8. Wenn es dunkel wird

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Der kleine Schreibtisch, in meiner Etage an dem ich sitze, ist übersät mit Kritzeleien. Chris hat mir bereits Bilder mit Motiven geschickt, die ihm gefallen und ich versuche einen Entwurf, für die Gürtelschließe zu zeichnen. Einen, der seinen Wünschen und gleichzeitig meinen Möglichkeiten entspricht. Ich traue mir zu filigrane Figuren nicht zu, außerdem fehlt mir das Werkzeug dafür. Unzufrieden mit meiner Zeichnung lege ich sie zur Seite. Irgendwann kommt schon die zündende Idee.

Irgendwie hab ich an Chris einen Narren gefressen und bin überzeugt einen Freund gefunden zu haben. Scheiß aufs Alter, Chris ist einfach cool und ich will unbedingt mit ihm um die Häuser ziehen. Allerdings sollte ich, ihm was meine Orientierung betrifft bei Gelegenheit noch reinen Wein einschenken. Auf böse Überraschungen hab ich keine Lust.

Ich blicke mit einem Lächeln an die Wand vor mir. Dort hängen noch mehr meiner Eigenkreationen, hautsächlich Ideen für Tattoos. Leider muss ich drauf noch warten. Meine Mutter hätte nichts dagegen, aber durch die Gesetzte, findet man kein Studio mehr, das Minderjährige drannimmt. Mein Handy summt mit einer neuen Nachricht von Paul. Verdammt ist es spät geworden!

Wir schreiben uns jeden Tag wie üblich. Aus jeder Zeile kann ich lesen, wie sehr er sich auf Samstag freut. Ich freue mich auch, ihn wieder zu sehen, aber ich denke, unsere Motive sind andere. So langsam beschleicht mich das Gefühl, das er in der ganzen Sache, mehr sieht als ich und das ist nicht gut. Vielleicht denke ich auch zu viel darüber nach, oder interpretiere zu viel hinein, seit Arie mir den Floh ins Ohr gesetzt hat. Ich möchte das unbedingt klären, ihn nicht verletzen.

Paul zu küssen, macht Spaß und über mehr hab ich natürlich auch nachgedacht. Was wäre, sonst der Sinn sich weiter mit ihm zu treffen? Ihn in etwas zu bestärken, das von meiner seit nicht da ist, liegt nicht in meinem Interesse. Ich hege keinerlei romantische Gefühle für ihn.

Die letzten Tage habe ich viel darüber nachgedacht, ob es an mir liegt. Bis jetzt waren sexuelle Handlungen in meinem Leben nie mit Emotionen verbunden. Wie auch! Die Mädchen, mit denen ich rumprobiert habe, waren im Nachhinein, so leid es mir tut das zu sagen, nur Versuchsobjekte. Ich dachte, ich müsste mir und der Welt beweisen, dass ich ganz normal bin. Was auch immer normal bedeutet. Meine Schwärmereien, die ich wirklich ausschließlich nur für Männer oder Jungs hatte, wurden nie erwidert. Sie waren ein Geheimnis, das ich nur mit Arie teilte.

Ich habe zu viel Schlimmes im Internet gelesen, um mich zu trauen, meine Gefühle für jemanden zu offenbaren, ohne zu wissen, dass er so tickt wie ich. Lieber still und heimlich für mich leiden, als auf das Übelste beschimpft zu werden.

Ich knipse das Licht aus und gehe mit dem Handy in der Hand in mein Schlafzimmer. Tippe dabei eine kurze Antwort für Paul, bevor ich es auf mein Bett lege. Diese neue Woche brachte irgendwie nichts Gutes, stelle ich verwirrt fest, als ich mich ausziehe.

Was in Arie und Lukas gefahren ist weiß ich nicht, aber sie entwickeln sich beide zu echten Nervensägen. Nur habe ich den Auslöser dafür bis jetzt nicht gefunden. Meine beiden „Aufpasser" impfen mich, seit Anfang der Woche, vorsichtig zu sein, wenn ich bei Paul schlafe. Sie bringen mich mit ihrer Paranoia auf die Palme. Was glauben die denn was passiert? Das er mich umbringt?

David kommt mir einmal zu Hilfe in dem er auf ziemlich derbe Art die physischen Unterschiede zwischen Paul und mir aufzeigt.

„Habt ihr euch die Luftpumpe mal angesehen? Niklas braucht nur einmal kräftig atmen, dann fällt der um!" War seine Aussage. David meinte damit, Pauls eher zarte Statur zu unterstreichen und die beiden anderen wieder runterzubringen. War ein netter Versuch, half aber nicht wirklich viel.

Ich bekomme keinerlei plausible Antworten auf meine Fragen, warum sie sich bei Paul und dem bevorstehenden Treffen so anstellen. Selbst wenn es ihnen um Sex geht, der möglicherweise stattfinden könnte. Dazu brauchen wir aber nicht die Nacht. Ich könnte ihn auch tagsüber besuchen und mit ihm schlafen. Wir bräuchten nicht mal seine Wohnung dazu! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Aber egal wie auch immer ich argumentiere, sie lassen nicht locker.

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