Kapitel 7

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Frierend schwinge ich mich auf mein Fahrrad und fahre los. Ein kalter Wind umgibt mich und ich bin froh, dass ich Martins Jacke anhabe. Ohne sie würde ich wahrscheinlich krank werden.

Meine Gedanken gehen zu ihm. Ich frage mich, warum es ihm so wichtig war zu erfahren, ob ich die Person am Stadion war. Warum er dafür extra in der Nacht hinter dem Pure wartet, um mich abfangen zu können? Ich finde es komisch, mache mir aber keine weiteren Gedanken dazu.

Nach 15 Minuten Fahrt bin ich in meinem Viertel in Frankfurt angekommen. Ich wohne nicht im besten Viertel. Alles ist sehr heruntergekommen, es gibt häufig Schlägereien und ich bin immer wieder froh, wenn ich gut zu Hause ankomme. Zur Sicherheit habe ich aber immer ein Pfefferspray in meiner Tasche dabei. Sicher ist sicher.

Ich biege in meine Straße ein und höre bereits von weitem Gelächter und Gegröle. Ich hoffe einfach nur, dass es Leute sind, die ich kenne und dass ich jetzt nicht noch irgendwie dumm angelabert werde. Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen.

"Hey Miri", werde ich plötzlich gerufen und jetzt erkenne ich auch, wer dort unter der Laterne vor dem geschlossenen Kiosk steht und einen Plastikbecher in der Hand hat.

Es sind Cem und seine Freunde Alex, Hamza und Farid. Die vier leben hier schon im Viertel, seitdem sie denken können. Sie sind hier aufgewachsen und ich kann mir vorstellen, dass sie auch ihr restliches Leben hier verbringen werden. Sie lieben ihr Viertel und das zeigen sie auch deutlich.

Cem ist wie der Kopf der Gruppe. Ich habe ihn bei meinem Einzug kennengelernt. Er wohnt im gleichen Haus wie ich und versucht seit Tag eins mich rumzukriegen. Aber ich blocke alle Versuche ab, auch wenn er nicht schlecht aussieht.

Ich bleibe kurz vor ihnen stehen, stelle mein Fahrrad ab und laufe die restlichen paar Schritte zu ihnen.

"Hey", begrüße ich die vier und muss sofort gähnen. Dazu kommt in mir die Frage auf, was zur Hölle sie Donnerstagsnachts hier draußen machen. Jeder normale arbeitende Mensch müsste morgen früh raus, aber anscheinend nicht die vier.

"Wie war deine Schicht", fragt Cem nach und grinst mich an. Sie wissen, dass ich im Pure arbeite. Sie haben mich dort irgendwann mal hineingehen sehen. Aber es macht mir mittlerweile nichts mehr aus.

"Anstrengend", gebe ich nur von mir. "Kann ich etwas abhaben", frage ich und zeige auf die Vodka- und Saftflaschen auf dem Boden. So ein bisschen Alkohol ist jetzt genau das richtige.

"Klar, du immer", sagt er, stellt seinen Becher ab und füllt mir eine Vodka-Saft-Mischung in einen neuen Becher.

Er gibt sie mir und sagt: "Weißt du, ich würde ja ziemlich gerne mal eine Show von dir sehen. Wie du auf der Bühne tanzt und gerne auch mit dir in einem Zimmer verschwinden, aber eure Türsteher lassen mich ja leider nicht rein."

Ich muss ein wenig lachen. Wie häufig schon hat Cem mir diesen Satz gesagt. Er probiert es immer wieder und ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich nachher noch bis zu meiner Wohnungstür begleiten wird, nur um zu schauen, ob er vielleicht doch eine Chance hat. Aber die wird er nicht haben, vor allem nicht heute, wo ich gerade von meiner Schicht komme.

"Tut mir sehr leid, aber auch ich kann da nichts machen, damit die Türsteher dich durchlassen", grinse ich ihn an. Cem und seine Freunde passen einfach nicht in das Klientel, dass Sascha im Pure haben möchte. Sie sind salopp gesagt zu "assi". Würden sie sich schick anziehen, bin ich mir sicher, dass sie hineingelassen werden würden. Aber mit Baggyjeans, Basecap und Lederjacke wird man im Pure an der Tür abgewiesen. Das verrate ich den vieren aber nicht, denn sonst sitzen sie plötzlich irgendwann mal vor mir.

