Ich stieg ins Auto ein und Luke saß noch immer neben mir, hielt wieder meine Hand. Ich hatte die ganze Zeit, wenn er bei mir war, oder wenn ich nur an ihn dachte, so ein... seltsames Gefühl im Magen. Als würden 5000 Schmetterlinge darin herum wuseln. Ich war... total verwirrt, wenn ich ehrlich bin. Total verwirrt, zumal alles mit Jake noch irgendwie in meinem Kopf war, und die Geschichte mit meinem Vater, und... einfach alles. Ich hatte nachts noch immer Alpträume von Jakes Mutter und dem Dolch, meinem Vater und all den Geschehnissen in letzter Zeit, aber... das würde ich auch legen. Irgendwann. Hoffte ich jedenfalls. Meine Mutter war auch vollkommen verstört gewesen, sie war sofort in eine Kur gefahren, wie sie es nannte. Natürlich wusste jeder, der die Geschichte kannte, dass es eine Nervenheilanstalt war. Aber ich konnte es auch nachvollziehen. Und zwar ganz sehr gut sogar. Ich würde auch am liebsten zu einem Psychologen gehen oder so, aber ich würde das auch so hinbekommen. Und wenn nicht, dann konnte ich ja noch immer hingehen. Seit diesem einen Tag waren jetzt schon einige Tage vergangen, heute war Silvester. Ich war nun endlich zuhause seit ein paar Stunden, und Luke war kurz nach hause gegangen, um ein paar Sachen zu holen. Solange meine Mom weg war, blieb er bei mir, das hatte er mir im Flieger schon versprochen. Ich lag nun erst einmal auf meinem Bett und hatte die Augen fest geschlossen. Ich dachte an... nichts. Oder ich versuchte zumindest an nichts zu denken. Im Nachhinein war dieses Gefühl... so tief unter Wasser zu sein, sehr verstörend. Ich war so nah am Tod gewesen, der Dolch hätte nämlich fast einige lebenswichtige Organe getroffen und zerschnitten. Mir wurde noch immer schlecht, als ich an die Erklärung des Chefarztes dachte. Jedenfalls ging es mir nun wieder einigermaßen gut, und ich hatte mich sogar getraut, mein Handy wieder anzuschalten. Ich hatte 10 neue Nachrichten, und fünf davon waren von Jake. Er machte sich Sorgen um mich. Drei waren von Luke, der mich berichtete, dass er noch in der Nacht nach Manhattan kommen würde. Und die letzten zwei waren noch mal von meinem Vater. Diese löschte ich, ohne sie zu lesen. Dann schrieb ich Jake zurück.
Hey Jake. Ich bin wieder zuhause, und es tut mir leid, dass ich einfach so gegangen bin. Ich schätze, du hast von der ganzen Geschichte gehört, und wenn nicht, dann kannst du mich auch anrufen, dann erzähle ich dir alles. Mom ist in einer Nervenheilanstalt und Luke ist bei mir für die nächsten Tage. Mir geht es wieder gut, die Wunde ist am verheilen. Wie geht es dir? Es tut mir leid, dass ich mich nicht verabschiedet habe, aber vielleicht war es auch besser so. Liebe Grüße... Cathrine.
