Kapitel 8

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Als der von mir gestellte Wecker klingelte, zog ich mir stöhnend die Decke über den Kopf. Kein Wunder, schließlich war es erst 03:00 Uhr morgens. Gähnend kämpfte ich mich aus meinem gemütlichen Bett, zog mir eine graue Jogginghose und einen schwarzen Kapuzenpulli an und flechtete meine blonden Haare zu einem Zopf. Rasch griff ich nach meiner Taschenlampe und tappte so leise es eben ging in Richtung Nebenzimmer. Vorsichtig klopfte ich. Keine Reaktion. Ich klopfte zum zweiten Mal, wieder nichts. Genervt stöhnte ich und riss die Tür auf. Wenn sich die Jungs schon unbedingt durchsetzen mussten, den verspäteten Willkommens-Streich für die Hühner zu so unchristlichen Zeiten durchzuführen, sollten sie wenigsten pünktlich sein. Zu meiner Überraschung waren beide Betten im Vorzimmer leer. Verwundert schlenderte ich weiter ins Nebenzimmer, wo ebenfalls niemand vorzufinden war. Verdutzt sah ich mich um. Auf dem Schreibtisch lag ein Zettel. Langsam hob ich ihn auf und las. "Wir warten in der Folterkammer! P.S. vergiss die Taschenlampe nicht". Aha. 

Als ich stürmisch die Tür zur Folterkammer aufriss, sah ich zu meiner Überraschung nicht nur in die erschrockenen Gesichter meiner Freunde, sondern auch in Die von zwei Unbekannten. Nein, wartet - die kannte ich doch. Eines davon zumindest. Es war niemand geringeres als Max, der typ vom Buffet und wohl ein anderer Austauschschüler. "Verdammt, Emma! Wegen dir krieg ich noch einen Herzinfarkt!", fluchte Mücke gereizt. "Jaja, tut mir leid. Und was -", mit hochgezogenen Augenbrauen deutete ich mit dem Kopf auf unsere Gäste. "Soll das?". Auf Walzes Gesicht machte sich ein Grinsen breit. "Das sind Max und Fabi, die kommen mit." Peinlich berührt fuhr sich Max durch seine blonden Haare. "Wir hatten bereits das Vergnügen", räusperte er sich. Ich nickte nur überfordert. Leicht verwundert blickte Stephan zwischen uns her, doch schien es nicht weiter zu hinterfragen. "Wollen wir dann los oder was?", unterbrach der rot-blonde Junge, wohl Fabi, die unangenehme Situation. Ich nickte erneut, diesmal eher erleichtert. 

Nun also zu acht und mit einem Sack Hühner im Gepäck quetschten wir uns in zwei Ruderboote und ruderten über den Kapellensee in Richtung Schloss Rosenfels. Ich saß mit Dampfwalze, Strehlau und Fabi in einem Boot. Während sich die zwei Schreckensteiner mit paddeln herumschlugen, nahm ich vorsichtig eines der aufgeregten Hühner aus dem Sack und setzte es auf meinen Schoß. "Irgendwie tun die mir ja schon leid, wenn wir sie der Horn quasi ausliefern", schmunzelte Fabi zu meiner Linken. Ich musste ebenfalls schmunzeln. "Mir auch. Sind ja schon ganz niedlich. Aber das Gesicht der Horn würd ich gerne sehen". Wieder schmunzelte der Rot-Blonde. Geschickt zog er eine Packung Zigaretten aus der Tasche seines grauen Sweatshirts. "Stört es euch?" Da Niemand etwas dagegen einzuwenden hatte, zündete er mit aller Ruhe der Welt eine Zigarette an. Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte auf das Qualmende Ding in seiner Hand. Ich hatte aufgehört zu rauchen, nicht nur, wegen meiner Gesundheit oder meiner Mutter, sondern auch Stephan zu Liebe. Er war mächtig stolz auf mich. Ich war auch stolz auf mich. Es gab mir das Gefühl, dass ich tatsächlich schaffen konnte, was ich wirklich wollte. 

Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr in einem Alptraum vor einem Monster oder so weglaufen wollt aber euch nur ganz langsam oder gar nicht bewegen könnt, sodass ihr dem Monster hilflos ausgeliefert seit? Manchmal fühle ich mich so. Nur, dass ich vor keinem Monster flüchte, sondern vor mir selbst. Meinen Gedanken, meinen Ängsten. Dingen, die mich beschäftigen, traurig machen. Und Stephan war mein Fels in der Brandung. Sobald er da war, war alles gut. Einmal, als wir über so tiefgründigen Blödsinn gequatscht haben, hat er mich gefragt, welche Frage mich am meisten beschäftigt. Unentschlossen, ob ich ihm tatsächlich von meinen Gedanken erzählen sollte, rutschten mir die Worte einfach heraus. Mein Vater, hatte ich gesagt. Wie war er so? Wieso wollte er nichts mit mir zu tun haben? Wieso hatte er sich nie gemeldet? All diese Fragen schwirrten mir durch den Kopf. "Deine Eltern waren noch so jung als sie dich gekriegt haben, das war dem wahrscheinlich einfach zu viel. Außerdem, wenn er sich melden wollte, hätte er es längst getan." Das waren seine exakten Worte. Und genau das war eine der Eigenschaften, die ich an Stephan so schätzte. Er war immer ehrlich mit mir. Erzählte mir nicht nur die Dinge, die ich hören wollte, sondern die knallharte Wahrheit, die ich vielleicht gar nicht hören wollte, aber musste.

"Willst du?". Leicht erschrocken, so abrupt aus meinen Gedanken gerissen geworden zu sein, schüttelte ich den Kopf. "Danke, hab aufgehört." Wissend nickte Fabi. Er war die Art von Person, die man nicht durchschauen konnte, doch die andere wie ein offenes Buch lesen konnte, soweit konnte ich ihn schon einschätzen. Vorsichtig streichelte ich das immer noch auf meinem Schoß sitzende Huhn. Es war eine klare Nacht, der Mond war fast voll und brachte den ganzen See zum Glitzern. Nach einer Weile bemerkte ich, wie mich jemand von der Seite ansah. Fragend schaute ich zurück. "Ist was?" - "Nein" In Fabis Blick lag ein leichtes Grinsen. Aber noch etwas. Etwas, das ich nicht einordnen konnte. Etwas undefinierbares.


Seit ihr bereit? Ich bin es nicht. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 15 ⏰

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