Kinder spielen, Erwachsene auch

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Langsam hebt sie den Kopf.
Ich muss schlucken, weil ich gleich ihr Gesicht sehen werde, dabei hab ich es doch schon so oft gesehen. Es sollte keinen Unterschied machen, aber es fühlt sich an, als wäre ich ein völlig anderer Mensch. Die Situation ist so bizarr. Vermutlich hätte ich mir von tausend Leuten erklären lassen können, wie und was und überhaupt und doch würde ich mich in meiner Haut kaum fremder fühlen.
Kurz treffen sich unsere Blicke, bevor der Meine langsam an ihrer Nasenspitze vorbei, zu ihren schmalen Lippen wandert. Ich muss schwer schlucken, als sich zum wiederholten Male die Frage in meinem Kopf breit macht, wie diese wohl schmecken. Jetzt bin ich kurz davor es herauszufinden. Gleich werde ich wissen, ob meine Fantasie von Kirschen der Realität entspricht. Gleich werde ich wissen, ob sie genauso weich und süß sind. Nur noch ein paar Zentimeter, die ich überwinden muss, nur noch diese kleine Hürde und ...
Plötzlich verzieht sie das Gesicht und ihre Wangen plustern sich schon wieder so niedlich auf. Allerdings hab ich jetzt ein ungutes Gefühl dabei, was sich auch gleich bestätigt, denn sie fängt an zu schnauben und zu kichern.
Mein Herz rutscht mir in die Kniekehle. Was soll das? Was hat sie denn jetzt?
In meinem Bauch zieht sich alles zusammen und die Temperatur in meinem Kopf steigt weiter an. Da leuchtet mir ein, das mein Kopf eventuell wie eine Tomate aussehen könnte.
Verdammt, lacht sie mich etwa aus, weil ich rot bin?
Diese blöde Kuh hat echt Nerven in so einer Situation. Mann oh mann, ich steck irgendwie in einer Zwickmühle. Das kann ich ja wohl unmöglich auf mir sitzen lassen. Aber wie sollte eine angemessene Strafe am besten aussehen? Eigentlich hatte ich geplant sie zu küssen, aber unter den Umständen, wäre eine Ohrfeige wohl angebrachter. Nur, würde ich das tun, wer weiß, was das für Folgen hätte. Ich möchte es nicht herausfinden.
Da ich nicht der Schnellste bin mit guten Plänen, starre ich sie Sekunden lang einfach nur an, während sich in mir alles windet.

*****

Ich höre ein Grummeln von ihm und mir wird bewusst, wie schrecklich es sich für ihn gerade anfühlen muss. Von jemandem ausgelacht zu werden, den man mag.
Augenblicklich bereue ich meine Reaktion, auch wenn ich gar nichts dafür kann. Reflexe steuert man ja nicht, sie steuern einen.
Sein mürrischer, angespannter Ausdruck bestätigt das noch einmal. Die Röte seines Gesichtes bleibt, was es nicht unbedingt einfacher macht, mich zusammenzureißen. Aber ich gebe mir alle Mühe, mit bewusstem, langsamen Atmen zum Beispiel. Das ist ein Trick, der nicht nur im Kampf helfen kann, die Nerven zu bewahren.
Okay, als nächstes muss ich mich wohl entschuldigen. Ich sollte ... huh?
Die Zentimeter, die zwischen unseren Köpfen waren, sind plötzlich weniger. Ich fühle mich wie ein Fisch, dem man das Wasser geklaut hat und starre sein Gesicht, das immer näher kommt, doof an. Mein Herz setzt einen Schlag aus, mein Atem stockt und meine Augenlider beginnen zu flattern.
Nein, nein, nein, nein! schreit es in meinem Kopf. Keiner meiner Muskeln will mir gehorchen. Ahhh!
„Huh?" Zitternd stehe ich da und versuche zu verstehen, wieso nicht passiert, was ich erwartet hatte, das hätte passieren sollen.
Seine warme Wange berührt die Meine. Sein ebenso warmer Atem streicht über meine Haut dahinter, bis zu meinem Nacken und sorgt dafür, dass sich sämtliche Härchen aufstellen. Etwas berührt mein Ohr und dann höre ich seine Stimme raunen. „Was ist den so lustig?"
Ein Schweißfilm bildet sich auf meiner Stirn, als seine Lippen erneut sanft über mein Ohrläppchen streifen.
Auf einmal ist die warme Haut fort und er grinst mich von oben herab an, als hätte er gerade was ganz tolles gemacht.
Ich möchte ihn prügeln, ihn zusammenschlagen und ihm erklären, dass er offensichtlich keine Ahnung hat, was er da tut.
Sein Grinsen wird noch breiter. „Na? So hattest du dir deinen ersten Kuss nicht vorgestellt, oder?"
Wie bitte? Meinen ersten Kuss? Spinnt er jetzt völlig?
„Das war doch kein Kuss!" platze ich heraus. „Ichigo, sowas ist kein Spiel!"

*****

Sie rümpft die Nase, zieht einen Schlunz und die Augenbrauen zusammen. Das ist schon wieder so süß, dass ich auf der Stelle schmelzen möchte. Ich liebe es, wenn sie so schaut. Ach was, ich liebe jeden ihrer Gesichtsausdrücke! ... nur Weinen kann ich nicht ertragen. So lange sie das lässt, ist mir alles recht.
Vor einem Jahr hätte ich noch nicht geglaubt, dass es einen empfindlichen Punkt in mir gibt, der davon jedes mal aufgewühlt wird.
Natürlich hat sie Recht damit, dass das kein richtiger Kuss war und der Himmel allein weiß, wie viel lieber ich ihr so einen gegeben hätte. Allerdings, zum Ärgern war es genau das Richtige.
Möglichst gelassen, versuche ich ihre indirekte Anschuldigung von mir zu weisen.
„Wer sagt, dass ich spiele? Für mich ist das Toternst."

*****

Sein fast schon hochnäsiges Grinsen macht mich Krank. Was soll das bitte? Glaubt, er wäre erwachsen, aber kriegt es nicht mal auf die Reihe, jemandem einen richtigen Kuss zu geben? Hätte er sich damals mal eines meiner Bücher ausgeliehen, dann wüsste er es besser.
In mir brodelt es und ich pfeffere ihm meine Gedanken um die Ohren. „Ach ja? Dafür stellt du dich verdammt dämmlich an."
Muss man dir denn echt alles beibringen?
Mit einer brodelnden Wut strecke ich die Arme nach ihm aus. Meine Finger reichen gerade so um seinen Hals herum und mit einem kräftigen Zug hole ich ihn zu mir herunter. Etwas in mir sagt, dass ich gerade einen Fehler mache, aber die Wut übertüncht alles.
Hart treffen unsere Lippen aufeinander. Ein flaues Gefühl drängt sich in den Vordergrund, schiebt die Wut beiseite und die Erkenntnis durchfährt mich wie ein Blitzschlag.
Was habe ich nur getan?

Heißes Früchtchen mit oder ohne Schlagsahne? (Vorläufiger Titel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt