01| Zurückkommen

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MIKA

Das letzte Schuljahr, das ist es also. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich mir einbilde, es in meiner Brust hören zu können. Alles in mir, jede einzelne Faser meines Körpers schreit, dass ich weglaufen soll. Dass ich dort drinnen womöglich sterben werde. Wie ein Trottel stehe ich vor unserem etwas heruntergekommenen Schulgebäude und bin unfähig, es zu betreten.

Die Sommerferien sind gerade vorbei, doch ich war schon seit drei Monaten nicht mehr hier. Seit drei Monaten wissen alle, die mir etwas bedeuten, offiziell, was für eine Enttäuschung ich bin. Zurückzukommen ist schwerer als gedacht. Ich spüre ihn ganz deutlich, den Druck, der auf mir liegt. Er umgibt mich wie unsichtbarer Rauch und droht mir die Luft zum Atmen zu nehmen.

Von Weitem entdecke ich zwei Jungs und ein Mädchen, die sich unterhalten, während sie in die Schule hineingehen. Es sind meine Freunde: Karim, der mit der lässig lockeren Kleidung, Alya, die brünette Frohnatur unter uns, und Erik, mein bester Freund, seitdem ich hergezogen bin. Ein Teil in mir hat Angst davor, wie wir miteinander klarkommen werden, aber ein anderer freut sich auch, sie alle zu sehen. Letzterer reicht, um mich zu überwinden und das Gebäude ebenfalls zu betreten.

Drinnen riecht es exakt genauso, wie ich es in Erinnerung habe. Nach Schule. Jeder, der lange nicht dort war, weiß, was ich meine. Ich durchkreuze die hellen Flure und entdecke die drei in der Nähe des Raumes, in dem unsere erste Stunde nach den Ferien stattfinden wird.

„Hi...Leute", sage ich vorsichtig und ziehe damit wie gewollt ihre Aufmerksamkeit auf mich.
„Hey Mika, was geht?", meint Karim und begrüßt mich mit einem schnellen Handschlag, den ich erwidere.
„Lange nicht gesehen, Kumpel", kommt es von Erik. Er reicht mir die Hand, zieht mich danach in eine lockere Umarmung und klopft mir dabei zweimal auf den Rücken. „Hallo", murmle ich noch immer etwas unsicher.

Ehe ich mich versehe, wirft Alya sich mir um den Hals und ich stolpere zwei Schritte nach hinten. Sie hält mich so fest, dass sie mich beinahe zerquetscht. „Schön, dass du wieder da bist", sagt sie und drückt noch ein bisschen fester zu.

„Danke, ich freue mich auch dich zu sehen", erwidere ich lächelnd.
Während sie den Sommer mit ihren Eltern im Urlaub in Griechenland verbracht hat und mich nicht besuchen konnte, haben wir hin und wieder telefoniert. Mit den Jungs war ich hingegen kaum in Kontakt. Ich habe das Gefühl, sie wissen nicht recht, wie sie mit mir umgehen sollen und das kann ich ihnen nicht verübeln. Ich wüsste es selbst nicht.

„Du übertreibst Alya. Lass ihn ganz", meint Karim und erntet ein böses Funkeln von ihr. Wenn die Zwei je aufhören sollten sich zu streiten, ist etwas gewaltig schiefgelaufen. Schließlich lässt sie mich doch los und fragt: „Wie geht es dir denn? Alles in Ordnung?"
„Es geht ihm gut", mischt Erik sich ein. Sonst wärst du ja nicht hier, oder?"
Nun kann ich nicht mehr viel Anderes tun, als zustimmend zu nicken. Ich hätte sowieso keine richtige Antwort gewusst.

Was folgt, ist eine unangenehme Stille, in der niemand etwas sagt. Ich gucke zu Karim, weil er mir gegenüber steht und dieser blickt wie Alya und Erik irgendwo in der Gegend herum. In dieser Konstellation waren wir schon lange nicht mehr zusammen. Dass es irgendwie komisch wird, habe ich schon dunkel geahnt. Sollte ich fragen, wo sie ist, oder würde das die Situation nur schlimmer machen?

„Mika!", schreitet Alya auf einmal ein, als wäre ihr ein Licht aufgegangen, wie sie diese Totenstimmung wieder erhellen kann. „Ich schmeiße am Freitag eine Party bei mir. Du musst auch kommen. Wir haben Spaß, hängen ein bisschen ab, so wie früher", erzählt sie begeistert.
„Klar...okay, ich werd' sehen was sich machen lässt", gebe ich zurück. „Sagt mal...ihr...ihr wisst nicht zufällig, wo Lara ist, oder?", frage ich dann und kratze mich am Hinterkopf.

Keiner Wie DuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt