Der Showdown

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Der Mann starrte mich an und lachte leise.
„Du willst es also wissen, ja? Nun, dann werde ich dir sagen, warum ich das alles tue. Pass auf. Deine Mutter und ich waren nicht immer die besten Freunde, daran erinnerst du dich bestimmt noch. Aber dass du, mein Ein und Alles, mir so in den Rücken gefallen bist vor Gericht... Das hätte ich nicht gedacht. Du hast es nicht einmal genau gewusst, du hast einfach die Worte deiner Mutter wiederholt!", fauchte er plötzlich.
„Nein, das stimmt nicht.", meinte ich ruhig. Das war wohl die beste Art und Weise, ihn im Gespräch zu halten. Ich hoffte inständig, dass die Polizei bald ankam. Wenn nicht, dann war das hier mein Ende. Denn dieser Mann wurde jetzt richtig wütend.
„Was meinst du damit?!", brüllte er.
„Ich habe gesehen, wie du sie geschlagen hast. Ein Mal. Das hat mir schon gereicht, damals, als ich fünf Jahre alt war. Verdammt nochmal, ich war fünf Jahre alt, was willst du eigentlich jetzt von mir?! Ich bin siebzehn!", erwiderte ich. Ihm stockte der Atem.
„Du hast... es gesehen?! Gesehen!?", schrie er und warf meine Mutter wie eine Puppe gegen einen Grabstein. Sie rührte sich nicht mehr. Unwillkürlich schrie ich auf und machte einen Schritt vorwärts, bis ich bemerkte, dass er näher kam. Schnell wich ich wieder zurück, bis ich mit dem Rücken am steinernen Engel stand. Ich sandte Blitzgebete gen Himmel und hoffte einfach nur, dass die Polizei kommen würde. Bald. Denn mein Vater war nun nur noch zwei Meter von mir entfernt, und er kam stetig näher.
„So, also hat das Mäuschen ihre eigene Meinung kundgetan. Fein, fein. Wie dem auch sei, ich werde dich so oder so töten, denn du hast nicht das Recht zu leben, nachdem du deinen eigenen Vater verraten hast. Und deine Mutter wird auch sterben, weil sie genauso verräterisch ist, wie du!", flüsterte er bedrohlich und zückte einen Dolch. Wo hatte er diesen Dolch her? Das war in diesem Moment die einzige Frage, die in meinem Kopf vorhanden war. Eine Sekunde später waren nur noch Instinkte da, die mir sagten, ich solle weglaufen. Aber ich konnte nicht. Mein Körper war wie gelähmt. Ich konnte kaum noch atmen. Was sollte ich jetzt nur tun? Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht mehr atmen. Ich vermutete schon, dass wenn er jetzt nicht schnell machte, mit dem zerstückeln, dass ich ersticken würde, bevor er mich töten könnte. Das wäre wohl... bestimmt angenehmer. Doch er kam immer näher, schleichend, und irgendwie durchflutete mich das Gefühl von Angst und Freude gleichzeitig. Meine Mutter würde fliehen können, wenn ich es lang genug verzögerte, und für mich war es endlich vorbei. Doch dann kam mir der Gedanke an Luke. Meinen besten Freund. Dem ich absolut alles erzählen konnte. Dem ich noch so viel sagen wollte. Naja, das würde wohl nichts mehr werden, oder? Ich warf einen Blick zu meiner Mutter, aber sie war weg. Sie war aufgestanden und hatte sich wohl die Fesseln abgelöst und den Knebel aus ihrem Mund genommen, denn das Zeug lag noch da. Sie war gegangen. Gut so. Ich sah wieder nach vorn und mein Vater, mein Erzeuger, besser gesagt, stand genau vor mir, mit dem kleinen Dolch in der Hand und holte aus. Ich kniff die Augen zusammen, und da war er, dieser stechende Schmerz, genau wie in meinem Traum! Ich sank zu Boden, öffnete die Augen aber nicht. Ich wollte das nicht sehen, mein Blut, überall. In meinem Traum hatte mir das schon gereicht. Der Schmerz breitete sich in mir aus wie ein Lauffeuer, und ich hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Ich spürte, wie mir schwindelig wurde. Ich musste viel Blut verlieren... Dann spürte ich auch schon, wie mein Körper auf den Kiesboden sank, welcher meinen Körper angenehm abkühlte, und dann verlor ich auch schon das Bewusstsein.