Ich drückte auf die senden-Taste und schon war die Nachricht angekommen in Manhattan. Das war Wahnsinn, wie schnell das ging. Aber ich bekam keine Antwort mehr, und nach einigem hin- und her überlegen löschte ich Jakes Nummer. Es war das Beste, nichts mehr von ihm zu hören. Als Luke wieder da war, lagen wir erst einmal zusammen auf dem Bett, er saß an die Wand gelehnt und mein Kopf lag auf seinem Bauch. Es fühlte sich so... verdammt richtig an. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es für ihn auch richtig war. Aber so ganz sicher war ich mir nicht, ich kannte ihn zwar gut, aber... in solchen Sachen hatte ich ihn noch nie erlebt. Und ich wusste auch nicht, wie er auf solche Sachen reagierte, wie er war, wenn er verliebt war. Ich hatte keine Ahnung, und es machte mich so richtig wahnsinnig, denn ich dachte jede einzelne Sekunde daran. Und jedes Mal wenn ich in seine Augen sah, dachte ich einfach... gar nichts. Es war einfach seltsam. Und ich fragte mich langsam, ob dieser ganze Stress in Manhattan meinen Kopf gewaschen hatte und ich jetzt nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Das war immerhin Luke, der Kerl, so ziemlich der einzige Kerl, der so viel von mir wusste, wie kein anderer Mensch auf der Welt. Und ich kannte ihn nun mal schon ewig, also schon mal länger als ich Jake kannte. Und wenn ich schon das Gefühl hatte, verliebt zu sein, als ich Jake gesehen hatte, was zur Hölle war das hier denn dann? Ich verstand die Welt nicht mehr, er machte mich wahnsinnig. Auf gutem Weg. Nicht wahnsinnig im Sinne von wütend, sondern einfach... verrückt. Ich lag da also auf seinem Bauch und starrte sein T-Shirt an, lauschte einfach der Musik, die im Hintergrund lief und seinem Herzschlag. Ich hätte einfach für immer so liegen können.
„Cathy?"
Seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich hob meinen Blick, sah seine leuchtenden Augen und plötzlich schien es, als würde ich von einer fremden Macht kontrolliert werden.
„Ja?", fragte ich leise.
„Was hältst du davon, wenn wir heute Abend... ein Feuerwerk machen? Ein richtig schönes."
„Gu-Gute Idee...", stotterte ich. Er wusste genau, dass ich Feuerwerk liebte. Und Silvester war so ziemlich der einzige Tag im Jahr, an dem ich ein Feuerwerk sehen konnte.
„Wenn wir es selbst machen, können wir aber nicht beide gucken. Oder?"
„Naja, es ist bestimmt hier über ganz Detroit sowieso ein riesen Feuerwerk, oder meinst du nicht?"
„Stimmt... War ja bisher immer so... Wenn dieses Jahr nicht, dann wär ich der größte Pechvogel überhaupt..."
„Bist du nicht."
„Sicher?"
„Ganz sicher.", meinte er und lächelte sacht. Ich lächelte ihn auch an, und dann, als es schon kurz vor Mitternacht war, gingen wir nach draußen. Wir standen ein wenig unbeholfen nebeneinander auf der Straße, wo auch viele andere Leute standen, und ich sah zum Himmel auf. Man konnte keine Sterne erkennen, der Nachthimmel war total wolkenverhangen. Ich sah auf und starrte wie begannt in den Himmel. Auf einmal spürte ich etwas kaltes, nasses auf meiner Nasenspitze. Schnee?! Schnee! Endlich schneite es! Zum ersten Mal in diesem Winter! Ich lächelte fröhlich und sah dann zu Boden. Es war wundervoll, dass nun endlich Schnee fiel, und irgendwie fühlte ich mich jetzt besser, noch besser als in dem Moment, als ich mein Haus das erste Mal nach diesen paar Horrortagen wieder betreten hatte. Und ich hatte keine Ahnung, warum das so war, jedenfalls war ich einfach... sehr glücklich. Luke stand dicht neben mir und ich spürte seinen Blick auf mir ruhen.
„Alles in Ordnung?", fragte ich ihn leise.
„Klar, mir geht's gut. Und dir?"
„Mir geht's auch gut. Wie schon lange nicht mehr..."
