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„Das kann nicht dein Ernst sein!"
Ich blickte über den Rand meiner Brille hinweg zu dem Ursprung dieses doch etwas dramatischen Ausrufs.
Simons wie immer in alle Richtungen abstehenden roten Haare unterstrichen das leicht verrückte Funkeln in seinen grünen Augen als er in seiner unnachahmlichen Manier ins Zimmer stürmte.
„Ich habe dir zwei Wochen gegeben.", sagte ich schlicht und widmete mich wieder den Unterlagen vor mir in der Hoffnung, dass er seinen Unmut an jemandem anderen auslassen würde.

Simon ließ sich stattdessen auf einen Stuhl fallen und starrte mich anklagend an. Seufzend packte ich die Papiere zusammen und legte sie zur Seite bevor ich mich wieder Simon zuwandte.
„Also, was genau ist es diesmal, dass dir so auf dem Herzen liegt?", fragte ich.
„Das weißt du ganz genau! Ich kann unmöglich mit diesem,... diesem Esel in ein Zimmer ziehen! Das ist doch Wahnsinn!", beschwerte Simon sich lautstark.
„Ich habe euch genug Zeit gegeben, das Problem selbst zu lösen. Montag kommen die Neuen, bis dahin brauchen wir noch ein freies Bett. Da du dich weigerst, jemanden aufzunehmen, ist die einzige Alternative, dass einer der Anderen bei dir einzieht.", erklärte ich ruhig.
Wie bei den fünf vorherigen Malen, bei denen wir diese Konversation geführt hatten, trafen meine Worte auf taube Ohren.
„Und warum muss es ausgerechnet Nicky sein? Er hat mir erst gestern meine letzten Schoko Kekse geklaut und er muss immer überall seinen Kram verteilen!" „Du kannst auch wieder mit Max zusammen ziehen."
Diese Aussage brachte mir ein entsetztes aufkreischen ein.
„Niemals! Der schnarcht so laut, damit kann man selbst die Toten wecken. Ich brauch meinen Schönheitsschlaf!"
Ich zog fragend eine Augenbraue hoch und blickte auf das Nest auf seinem Kopf.
„Und du quasselst im Schlaf.", kam die giftige Bemerkung von der Couch.
„Stimmt gar nicht!", schoss Simon sofort zurück und verrenkte den Nacken, um Max über die Couchlehne hinweg mit bitterbösen Blicken in die Flucht zu schlagen.
Dieser ließ sich allerdings nicht aus der Ruhe bringen. „Doch.", erwiderte er bloß und konzentrierte sich wieder auf seinen Spider.
Ich ergriff rasch das Wort, bevor Simon sich auf ihn stürzen konnte.
„Hat Nicky schon seine Sachen rübergebracht?"
Simon drehte sich widerwillig wieder zu mir und nickte tief beleidigt.
„Haltet ihr es sechs Wochen miteinander aus, ohne irgendwelche Körperteile zu verlieren?", hakte ich nach.
„Mmmh."
„Dann lass ihn weiter auspacken."
Der Rotschopf murrte zwar etwas Unverständliches vor sich hin, aber stand schließlich auf und machte sich auf den Weg zurück nach oben.
Ich sah ihm nach, bis er durch die Tür verschwunden war und widmete mich dann erneut meinen Unterlagen.

Montage zählten generell eher zu den anstrengenden Wochentagen. Es gab immer viel zu tun.
Ob das Abbauen der Instrumente vom letzten Auftritt, das Organisieren von Interviews welche sich auf diese bezogen, das Einhalten von Absprachen mit den Organisatoren, Besprechungen von möglichen neuen Events oder Meetings mit den anderen Mitgliedern, der Zeitplan war stets dicht bepackt.
An diesem speziellen Montag kam noch die Ankunft der Neuzugänge hinzu. Zwei sollten es diesmal sein, Ian und Logan. Nachnamen wurden in ihrer Gruppe noch während der Bewerbung abgelegt.
Zyren war seit der Gründung bekannt dafür, kaum private Informationen über ihre Gruppenmitglieder preiszugeben. Auf der Bühne wurden Künstlernamen, Masken und Kostüme eingesetzt, während die Gruppe off stage ausschließlich auf Vornamenbasis kommunizierte. Jedes einzelne Mitglied unterschrieb bei Eintritt einen Vertrag, der festlegte, dass weder während, noch nach der Zeit in Zyren Informationen über Mitglieder, Aufbau oder Organisation der Band gegenüber Dritter zur Sprache gebracht werden durften. Das Gehalt, das sie für ihre Auftritte erhielten, war mehr als genug, um sie für die damit einhergehenden Unannehmlichkeiten zu entschädigen.

Als ich gegen siebzehn Uhr vom letzten Meeting des Tages zurückkam blieb ich einen Moment lang vor unserem Gebäude stehen. Es hatte sich viel getan, seit ich damals mit den Anderen angefangen hatte. Das Gebäude war erweitert worden, die ehemals schmutzig weiß gestrichene Fassade strahlte mittlerweile in einem frischen grün. Es war nun möglich, dass alle elf Mitglieder hier wohnen konnten, ohne dass mehr als zwei sich ein Zimmer teilen mussten.
Das Wohnzimmer war wie der Rest des Gebäudes erst kürzlich renoviert worden und selbst die Küche war wieder voll funktionstüchtig. Im Anbau befanden sich zwei komplett isolierte Studios und ein großer Proberaum welcher im Zweifel mehr als dreißig Leute beherbergen konnte. Das Gebäude war Wort wörtlich mit der Gruppe gewachsen.
Allerdings war dies nun vorbei. In ungefähr sechs Wochen würden sie in ein um einiges größeres Gebäude ziehen, wenn alles nach Plan lief jedoch ohne mich.
Ich würde zurückbleiben und mich um den Verkauf kümmern, um anschließend mein eigenes Quartier im Dachgeschoss zu räumen.
Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte die wachsende Müdigkeit zu vertreiben, dann schloss ich die Tür auf.
Bereits eine viertel Stunde später trafen die Neulinge ein.

Für immer ab jetztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt