12 | Hicks

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Zwei Jahre später

Wir flogen so schnell über das Meer, dass sich an unseren Seiten schäumende Wellen bildeten. Die Donnertrommler, die direkt unter der Oberfläche glitten, ließen sich von uns nicht beirren. Sie beäugten uns nur neugierig.

Ohnezahn ließ seine Zunge raushängen, als ich ihn nach oben zog. Er war ein verspielter Drache, manchmal schlimmer als jedes Baby, aber dafür hatte ich ihn gern. Ich war ja selbst nicht vollkommen erwachsen, obwohl ich mittlerweile zwanzig war. Wir brauchten den Spaß und Nervenkitzel im Leben.

Wir drehten uns einmal um die eigene Achse und fanden uns über der ersten Wolkenschicht wieder. Ein dunkelfarbiger Holzklau flog neben uns her, unterhielt sich kurz mit Ohnezahn und ließ sich dann fallen, wahrscheinlich um sich ein paar Fische zu holen.

»Na, was sagst du, Kumpel?«, sagte ich gut gelaunt. »Das scheint doch ein perfekter Moment zu sein, um unseren Flug zu üben.«

Er schüttelte sich, woraufhin ich auflachte. Ich stellte die Prothese richtig ein und legte meine Hand auf seinen Kopf. »Bereit?« Er grummelte genervt, was ich als ein ›Du wirst es ja so oder so tun‹ auffasste. Da hatte er recht.

Ich stand auf und sprang ohne zu zögern von seinem Rücken, mitten auf das Meer weit unter uns zu. Ohnezahn hatte die Flügel eingezogen und fiel nun vor mir, sodass wir Bauch an Bauch, mit dem Kopf voraus, in die Tiefe fielen. Erst als das Meer wieder in Sichtweite war, zog ich die Enden an meinen Ärmeln durch die Schlaufen an meinen Knöcheln und öffnete somit meine eigenen Flügel. Ohnezahn öffnete seine und zusammen glitten wir durch die Luft.

Mein Fluganzug war ein voller Erfolg. Es war zwar das dreiundzwanzigste Modell, aber immerhin funktionierten nun die Flügel. Wobei Flügel nicht der richtige Begriff war, eher lederne Membran, die der eines Flugeichhörnchens ähnelte, die mich in der Luft hielt. Wenn ich mich an mein viertes Modell erinnerte, bei dem ich versucht hatte, Drachenflügel nachzubauen, war das hier um einiges besser. So lange ich fliegen konnte, war mir das Aussehen nicht wichtig.

Der Nebel lichtete sich ein wenig, was mir einen perfekten Blick auf mindestens ein Dutzend Felsen gab, die vor uns waren. Und ich steuerte direkt auf einen zu.

»Ohnezahn!«, rief ich, aber der hatte die Gefahr bereits erkannt. Seine Flügelkämme waren ausgefahren und er kam im Eiltempo auf mich zugeflogen. Währenddessen versuchte ich meine Geschwindigkeit ein wenig zu dämmen, damit er mich nicht vom Felsen kratzen müsste.

Seine Pfoten packten mich und er wich dem ersten Gesteinsbrocken aus. Leider war seine Prothese noch falsch eingerastet, weshalb er beschützend die Flügel um mich legte und sich auf eine Bruchlandung gefasst machte. Wir knallten gegen etwas, was uns zur Hälfte ausbremste. Wir fielen, knallten wieder auf etwas, ein erneuter kurzer Fall, dann lagen wir auf festem Boden.

Ohnezahn öffnete seine Flügel und ich kullerte aus seinem Griff. Ich blieb kurz auf dem Rücken liegen, um wieder zu Atem zu kommen. Ohnezahn tat es mir gleich, schaute mich dabei aber sauer an.

»Gut gemacht, Kumpel«, sagte ich beim Aufsetzen, seine Miene ignorierend. Er grummelte mich nur an.

Bei dem Anblick, der sich mir bot, konnte ich nur staunen. Die ganze Gegend war von Bäumen bedeckt, deren Blätter gelb und orangerot gefärbt waren, wodurch das gesamte Tal zu leuchten schien. Viele verschieden dicke Flüsse verliefen in einem natürlichen Muster hindurch und teilten somit das Land in Stücke auf. In der Ferne erstreckten sich hohe Berge, die von Schnee bedeckt und von Nebel verhüllt waren. So etwas schönes, knalliges hatte ich noch nie zuvor gesehen. Vielleicht hatte es doch etwas Gutes, dass wir abgestürzt waren.

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