Ich lächelte ihn an, und seine strahlend grünen Augen leuchteten auf. Ich lehnte mich ein wenig gegen ihn und sah ihn den Himmel, und langsam vermehrten sich die weißen Flocken und bedeckten mein Haar und meine schwarze Jacke. Dann begann die Kirchenglocke zu klingeln. Mitternacht. Ich sah zum Himmel auf, und wie auf ein Kommando begannen von überall her bunte Raketen zu schießen. In meinem Kopf tat sich etwas. Luke. Ich hatte die letzten paar Tage nur an ihn gedacht, pausenlos, und mir war nie aufgefallen, dass mein Puls irgendwie viel schneller wurde, wenn er bei mir war, oder eben wenn ich an ihn dachte. Es war mir nie aufgefallen, dass ich nur am lächeln war, wenn er redete, und dass ich ziemlich oft zu ihm rüber sah. Mir war nie aufgefallen, wie wunderschön seine Augen waren, und wie gut er eigentlich aussah. Und wie gut er roch. Ich wandte den Blick von dem Spektakel am Himmel ab und sah ihn an. Ich lächelte, und auch er schien über irgendwas nachzudenken. Dann bemerkte er, dass ich ihn ansah, und lächelte ebenfalls. Dann nahm er meine Hand in seine und verschränkte unsere Finger miteinander. Mein Bauch kribbelte, mein Kopf spielte verrückt und mein Herz saß auf einer Achterbahn. Dann nahm er auch meine andere Hand und so standen wir dann da, bei wunderschönem, bunten Feuerwerk und sahen uns einfach nur in die Augen.
„Du... ich glaub, ich muss dir was sagen...", murmelte Luke auf einmal. Ich nickte und sah ihn neugierig an.
„Also... Ich bin jetzt ganz ehrlich zu dir. Seit wir uns kennen... nein, nicht ganz, eher seit ein paar... Wochen, Tagen, weiß nicht genau... hab ich das Gefühl, dass ich total glücklich bin, wenn du bei mir bist. Ganz nah, so wie jetzt. Mein Kopf spielt total verrückt, und ich hab jetzt gerade auch gar keine Ahnung, was genau ich sage oder wie ich es sagen sollte. Jedenfalls... ich denke, ich bin in dich verliebt, und mir erschien... dieser Moment so...", erklärte er, doch ich unterbrach ihn. Ich drückte meine Hand lächelnd und mit strahlenden Augen auf seinen Mund und plötzlich war er mir so nah, wie noch nie zuvor. Unsere Nasenspitzen berührten sich, und ich begann zu kichern. Und dann küsste er mich... endlich! Darauf hatte ich... gewartet? Hatte ich das? Ja, das hatte ich, ganz sicher! Nur nicht bewusst. Oder vielleicht wollte ich es nur nicht wahr haben? Ich hatte mich irgendwie... seit einigen Tagen gefragt, wie es wohl wäre, ihn zu küssen. Und jetzt wusste ich es. An Silvester, beim Feuerwerk. Einen perfekteren Zeitpunkt dafür gab es doch gar nicht, oder? Nein, wohl kaum. Noch nicht einmal der blinkende Eiffelturm wäre besser als das hier. Dieses... atemberaubende Gefühl, das mich durchströmte ließ mich alles, was in der letzten Zeit geschehen war, vergessen. Ich sah Luke an, als wir uns voneinander lösten, und wir beide lächelten. Das war einfach... perfekt. Mehr als nur perfekt. Es war einfach... unbeschreiblich. Als das Feuerwerk zu Ende war trafen wir uns noch mit ein paar Freunden und feierten den Beginn des neuen Jahres. Dann gingen wir irgendwann wieder zu mir nach hause, und als ich im Bett lag, begannen meine Gedanken zu rasen und zu rattern, das war... nicht normal. Ich dachte über die Geschehnisse der letzten Tage nach, über Jake, über Mom und Anna, über meinen Vater und auch über Luke... In den letzten Tagen war einfach so viel passiert. So viele Dinge, die ich verursacht hatte, und die nicht rückgängig gemacht werden konnten. So viele Fehler, tödliche Fehler von mir. Wären Jake und ich mit Mom und Anna mitgegangen auf den Weihnachtsmarkt, dann wäre das bestimmt nicht passiert. Andererseits, wenn Mom daheim geblieben wäre, und sich um mich, ihre einzige Tochter, gekümmert hätte, nachdem diese eben vergewaltigt wurde, wäre Anna auch nicht gegangen, und dann wäre das auch nicht passiert. Warum war Mom eigentlich so? Verantwortungslos irgendwie... Und generell, als ich noch ein kleines Kind war, war sie einfach überfürsorglich gewesen, und das hatte sie nun abgelegt oder wie? Seit ich fünfzehn war, hatte sie sich nicht mehr darum geschert, wann ich zuhause war. Oder was ich machte. Oder wie es mir ging. Nichts von all dem. Früher hatte sie immer gefragt, ob alles in Ordnung sei, und ob ich etwas brauchte. Naja, ich schätze, dass das wohl an der Gruppe hing. Die redeten ihr bestimmt ein, dass ihre Probleme, die sie nicht gehabt hatte, wichtiger seien als die Tochter, die schon für sich selbst sorgen kann. Ich seufzte leise und drehte mich auf die andere Seite. Jake. Was war mit ihm? Und wie ging es ihm? Irgendwie machte ich mir Sorgen, auch wenn wir uns geschworen hatten, uns nicht mehr beieinander zu melden oder uns zu sehen oder zu schreiben. Kein Kontakt. Und trotzdem machte ich mir Gedanken darum. Vor allem da seine Mutter wegen meinem Vater tot war. Im Prinzip also wegen mir. An meiner Wange liefen Tränen hinab, lautlos und leise, so wie immer. Luke lag neben mir, aber er schlief auch nicht, das merkte ich. Ich schob die Gedanken an Jake beiseite, doch dann kam mir augenblicklich das Gefühl in den Sinn, das ich hatte, als ich kurz davor war zu sterben. War ich kurz davor gewesen zu sterben? Was war der Tod überhaupt? Wenn man sich den Tod als eine Person vorstellt, die eine Knochengestalt ist, mit einer Sense und einer schwarzen Kutte, dann ist er gar nicht so beängstigend. Aber wenn man sich den Tod als einen Zustand vorstellt, bekommt man schon irgendwie Angst. Oder nicht? Ich finde es einfach... angsteinflößend, wenn ich mir vorstelle, in diesem... Meer versunken zu sein, und nie wieder nach oben zu kommen. Das ewige Schwarz. Oder was kam nach dem Tod? Und wie war sterben? War das überhaupt so ein Gefühl, wie unter Wasser zu sein und nicht mehr an die Oberfläche zu kommen? Oder war das ein anderes Gefühl gewesen? Keine Ahnung, woher sollte ich das auch wissen? Niemand wusste das. Denn niemand, der noch lebte, war bereits gestorben... Oder? Vielleicht wussten Leute, wie wiederbelebt wurden, ja wie das war. Sterben. Tot sein. Oder sie wussten es nicht mehr. Ich hatte keine Ahnung. Meine Hand wanderte zu meinem Bauch, der immer noch wehtat. Aber es war auf jeden Fall schon viel besser geworden. Aber wo kam das überhaupt her? Ich hatte schon im Internet nach unerklärlichen Prellungen oder Verletzungen allgemein gesucht, doch war irgendwie nur auf magisches Zeug gestoßen, wie Voodoo und so. Aber irgendwie konnte man doch daran nicht glauben... Oder vielleicht schon? Ich war eigentlich nicht so der Typ für magische Geschichten, und auch niemand der an Voodoopuppen und solch einen Hokus Pokus glaubte, aber irgendwie machte das mir schon Angst. Vielleicht hatte mein Dad einfach mal ausprobiert, was passieren würde? Naja, eine ganz so tolle Vorstellung war das trotzdem nicht, an der eigenen Tochter austesten ob Voodoo wirklich funktionierte. Super. Ich atmete tief durch und schob all die bösen Gedanken beiseite, dachte daran, dass ich jetzt mit Luke zusammen war, und wir es endlich geschafft hatten, aus diesem Drama herauszukommen. Ich lächelte verträumt und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
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Geisterdorf
Mystery / ThrillerDie 17-jährige Cathrine hatte kein allzu normales und wohlbehütetes Leben. Nein, eigentlich hatte sie nie so etwas gehabt, wie sich im Laufe der Zeit rausgestellt hatte. Ihr Vater war ein geisteskranker Mörder, der seine Familie am liebsten umgebrac...