"Du könntest mir aber natürlich eine private Vorstellung geben", flüstert Cem plötzlich und kommt mir ganz nah.

Ich muss grinsen und nehmen einen Schluck aus meinem Becher. Es ist eindeutig zu viel Vodka drin, denn die Flüssigkeit brennt, als ich sie runterschlucke.

"Du versuchst es immer wieder", flüstere ich genauso zurück, entferne mich dann aber einen Schritt von Cem.

"Ich kann nicht anders. Irgendwann wirst du mir nicht widerstehen können", sagt er und zwinkert mir zu. Alex, Hamza und Farid müssen lachen und auch mir schleicht sich ein Lächeln auf die Lippen. Denn auch wenn ich alle Annäherungsversuche von Cem abblocke, reagiert mein Körper auf ihn. Wenn er mir näher kommt, so wie gerade, bekomme ich häufig eine Gänsehaut, ich könnte manchmal in seinen Augen versinken und er trägt absolut gut riechendes Parfum. Doch bis jetzt bin ich immer standhaft geblieben. Ich hoffe nur, dass das auch so bleibt.

"Warum trägst du eigentlich eine Eintracht-Jacke?", fragt plötzlich Hamza. "Seit wann interessierst du dich für Fußball?"

Ich schaue an mir herunter und realisiere erst jetzt, dass auf meiner Brust das rot-weiße Eintracht Frankfurt Logo platziert ist. Martin hat mir also eine Trainingsjacke von ihm gegeben und ich bin in diesem Moment einfach nur froh, dass nicht auch noch seine Initialen auf der anderen Seite aufgedruckt sind. Sonst wäre ich in großer Erklärungsnot.

"Äh, die ist nicht mir. Die ist einer Kollegin", antworte ich spontan, da ich nicht weiß, was ich sonst antworten soll.

"Einer Kollegin?", fragt nun Alex skeptisch nach. "Das ist eine Männerjacke. Die ist dir doch schon viel zu groß."

"Ja, sie ist nicht direkt einer Kollegin, aber ihrem Freund. Sie hatte sie heute an und hat sie mir mitgegeben, da ich nur eine dünne Trainingsjacke mit hatte", antworte ich nervös und überspiele es mit einem Grinsen.

Die Gruppe an Männern nickt.

"Ich würde euch jetzt auch mal wieder alleine lassen. Ich bin echt müde", sage ich und trinke in einem Zug meinen Becher leer.

Ich verabschiede mich und gehe zu meinem Fahrrad, was ich nun auf die andere Straßenseite schieben möchte, da dort das Haus ist, in dem ich wohne.

"Warte, ich begleite dich", höre ich plötzlich Cem hinter mir, der angejoggt kommt. Habe ich doch Recht gehabt, dass er mich nicht alleine nach Hause gehen lässt.

Wir schweigen uns auf dem kurzen Weg zu meinem Wohnhaus an. Vor der Tür stelle ich mein Rad in den Fahrradständer, schließe es ab und öffne die Tür. Cem folgt mir und wir betreten den Fahrstuhl.

"Du weißt, dass ich das alles ernst meine, Miri?", sagt er plötzlich und ich schaue ihn fragend an.

"Die Sache zwischen uns. Ich gebe zwar viele dumme Sprüche von mir, aber ich meine es ernst." Der Fahrstuhl bleibt mit einem 'Pling' in meiner Etage stehen und wir treten hinaus. Vor meiner Wohnungstür redet Cem weiter.

"Du bist eine tolle Frau und würde dicht echt gerne näher kennenlernen. Mir ist es auch egal, dass du im Pure arbeitest", Cem kommt auf mich zu und nimmt meine Hände in seine.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll und schaue ihn einfach nur an. Cem ist wirklich nett, aber könnte ich mir mehr mit ihm vorstellen? Ich weiß es nicht.

"Du musst auch erstmal gar nichts sagen. Einen Kaffee gemeinsam zu trinken, würde mir schon reichen. Schreib mir einfach, wenn du Lust und Zeit hast. Ich würde mich echt freuen", sagt er noch, lässt meine Hände los und verschwindet die Treppe nach unten.

Rotlicht Liebe - Martin HintereggerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt