Prolog

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Hicks

Ich setzte mich auf seinen Rücken, meinen Fuß steckte ich in die Halterung zum Bewegen der Prothese. Ein weiteres und letztes Mal sah ich mich in unserer Schlucht um. Hier hatte ich mich mit ihm angefreundet, lernte ihn und so viel Neues über unsere jahrelangen Feinde kennen ... hier verließ ich mein Zuhause. Es ging nicht anders. Ich sollte einen Drachen töten, ich! Nein, das konnte und wollte ich nicht. Ich würde es niemals können, geschweigedenn wollen. Zwar mochte und feierte mich fast jeder zurzeit für meine Taten im Training, aber um welchen Preis? Wenn ich dem Drachen gegenüber gestanden hätte, wäre alles ans Licht gekommen. Jeder hätte erfahren, dass ich Drachen nicht als Feinde ansah. Jeder hätte erfahren, dass all meine Tricks im Training eben nur Tricks waren. Und vor allem hätten sie sehr wahrscheinlich herausgefunden, dass ich einen Nachtschatten gezähmt habe. Dass es keine Lüge war, als ich gesagt habe, dass ich ihn getroffen hatte. Niemals würde ich meinen besten Freund verraten.

Dann sah ich zu ihm hinunter. »Bereit, Kumpel?«

Er sah mich ebenfalls an. Sein Blick wirkte mitleidig, fast schon traurig, aber ich schüttelte nur den Kopf. »Es ist das Richtige, Ohnezahn. Was für eine Wahl habe ich denn?«

Er drehte seinen Kopf nach vorne und das sah ich als Ende dieser Unterhaltung an. Ich drückte meinen Fuß nach hinten, damit sich die Prothese öffnete und Ohnezahn abheben konnte. Wir flogen hoch zu den Wolken, sodass niemand erkennen konnte, dass ein Nachtschatten über ihnen hinwegflog. Zum Glück dachten die Wikinger meines Dorfes nicht daran, dass solch ein Tier am Tag angreifen würde, da es durch seine dunkle Haut bei Nacht besser getarnt war. Somit wurden wir bestimmt nur für einen großen Vogel gehalten.

Von hier oben sahen die Menschen dort unten aus wie kleine Ameisen, dennoch konnte ich die breite und standhafte Figur meines Vaters ausmachen. Er stand an der Schmiede und redete mit Grobian. Oder lachte mit ihm über etwas, zumindest schien er sich zu schütteln. Das ließ mich jedoch daran denken, dass er, sobald er bemerken würde, dass ich fort war, nicht mehr lachen würde. Er würde enttäuscht von seinem Sohn, seinem einzigen Nachfolger, sein. Er wird denken, dass ich vor dem Drachen geflohen bin, vor meinem Schicksal. Er wird, so wie alle anderen auch wieder, denken, dass ich ein Feigling bin.

Dann erkannte ich die anderen in meinem Alter. Sie schlenderten gerade vom Dorfplatz in Richtung der Docks. Raffnuss und Taffnuss schienen sich wieder zu kebbeln, während Rotzbakke auf Fischbein über irgendetwas einredete und Astrid ... sah direkt zu uns hoch! Ich hielt vor Angst, dass sie meine Silhouette erkannt hatte, die Luft an, lehnte mich nach vorne, bis ich flach auf Ohnezahns Rücken lag und lugte nach unten. Sie drehte in diesem Moment ihren Kopf zu Taffnuss, der gegen sie gerempelt war und schlug ihn über ihre Schulter. Raffnuss fing an ihn auszulachen.

Ich atmete erleichtert aus. Hoffentlich hatte sie nicht erkannt, dass das hier ein Drache und kein Vogel war. Aber sie tat mir leid, immerhin hatte ich, ich!, ihr die Show gestohlen. Sie war eine Hofferson und somit Angehörige der wahrscheinlich furchtlosensten Familie Berks. Ich konnte verstehen, weshalb sie mich nicht mochte. Wer wollte schon, dass so ein kleiner Hempfling mit Tricks im Training angibt und dadurch gewählt wird, den Riesenhaften Albtraum zu töten, obwohl die große und tapfere Kriegerin direkt neben einem steht? Genau, niemand.

»Komm, lass es uns so schnell wie möglich hinter uns bringen«, sagte ich zu Ohnezahn und ließ ihn beschleunigen. Als ich das nächste Mal zurück sah, war mein Zuhause fast nur noch ein Fleck am Horizont.

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