16| Verkehrte Welt

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MIKA

Fassungslos betrachte ich das Wrack vor meinen Augen. Durch eine leichte Linkskurve ist der Mustang von der Straße abgekommen und mit vollem Karacho gegen einen Baum geknallt. Nun steht er regelrecht zusammengekauert auf einem Stück Wiese davor. Die Stoßstange ist eingedrückt und die Motorhaube steht ein wenig hoch. Ebenso ist der rechte Scheinwerfer beim Aufprall zersprungen.

„Verdammt!", schreit John und schlägt mit der Faust auf das Lenkrad. Er sitzt im Wagen, um auszuprobieren, ob dieser noch angeht und fährt. Dem fehlenden Motorgeräusch entnehme ich, dass dies nicht der Fall ist. Mit verdunkelter Miene steigt er aus und kommt auf mich zugestürmt.
„Du blöder Idiot! Ich habe dir doch erklärt, dass du die Handbremse anziehen musst. Wie konntest du das vergessen? Das weiß doch jedes Kleinkind!"

Er ist unsagbar sauer auf mich, natürlich ist er das. Seine Lautstärke versetzt mir einen großen Stich und ich falle unvermittelt auf die Knie. Ich spüre ein heißes Feuer, das sich in meinem Körper ausbreitet wie ein Waldbrand während einer langen Trockenzeit. Flammen türmen sich auf, lodern hell und ziehen alles mit einer gewaltigen Hitze ins Verderben.

Beim Anblick des Autos möchte ich schreien und ausrasten, doch sitze ich nur still da und fahre mir durch die Haare. Unser Plan war es, einen schönen Tag zu verbringen. Jetzt stehen wir vor einer Katastrophe, die größer ist, als jede zuvor. Wegen mir. Das Auto liegt in Trümmern, genauso wie mein Leben. Und das von meinen Eltern, von Lara, von John, von einfach allen, die etwas mit mir zu tun haben.

Der Schwarzhaarige mustert mich verletzt und sauer zugleich, als wolle er mir deutlich klar machen, was ich ihm gerade angetan habe. Ich sage gar nichts. Schließlich wendet er sich von mir ab und tritt mehrmals gegen den Reifen seines Autos. Dabei flucht er, als gäbe es kein Morgen. In meinem Schockzustand bekomme ich nicht alles mit, doch ihn so wütend zu sehen, wirkt befremdlich. Wie in einer verkehrten Welt.

* * *

Nach einer Weile -ich habe weiß Gott keinen Schimmer wie lange- sitze ich noch immer von Schuldgefühlen zerfressen am Boden und rühre mich kein Stück. Im Gegensatz zu mir scheint John sich allmählich zu beruhigen. Er hat aufgehört um sich zu treten, kommt auf mich zu und geht vor mir in die Hocke.

„Es tut mir leid, Mika. Ich hätte das eben nicht sagen sollen. Du bist zum ersten Mal in deinem Leben Auto gefahren. Es ist nicht deine Schuld", erklärt er. Der wieder ruhige, vertraute Ton in seiner Stimme, hebt meine Lähmung auf. Meinem Sturm an Gefühlen kann dieser jedoch nicht entgegenwirken. Ich erhebe mich und schubse John zurück, sodass er auf seinen Hintern fällt.

„Warum hast du das getan?!", schreie ich aus tiefster Seele. „Warum hast du mich fahren lassen? Du wolltest doch nur, dass etwas schief geht. Damit du mir endlich beweisen kannst, wie scheiße das Leben ist!"
„Was?!" John's Gesichtsausdruck wird mit einem Mal von Entsetzen befallen. Er steht auf, während er sich den Dreck von seinen Händen an seiner schwarzen Hose abklopft.

„Dir ist doch sowieso alles scheiß egal! Deine plötzlich super Laune war nur vorgespielt, du hast nie geglaubt, dass alles gut wird. Mit deinem ewigen Pessimismus forderst du jede Katastrophe heraus. Es ist klar, dass sie passieren, wenn man nur darauf wartet!", brülle ich ungeachtet meiner Schmerzen am Oberkörper.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ein weißes Auto auf der Straße anhält und ein Mann aussteigt. Sobald John meinen Argumenten schlagfertig etwas entgegen setzt, ignoriere ich diesen.
„Die ganze Zeit wolltest du, dass es mir gut geht! Jetzt war es so und ich muss mir vorwerfen lassen, dass ich es nur vorgespielt habe?! Du bist doch derjenige, der uns beiden die ganze Zeit etwas vormacht. Glaubst du, ich merke nicht, wie du immer wieder auf meine Sachen starrst und dich fragst, wo die Drogen sind? Glaubst du, ich merke nicht, wie du fast jede Nacht durch einen Albtraum wach wirst?!"

Keiner Wie DuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt