzt schon teilweise schlimm, wenn ich das Tor nicht traf oder Jude oder Mo ein absolut freundschaftliches Küsschen auf die Wange gab. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Horror-Szenarien malte ich mir im Kopf aus. Aber irgendwann schaffte ich es doch mir die positiven Erlebnisse zu meinen Outings wieder in den Vordergrund zu rücken und mit diesen positiven Gedanken im Kopf einzuschlafen.

IrgendwannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt