14 | Astrid

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Das Meer war ruhig, als ich lossegelte. Ich konnte durch das Dunkel der Nacht nicht weit sehen, weshalb ich das Segel nur zur Hälfte hisste, damit ich nicht zu schnell vorantrieb. Keiner hatte bemerkt, wie ich mein Zelt abbaute, das Boot ins Wasser schob und mich davon machte. Bei dem Geschnarche war das auch kein Wunder. Nicht einmal ein Vulkanausbruch könnte das übertönen.

Mittlerweile konnte ich den Rand der Sonne am Horizont erkennen, wodurch der schwarze Himmel langsam in Licht getaucht wurde. Um mich herum war weit und breit keine Insel zu sehen, nur das schäumende Meer, ein paar Algen und zwischendurch ein Schwarm Fische. Es war ruhig, nur das Schwappen der Wellen am Boot war zu hören.

Während ich hinausblickte, fing ich an zu grübeln. Ich hoffte, Haudrauf könnte meinen Vater davon abhalten, mir zu folgen, auch wenn es nicht wirklich möglich war, immerhin wusste keiner, wohin ich segelte. Nicht einmal ich selbst wusste es und so langsam kam mir die Idee, mitten in der Nacht ein Boot zu stehlen und auf eigene Faust weiterzusuchen, ein wenig idiotisch vor. Ich hatte mir nur vorgenommen, in die entgegengesetzte Richtung zu segeln, als die anderen heute segeln wollten, damit genug Entfernung zwischen uns herrschte. Wenn ich nämlich Hicks finden würde, wollte ich das alleine und nicht mit den erwachsenen Wikingern seines alten Dorfes im Gepäck, die ihn sofort anmaulen würden.

Mir entkam ein Seufzer. Würde ich ihn überhaupt finden? Oder etwas, was mich auf seine Fährte bringen würde? Wenn nicht, müsste ich zurück nach Berk segeln und wäre dem Spott meines Vaters ausgesetzt, was ich mit allen Mitteln verhindern wollte. Außerdem musste er hier irgendwo sein, selbst wenn er nicht an derselben Stelle wohnen bleiben würde. Es waren fünf Jahre vergangen, in denen wir so gut wie jede Insel um Berk herum abgeklappert haben; sogar die, zu denen man vier Tage unterwegs war. Wie weit war er damals geflogen?

Da die Sonne jetzt ganz über dem Meeresspiegel stand, hisste ich das Segel komplett. Sofort spürte ich, wie ich schneller vorantrieb. Leider hatte ich immer noch keine Ahnung, wo genau ich war und wo ich landen würde, wenn ich weiter geradeaus segelte. Trotzdem hielt ich den Kurs bei.

Nach weiteren ruhigen Stunden, in dem die Sonne über mich gerückt war, explodierte plötzlich etwas am Himmel

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Nach weiteren ruhigen Stunden, in dem die Sonne über mich gerückt war, explodierte plötzlich etwas am Himmel. Ich zuckte vor Schreck zusammen, ließ meine Augen das Blau absuchen und fand schließlich einen lilanen Lichtkreis, der sich gerade auflöste. In meinem Kopf gingen sofort die Alarmglocken los. Diese Art Explosion hatte ich zuletzt vor fünf Jahren gesehen, an dem Abend des letzten Drachenangriffs. An dem Abend, wo Hicks uns erzählt hat, er hätte einen Nachtschatten abgeschossen. Derselbe Nachtschatten, der nicht mit Feuer, sondern lila Plasmastrählen schoss.

Ich fiel fast hin, so schnell versuchte ich auf die andere Seite des Bootes zu kommen, und tatsächlich, da war er. Gerade eben durch die Wolkenschicht in mein Sichtfeld gekommen, flog der Nachtschatten vor mir auf die Insel zu, die sich am Horizont erstreckte. Von hier aus konnte ich nur nicht erkennen, ob er alleine war oder jemand auf seinem Rücken saß.

Vor lauter Schock und Ungläubigkeit vergaß ich fast den Kurs des Bootes zu ändern, denn ich schaute dem Drachen immer noch hinterher, als er längst an den hohen Bäumen der Insel angekommen war. So schnell mich meine Füße tragen konnten, rannte ich zum Heck und betätigte die Pinne.

Bei Odin, bitte lass das Hicks' Nachtschatten sein, betete ich in Gedanken.

Wenn er es nicht war, war das hier eindeutig der größte Streich, den die Götter mir jemals gespielt haben. Nach so langer Zeit sichtete ich endlich einen Nachtschatten und dann war es nicht der von Hicks? Niemals, so grausam war nicht einmal Hel. Obwohl, sie wahrscheinlich schon, aber das hier war nicht die Zeit, um über die Gemüter der Götter nachzudenken.

Mit zittrigen Knien und nervösem hin- und herlaufen, kam ich der Insel immer näher. Die Bäume wurden immer höher und höher und schienen in den Himmel gewachsen zu sein. Die Luft wurde stickig und die Wolken dichter, als würde ein Gewitter aufziehen. Ich hoffte, dass ich nicht vom Blitz erschlagen werden würde, bevor ich gesehen habe, ob Hicks bei dem Drachen war.

Als ich endlich nah genug am Strand war, sprang ich aus dem Boot, zog es in den Sand und schaute mich um. Es gab keine Fußspuren, also waren sie nicht hier gelandet. Ich müsste einmal den Strand ablaufen, um deren Fährte aufzunehmen, denn ich glaubte nicht, dass der Nachtschatten mit ausgebreiteten Flügeln zwischen die dichten Bäume gepasst hat. Ich entschied mich für rechts und ging los.

Mit jedem Schritt schien mein Herz schneller zu schlagen. Ich war so nah dran, so nah, ihn wiederzusehen und endlich mit ihm zu reden. Es war so viel Zeit vergangen, so vieles passiert, bei ihm wahrscheinlich mehr als bei mir, und auch wenn wir früher nichts miteinander zu tun hatten, ich wollte mit ihm sprechen. Ich wollte ihm alles erzählen. Ich wollte ihm in die Arme fallen und ihn festhalten. Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen dafür, dass er einfach so abgehauen war. Ich wollte-

Ein Knacken riss mich aus meine Gedanken und ließ mich in der Bewegung inne halten. Links von mir im Wald hat sich etwas bewegt und lief von mir davon, ich konnte aber nicht erkennen was. Kurzerhand beschloss ich, dem Etwas zu folgen, mit nur einem kleinen Dolch im Schuh. Sollte dieses Wesen also ein bösartiges großes Tier sein, habe ich gerade meinen Todesvertrag unterschrieben.

Ich lief zwischen den dicken Stämmen hindurch, ignorierte das Gesumme der vielen kleinen Insekten, die herumschwirrten. Über mir raschelte das Laub, als sich Vögel oder möglicherweise Affen einen Weg bahnten. Die Büsche wurden dichter, wodurch meine Schritte lauter wurden, da ich sie beiseite schieben musste. Sollte das vor mir Hicks oder der Nachtschatten sein, dann hoffte ich, hörten sie das alles nicht.

Als ich um die nächste Ecke bog, hörten die Sträucher vor mir auf sich zu bewegen. Ein bunter Vogel kam zum Vorschein, hob ab und setzte sich auf einen der untersten Äste des nächsten Baumes, von wo aus er mich beobachtete. War ich etwa ihm die ganze Zeit gefolgt? Wie konnte ich das denn nicht bemerken?

»Na super ...«, murmelte ich vor mich hin, denn ich war nun alleine mitten im Wald. Der Strand war kein bisschen mehr zu sehen, nur noch dicke Baumstämme und dunkle Sträucher. Insekten summten weiterhin um mich herum, hier und da krächzten die Vögel, aber keine Spur von einem Drachen. Ich konnte plätscherndes Wasser hören und beschloss, in die Richtung zu gehen. Immerhin durfte ich bei dieser stickigen Hitze nicht dehydrieren.

Auf dem Weg dorthin wurden die Büsche wieder lichter, wodurch ich einen einigermaßen Trampelpfad entlang lief. Für wie lange ich dem folgte wusste ich nicht, dafür war ich zu sehr in Gedanken verloren, aber als ich nach rechts in Richtung des Plätscherns abbog, öffnete sich vor mir eine Lichtung. Das Geräusch kam von einem kleinen Wasserfall, der in einem Bach mündete und die grüne Landschaft durchschnitt. Hier oben war es neben dem Wasser steinig, während unten Gras war, was ziemlich matschig geworden war. Auf dem steinigen Teil vor mir saß ein Mann mit braunen Haaren und einer ledernen selbstgebauten Rüstung.

Hicks.

Für eine Sekunde war ich so überrascht, dass ich das Atmen vergaß. Er war hier, er war wirklich hier. Er saß an diesem kleinen Abhang, stützte sich nach hinten auf seine Hände, ließ seine Beine über der Kante baumeln und schaute dem Nachtschatten dabei zu, wie er unten im Wasser planschte. Ich musste mich einmal kneifen, um mich zu vergewissern, dass ich das hier nicht träumte. Es war real, er war vor mir, keine zehn Schritte entfernt.

Ein Bild tauchte vor meinem inneren Auge auf, wie er damals an der Klippe auf Berk den Sonnenuntergang beobachtet hatte. Dafür war es jetzt noch zu früh, wir hatten gerade mal Mittag, aber ich tat, was ich vor langer Zeit hätte tun sollen.

Ich ging auf ihn zu und setzte mich neben ihn.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt