Auf das Fensterbrett gestützt blickte ich von meinem Zimmer aus in die Abenddämmerung. Ich war immer noch traurig und bedrückt über meine Situation. Hinzu kam, dass sich unser Sex wieder und wieder in meinem Kopf abspielte, was meine Lage nicht gerade besser machte. Seufzend blickte ich zum Mond auf- und erstarrte. Er war kreisrund. Aufgrund der Geschehnisse hatte ich ganz den Mondkalender aus den Augen verloren. Ein Blick auf mein Handy bestätigte meine böse Vorahnung. Heute Nacht war Vollmond. Ein ungutes Zerren begann in meinem Inneren, wie eine böse Vorahnung. Panisch zog ich die weißen Vorhänge zu, damit so wenig Licht wie möglich in mein Zimmer drang. Das darf einfach nicht wahr sein!, dachte ich verzweifelt, Muss denn gerade alles zusammenkommen?
Ich verzog das Gesicht, als meine Gedärme ungut anfingen zu pochen, als wollten sie wachsen, aber zu wenig Platz haben. Ein Krampf zuckte durch meinen Arm. Mit schmerzverzerrtem Gesicht warf ich mich aufs Bett. Wenigstens konnte ich sicher sein, dass außer mir niemand in diesem Haus sein würde, während ich das hier durchmachte. Bei Vollmond drängte es alle Werwölfe in den Wald. Sie drehten durch, wenn sie nicht Rennen konnten. Ein heftiger Krampf ließ meinen Kopf zur Seite schnellen und mein Nacken knackte ungesund. Kurz schrie ich vor Schmerz auf, dann biss ich die Zähne zusammen.
„Gnaaah.", stöhnte ich qualvoll auf, als es meinen Oberkörper schüttelte und meine Beine in alle Richtungen zuckten. Ich krallte mich in die Bettdecke. Dann spürte ich, wie Teile von mir wölfische Formen und Fell annahmen. Unter brennenden Schmerzen wurden sie wieder zur Haut, während ein anderer Teil zu krampfen anfing. Schweiß brach auf meiner Stirn aus und mir wurde so schwindelig, dass ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Ich machte das jeden Vollmond durch, aber in einer fremden Umgebung war es wesentlich schlimmer.
Meine Zimmertür schwang auf und rotleuchtende Wolfsaugen starrten mich an.
„Gnn- gh.", machte ich verzweifelt, als ich ihn durch meine verschwommene Sicht erkannte. Das konnte nicht sein. Er sollte mich so nicht sehen. Nicht in meinem schwächsten und erbärmlichsten Moment. Dann krümmte es mich, während meine Wirbelsäule sich seltsam verdrehte. Ich biss in die Bettdecke, um nicht aufzuschreien. Plötzlich spürte ich eine zarte Schnauze in meinem Nacken. Flauschiges Fell drückte sich gegen meinen Rücken, als er sich zu mir legte. Behutsam leckte er mir mit seiner rauen Zunge über den Hals. Während ich mich auf diese Geste der Zuneigung konzentrierte, konnte ich mich etwas beruhigen. Ein weiterer Krampf warf mich herum und ließ meinen Arm gegen seinen Rücken schnellen. Doch statt weg zu zucken, veränderte er vorsichtig seine Position, um meinen verdrehten Kopf zu stützen.
Ich wusste nicht, wieviel Zeit verging, meine Sicht verschwamm irgendwann vollends und mein Gehirn kannte nichts als Schmerzen. Nur auf eines konnte ich mich verlassen. Sein weiches Fell an meinem Körper und seine beruhigende Schnauze auf mir. Er war wie eine Fackel, auf die ich mich fokussieren konnte, während alles andere in tiefster Dunkelheit versank. Als mein Körper sich gegen Morgen beruhigte und ich erschöpft in den Schlaf fiel, war er noch da und wachte mit seinen roten Augen über mich.
Gegen Nachmittag erwachte ich mit schweren Gliedern. Sofort sah ich nach ihm, doch er war fort. Ich drückte meine Nase in die Kissen und nahm seinen Duft wahr. Er war also wirklich hier gewesen. Es war keine Einbildung. Er hatte die ganze Nacht bei mir gelegen und dem Drang des Vollmondes widerstanden, in den Wald zu rennen. In mir begann sich ein warmes Gefühl auszubreiten. Ich kroch aus dem Bett und machte mich im Bad fertig. Dann verließ ich mein Zimmer und ging in die Eingangshalle. Die fremden Leute, an denen ich vorbeikam, grüßten mich oder nickten mir respektvoll zu.
„Die erste Tür rechts.", murmelte ich vor mich hin, als ich an der Eingangstür angekommen war. Als ich sie gefunden hatte, klopfte ich an.
„Komm rein.", ertönte seine Stimme.
Ich trat in sein Büro und schloss die Tür hinter mir. Die Geschäftigkeit der Eingangshalle verstummte und wir sahen uns schweigend an. Seine Augen waren wieder grün, aber der Blick und die typischen Züge seines Gesichtes, hatte ich auch bei seiner Wolfsform gesehen.
„Hey.", sagte ich.
„Guten Nachmittag.", meinte er, „Ich hoffe, du konntest noch etwas Schlaf nachholen nach dieser Nacht."
Ich nickte.
In dem Blick, mit dem er mich musterte, lagen viel zu viele Dinge, als dass ich sie einzeln hätte benennen können.
„Danke.", murmelte ich, „Danke, dass du bei mir gewesen bist."
„Verve, ich-", begann er und stockte, was eigentlich so gar nicht seine Art war. Dann fuhr er fort: „Ich will immer bei dir sein, wenn es dir schlecht geht. Ich will immer für dich da sein, wenn du mich brauchst."
Ich schluckte schwer.
„Aber du hast in Paris gesagt, dass wir uns aus dem Weg gehen müssen.", erinnerte ich ihn mit fragendem Blick.
„Weil ich Verpflichtungen gegenüber meinem Rudel hatte und dachte, dass ich ohne dich leben kann und du ohne mich. Das war ein Trugschluss.", erklärte er.
„Es tut mir unfassbar leid, was ich getan habe. Dass ich dich gegen deinen Willen aus deinem Rudel gerissen habe mit meiner Aktion. Damit habe ich vermutlich dein Leben kaputt gemacht.", fuhr er betreten fort.
Ich senkte nachdenklich den Blick.
„Es ist nicht so, dass- also ich glaube, dass du ein sehr guter Alpha bist und ich mag dein Rudel bis jetzt. Da die Reviere aneinandergrenzen, werde ich auch meine Freunde und Familie jederzeit besuchen können.", begann ich, dann schüttete ich mein Herz aus: „Aber es tut so verdammt weh, deine Omega zu sein. Ich bin dein rangniedrigster Wolf. Ich muss dir gehorchen und darf mich dir nicht nähern, außer du erlaubst es. Man ist sich so nah und doch so fern, weißt du?" Unsicher beobachtete ich seine Miene.
Kurz schien er etwas verwirrt, dann lächelte er.
„Und wie kommst du darauf, dass du meine Omega bist?", fragte er.
„Naja, weil ich eine bin!?", sagte ich langsam.
„Du warst in Relards Rudel die Omega. Das macht dich nicht zu meiner Omega.", erklärte er. Und dann fügte er hinzu: „Ich hatte eigentlich vor, dich zu meiner Luna zu machen. Sofern du das möchtest."
Ich starrte ihn an. Nur mit aller Gewalt konnte ich meine Kinnlade davon abhalten, runterzuklappen.
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Alpha und Omega - Die Wege der Göttin
WerewolfVerve ist die Omega ihres Werwolf- Rudels. Alpha- Wölfen geht sie lieber aus dem Weg. Bis sie auf Alpha Xerian trifft, der ein brennendes Verlangen in ihr auslöst. Verwirrt von ihren Gefühlen gegenüber dem kalten Alpha, versucht sie, über ihn hinweg...