Die nächsten Tage laufe ich mit einem selbstzufriedenen Lächeln durch die Gegend, das niemandem verborgen bleibt. Keiner fragt nach dem Grund, also sage ich auch nichts. Paul ist nach wie vor mein kleines Geheimnis. Wir schreiben uns jeden Tag, nichts Besonderes. Mal sind es kleine Nettigkeiten, mal ziehen wir uns gegenseitig auf. Es fühlt sich gut an. Eine Antwort auf meine Frage habe ich auch bekommen, er war im April in Portugal. Wir haben ein Treffen für den kommenden Sonntag verabredet. Wieder im selben Kaffee und ich freue mich darauf, ihn wieder zu sehen.
Wo die Reise mit Paul hingeht, kann ich nicht sagen, ich mache mir auch nicht wirklich Gedanken darüber. Ich mag es mit ihm zu flirten, diese angenehme Spannung aufzubauen. Es ist für mich spielerisch und das macht es so einfach. Mittwochabend überrascht mich Lukas mit der Frage nach einem Bruder-Abend. Unser letzter ist bestimmt zwei Monate her und ich stimme gerne zu. Die letzte Zeit haben wir uns nur selten gesehen und wenn, waren immer andere mit dabei. Ich liebe es, wenn wir uns ungestört über alles und jeden unterhalten können. Aus purer Faulheit bestellen wir uns eine Pizza, statt selbst zu kochen und machen es uns im Wohnzimmer gemütlich. Lukas, sitzt in einem der bequemen Ohrensessel, während ich mich auf der Couch ausstrecke. Beide mit Blick auf den Wintergarten.
Er erzählt mir aus seiner Arbeit und ich aus meiner. Gemeinsam lachen wir über die neusten Anekdoten der Heimbewohner, die aufgrund ihres Alters und ihrer Demenz allerhand Unfug treiben. Wir beide wissen, dass es eigentlich nicht zum Lachen ist. Aber ich kann den Sinn hinter diesem eigentümlichen Humor durchaus sehen. Es ist eine Art der Verdrängung, ein Selbstschutz, um nicht alles an sich heranzulassen.
Als Altenpfleger wirst du ständig damit konfrontiert das diese Menschen bald gehen werden. Du kümmerst dich, pflegst sie, so gut es geht, versuchst, ihnen ihre Tage so angenehm wie möglich zu gestalten, begleitest sie manchmal über Jahre. Man baut dabei Nähe auf. Immer in dem Bewusstsein, sie vielleicht zur nächsten Schicht nicht mehr wieder zu sehen. Oder du hältst ihre Hand, streichelst sie, wenn sie hinüber gleiten, musst danach mit deinen alltäglichen Tätigkeiten weiter machen. Keine Zeit zum Trauern, weil die Arbeit ruf. Der Job hat so viele Schattenseiten, dass ich immer wieder die tiefste Ehrfurcht vor den Menschen verspüre, die ihn ausüben.
Sie werden schlecht bezahlt, sie müssen, egal wie leid es ihnen auch tut, sich ständig beeilen, nur nicht zu lange bei einem Bewohner bleiben, weil aus Personalmangel die Arbeit nicht fertig wird. Alles ist streng kontrolliert, damit es wirtschaftlich effektiv bleibt. Ich frage mich manchmal, was für Arschlöcher sich hinsetzten und anhand von Zahlen, über die Behandlung, sowohl des Personals als auch der alten Menschen urteilen. Die Bewohner, haben ihr Leben lang gearbeitet und nur weil sie jetzt alt sind und nichts mehr leisten können, haben sie kein Recht mehr auf einen Lebensabend in Würde? Und das Personal, sind keine Maschinen, aber werden dazu angehalten sich genau so zu verhalten? Die Leute, die diese Statistiken aufstellen, haben entweder keine Ahnung von dem Job oder sind empathielose Hüllen.
Es ist körperliche Schwerstarbeit, die mein Bruder und seine Kollegen da leisten. Versuch mal einen Menschen von 70, 80, oder mehr Kilo zu bewegen, der nicht mithilft. Nicht zu vergessen, nicht jeder Bewohner ist ein Sonnenschein. Sie schlagen, beißen, kratzen, werfen mit ihren Fäkalien nach den Pflegern, weil sie es in ihrer geistigen Verwirrtheit nicht besser wissen. Ich könnte noch so viele Punkte anfügen, aber die Essenz daraus für mich ist: Dass ich verstehe, wenn Lukas versucht, vieles davon ins Lustige zu ziehen. Ich glaube, sonst geht man innerlich kaputt.
Er fragt mich wie die Fahrstunden laufen, aber da gibt es nicht viel zu sagen außer gut. Deshalb wechselt er zum Thema Arie. „Ich bin immer noch fasziniert, wie sehr sie sich in dem Jahr verändert hat." Meint er an seiner Pizza kauend und sieht mich fragend an.
„Ich weiß, was du meinst. Sie sieht irre aus!" Er kommentiert meine Antwort nur mit einem Nicken. „Ich denke, es fällt uns nur so stark auf, weil wir sie so lange nicht gesehen haben." Lukas runzelt dabei seine Stirn und sieht zum Fenster raus.
DU LIEST GERADE
Leseprobe Saiten-Umbruch ab 19.09.24 im Handel
Storie d'amoreNiklas ist schwul und versucht über das Internet Gleichgesinnte in seiner Nähe zu finden. Das endet in einem Desaster. Den Schmerz verarbeitet er in der Musik, doch hilft ihm erst eine andere Begegnung, zu heilen.