Ich war... unter Wasser? So fühlte es sich an. Dieser Schmerz, dieses Brennen... Es war einfach unbeschreiblich! Ich konnte mich nicht konzentrieren, in meinem Kopf ertönte ein dröhnendes Piepen, und es hörte nicht auf! Es wurde immer und immer lauter, meine Ohren taten weh. Es fühlte sich an, als würde mein ganzer Kopf bald zerplatzen. Die Wassermengen drückten mich nach unten, immer weiter und weiter, und ich sah etwas... Luke? Was tat der hier unten im Meer? Und wie kam ich überhaupt darauf, dass ich im Meer war? „Ich versinke, ich ertrinke, ich will keine Schmerzen mehr... Ich will dort sein, wo es still ist, 2000 Meilen unterm Meer..." Das Lied von Subway to Sally schoss mir durch den Kopf, und ich hatte tatsächlich so ein Gefühl, wie der Sänger es in dem Lied beschreibt. War das also sterben? Aber wieso war Luke dann hier? Was sollte das? Ich wollte nicht aufwachen. Nein, ich wollte einfach hier unter Wasser bleiben, denn je tiefer ich sank, desto weniger Schmerzen hatte ich. Das Feuer erlosch langsam, und ich war furchtbar erleichtert. Doch auf einmal war Luke weg, und ich fühlte... Trauer. Warum? Eigentlich wollte ich doch gar nicht aufwachen, dann wäre der Schmerz wieder da, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sterben gar nicht so schlimm war. Aber ich war traurig darüber, dass Luke jetzt weg war. Für immer. Und ich würde ihn nie wieder sehen. Niemals wieder. Ich wollte weinen. Schreien. Einfach alles loswerden, und dann alles loslassen. Doch irgendwie passierte nichts mehr, ich blieb einfach in diesem Wasser. Ich sank nicht mehr tiefer, ich trieb auch nicht hoch zur Oberfläche. Auf einmal sah ich einen weißen Hai vor mir vorbeischwimmen, doch er beachtete mich gar nicht. Sterben war echt seltsam. Dann begann ein monotones Piepsen, so wie... im Krankenhaus! Ein Beatmungsgerät, oder ein Gerät, das den Puls angibt. Es war ganz regelmäßig und einfach. Eintönig. Was war das? Wo kam es her? Der Hai war nun verschwunden, und ich sah nun eine Frau vor mir, sie trug ein weites, weißes Kleid, wirkte irgendwie... wie ein Engel! Sie lächelte mich freundlich und liebevoll an, und dann nahm sie meine Hand und zog mich immer weiter nach oben zur Wasseroberfläche. Warum war ich eigentlich nicht schon lange ertrunken? Vielleicht war ich schon tot, und würde jetzt in den Himmel aufsteigen? Nein, wohl eher nicht... Ich spürte, wie der Schmerz immer heftiger wurde. Doch diesmal war es nicht wie ein Lauffeuer und durchflutete meinen ganzen Körper, sondern er beschränkte sich auf die Bauchgegend. Es fühlte sich an, als ob der Dolch noch immer darin stecken würde. Ich sah nach oben, die Wasseroberfläche kam immer näher, ich konnte aber nicht erkennen, wer oder was sich dahinter verbarg. Ich sah alles nur extrem verschwommen. Doch als ich noch näher kam, erkannte ich etwas... menschliches. Ein Gesicht... blondes Haar. Und etwas leuchtend grünes... Augen? Vielleicht. Der Engel war auf einmal verschwunden. Ich sah mich um, doch die Wasseroberfläche kam unaufhörlich näher. Lebte ich doch noch? Was das hier vielleicht sowas wie ein Koma? Ich hatte keine Ahnung. Und dann erreichte ich die Oberfläche, und das erste was ich sah... Luke!

„Cathy!"
Lukes Stimme war leise, und wirkte erstickt. Ich öffnete die Augen und sah erst einmal alles total verschwommen, dann erkannte ich, dass Luke Tränen in den Augen hatte. Seine wunderschönen, strahlend grünen Augen. Wie sehr ich diese Augen vermisst hatte. Ich sah mich kurz um, dann hob ich die Hand, zitternd, und nahm seine.
„Ich hab dich vermisst.", flüsterte ich leise. Dann fiel mir auf, dass ich nicht mehr auf dem Friedhof war, und dass ich in einem... sehr steril wirkenden Raum lag, in einem Bett, und an mir ca. vier Schläuche hingen. Was um alles in der Welt war nur passiert?
„Luke... Was...", piepste ich leise. Mir liefen aus irgendeinem Grund Tränen übers Gesicht.
„Dein Vater und du, deine Mutter auch, ihr wart auf dem alten Friedhof in Manhattan. Weißt du das noch?", sagte er leise. Ich nickte.
„Dann konnte sich deine Mom befreien und hat die Polizei gerufen. Aber er hat... dir schon seinen Dolch durch den Bauch gejagt..."
Ich schluckte. Stimmt ja. Der Dolch.
„Die Polizei ist gekommen?", fragte ich leise. Luke nickte.
„Und... wo bin ich hier?", hakte ich weiter nach.
„In Manhattan im Krankenhaus. Ich bin sofort hergekommen, als ich gehört hab, was passiert ist. Ich... es tut mir leid, dass ich so blöd war, bevor du gefahren bist... Ich hätte wirklich mitkommen sollen... Dann wär all das bestimmt nicht passiert... Es ist alles..."
Ich hielt ihm den Mund zu und lächelte ihn schwach an.
„Es ist schon in Ordnung, wenn du einfach hier bist und meine Hand hältst.", hauchte ich leise. Ihm schien jetzt erst aufzufallen, dass ich seine Hand hielt, und er schien überrascht über den Körperkontakt.
„Cathy...?"
„Ich werde es dir... erklären. Alles. Von Anfang an.", sagte ich bestimmt. Dann sah ich mich um und versicherte mich, dass niemand sonst da war. Dann begann ich zu erzählen, von der Sache mit „James" und Kevin, und einfach alles, was mir im Kopf herum ging. Auch was ich fühlte, wenn er da war. Nur ich verschwieg ihm, wie verdammt... aufgeregt ich in diesem Moment war. Weil er hier war. Weil er einfach meine Hand hielt. Das behielt ich noch für mich, aber ich würde es ihm bald sagen... Wenn ich mehr Mut dazu hatte. Luke lauschte meiner Geschichte und schwieg eine Weile, dann strich er mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht und fuhr mit den Fingerspitzen zärtlich über meine Wange. Er sagte einfach erst einmal gar nichts. Und ich fand es auch gut so. Vielleicht würde er mich irgendwann drauf ansprechen, wenn wir wieder zuhause waren oder so. Ich schloss die Augen, meine Hand immer noch in seiner, und schon war ich auch eingeschlafen. Er blieb die ganze Nacht bei mir, so lange, bis es mir wieder besser ging und ich nach hause gehen durfte. An dem Tag, als der Flug gebucht war, sah ich Luke erst ganz lang in die Augen und dann umarmte ich ihn erst einmal einfach. Ohne Vorwarnung und ohne Grund... Es fühlte sich einfach so an, als würden mein Kopf und mein Bauch platzen. Mein Herz spielte komplett verrückt und ich fühlte mich... überglücklich und gleichzeitig total seltsam. Mein Vater war mittlerweile im Gefängnis, ohne große Verhandlung, denn er hatte gestanden, aus welchem Grund auch immer. Ich wusste nicht, was mit ihm passieren würde, und irgendwie war es mir auch total egal. Als wir im Flieger saßen, und nach hause fuhren, wurde mir irgendwie wieder mulmig zumute. Ich ließ Jake einfach zurück, ohne ein einziges Wort. Wusste er, was vorgefallen war? Ich hatte keine Ahnung. Jedenfalls war ich einfach nur froh, als der Flieger in der Nähe von Detroit wieder auf die Erde kam, und ich endlich wieder zuhause war... Naja, fast. Noch die Autofahrt, und dann einfach... glücklich werden?

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