07| Das Gewitter

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MIKA

Tropfen prasseln auf mich ein und lassen mich, sowie den Koffer meines Saxophons nass werden. Der Himmel über mir ist grau und donnert, als hätte ihn jemand verärgert. Nach fünf Minuten Fußweg von der Bushaltestelle bis zu unserem Haus ist jeder Zentimeter meines Körpers durchnässt. Ich hätte meinen Regenschirm mitnehmen sollen, als ich am Nachmittag zu meinem Musikunterricht losgegangen bin.

Nichtsdestotrotz lief der heutige Unterricht gut. Naja, es ging so. Einige Passagen, die ich schon beim letzten Mal nicht hinbekommen habe, wollten mir auch heute nicht gelingen. Ich weiß, ich muss besser werden und mehr üben, doch  in den vergangenen Tagen hatte ich kaum Zeit dazu. Stundenlang habe ich meinem Vater in der Schule dabei geholfen, irgendwelche Akten zu sortieren. Letztlich fand er es doch nicht so lustig, dass ich am Mittwoch zuhause bei John geblieben bin und geschwänzt habe. Neben einer viel zu langen Moralpredigt, die ich mir anhören musste, hat er mir das Sortieren als Strafe aufgedrückt. Um sicher zu sein, dass ich wirklich ankomme, nimmt er mich jetzt wieder höchstpersönlich im Auto mit zur Schule.

Auch wenn ich, Erik und Karim dort aus dem Weg gehe, werden die Tage länger und schwerer. Es sind gerade zwei Wochen seit den Ferien vergangen, doch schon jetzt sprechen alle über ihre Zukunftspläne und die anstehenden Abschlussprüfungen am Ende des Schuljahres. Es ist, als fühle jeder den immer wachsenden Druck und wolle unbedingt sicherstellen, dass die Gleichaltrigen um ihn herum auch darunter leiden. Ich bin erschöpft, kann und möchte da nicht mehr mit reden.

John wohnt bereits seit vier Tagen bei uns. Am Abend nach der Schule Zeit mit ihm zu verbringen, tut mir gut. Er ist sehr in sich gekehrt und redet nicht besonders viel, aber das stört mich nicht. Im Gegenteil, die Ruhe mit ihm ist der schönste Abschnitt meines Tages. Noch immer bin ich von seiner Geschichte und seinem Plan, seine Mutter zu finden, fasziniert. Ehrlich gesagt sind diese Dinge alles, an das ich die letzte Zeit noch denken konnte. Ich wünsche mir so sehr für ihn, dass er sie findet, als würde ich mein eigenes Familienmitglied suchen.

Genervt und komplett nass schließe ich mit meinem Schlüssel die Tür auf und betrete unser Haus. In dem Moment, in dem ich meine Jacke an die Garderobe hänge, lächelt mir mein Regenschirm unverschämt entgegen und ich seufze innerlich. Das Erste, das ich jetzt tun möchte, ist, mit John zu reden. Gestern Abend hat er mir erzählt, dass er heute zu seinem Vater...zu Laras Vater...nein...zu Gregor gehen, und mit ihm über seine Mutter sprechen will. Den ganzen Tag über hat mich die Unruhe geplagt und mich nicht mehr still sitzen lassen.

Ich stelle mein Saxophon in die Ecke und ziehe meine Schuhe aus. Danach steuere ich auf die Treppe zu meinem Zimmer zu und erblicke meine Eltern an unserem Esstisch.
„Hey, ich bin wieder da. Ist John oben? Ich muss was mit ihm besprechen", sage ich im Vorbeigehen. Erst dann bemerke ich den zutiefst ernsten Blick meines Vaters und stoppe in meiner Bewegung. Meine Mutter sitzt starr da und hat die Hände über dem Tisch zusammengefaltet.
„Was ist los? Was guckt ihr denn so?", erkundige ich mich und merke, wie mein Körper sich automatisch anspannt.

„John ist nicht oben", antwortet mein Vater. „Er ist weg. Wir haben ihn rausgeschmissen."
„Ihr habt was?!", entgegne ich entsetzt, sobald seine Worte in meinem Kopf ankommen. Das können die doch nicht einfach machen. Wo soll er denn jetzt hin? Noch einmal mehr will ich nun sofort zu ihm und mit ihm sprechen.
„Mika, bitte setz dich", sagt meine Mutter in einem solch ruhigen Ton, dass es mir gruselig vorkommt. Ein ungutes Gefühl schleicht sich in meine Magengegend und krallt sich dort fest. Obwohl die nasse Kleidung an meinem Körper klebt wie eine zweite Haut und obwohl ich zu John muss, tue ich was sie sagt und nehme mit ihnen am Tisch Platz.

„Wo warst du?", fragt sie, während mein Vater mir einen strengen Blick zuwirft.
„Gerade eben? In Timbuktu. Wo soll ich schon gewesen sein?"
Ich lache einmal kurz, um die Situation zu lockern, doch die ernsten Mienen meiner Eltern bleiben bestehen. Ich war beim Saxophon-Unterricht, das wissen sie doch. Was glauben sie, wo ich war?
„Mika, das ist nicht lustig. Das hier haben wir in deinem Zimmer gefunden."
Mama holt ein schwarzes Etui hervor, legt es auf den Tisch und öffnet es vor meinen Augen. Darin befinden sich mehrere kleine Tütchen voll weißem Pulver. Sofort läuft es mir kalt den Rücken runter. Jetzt ganz ruhig, nur keine zu schnellen Bewegungen.

Keiner Wie DuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt