Träume und Visionen

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Catherine stand einfach nur im Türrahmen und starrte Carter an. Und er starrte zurück. Der Moment schien sich ewig hinzuziehen. Und dann lächelten beide völlig synchron und reichten sich die Hände.

"Carter"

"Catherine"

"Ich will keine Umstände machen..."

"Tust du nicht. Komm rein." Und Carter kam herein. Mit einem kurzen Seitenblick auf Norah setzte er den Fuß über die Türschwelle und verschwand hinter Catherine im Haus. Norah versuchte gar nicht erst, diese Frau zu begreifen. In ihrer Abwesenheit war sie zu einer gut gelaunten, offenen Persönlichkeiten ohne jegliche Bedenken mutiert. Alle Traurigkeit und Einsamkeit der vergangenen Jahre waren aus ihrer Ausstrahlung gewichen. Sie lächelte, plauderte und lachte. Aus ganzem Herzen. Norah mochte diese neue Person, die ihre Mutter war. Und dennoch machte sich zunehmend ein flaues Gefühl in ihr breit. Es loderte in  ihr wie eine ungute Vorahnung. Doch Norah erstickte dieses Gefühl, schob es beiseite und folgte den beiden in die mulmig warme, bunte Küche.

"Wie lange hast du vor, zu bleiben?", fragte Catherine, während sie einen Teller Kekse und eine dampfende Tasse Punsch vor Carter auf den Tisch stellte.

"Ich will mich nicht aufdrängen...", Carter warf Norah, die gerade in der Küchentür aufgetaucht war, einen auffordernden Blick zu, ihm dieses Gespräch abzunehmen. Doch das tat sie nicht. Er verschwieg ihr, warum er nicht über Weihnachten zu seinen Eltern fahren wollte, also würde sie ihm das hier auch nicht all zu leicht machen.

"Also von mir aus kannst du gern die Ferien hier verbringen. Ich frage mich nur, ob deine Eltern dich nicht gern bei sich hätten." Catherine setzte sich gegenüber von Carter an den Küchentisch und pustete in ihre eigene, mit heißem Punsch gefüllte Tasse.

"Ich glaube nicht, dass sie mich vermissen.", Carter nahm einen großen Schluck Punsch und senkte seinen Blick auf den Keksteller.

Catherine blickte fragend zu Norah herüber, doch die zuckte nur mit den Achseln. Sie wusste nichts über Carters Familie. Sie wusste nichts über sein altes Leben. Wer er gewesen ist, bevor er an die Akademie kam. Mit wem er befreundet war. Mit wem er zusammen gewesen ist. Nichts von alledem wusste sie über ihn. Und ihr wurde bewusst, dass sie ihn bislang auch nie danach gefragt hatte.

"Nun", begann Catherine und lächelte freundlich, "vermisst du denn deine Eltern?"

Carters Augen zuckten, doch er antwortete nicht. Norah nahm sich eine Tasse Punsch und setzte sich neben ihn, schwieg jedoch und ließ auch die Verbindung unangetastet. Sie wollte, dass Carter sich öffnete, ohne dass sie mithilfe der Verbindung in seinen Gefühlen herumstochern musste.

"Mein Mann, Norahs Vater, ist kurze Zeit nach ihrer Geburt einfach gegangen." Catherine legte den Kopf schief und musterte Carter, der keine Reaktion zeigte. "Ich habe lange gebraucht, um das zu überwinden. Ich habe es nie geschafft, ihm zu verzeihen, weil ich es als böse Absicht mir gegenüber verstanden habe. Aber so war es nicht. Er kam einfach nur nicht mit der Verantwortung klar. Mit mir und Norah hatte das nie etwas zu tun. Inzwischen verzeihe ich ihm und suche nicht mehr nach Gründen. Ich habe damit abgeschlossen."

Norah verstand nicht, wieso Catherine einem Jungen, den sie kaum kannte, all das erzählte. Sie verstand nicht das aufrichtige Lächeln ihrer Mutter, die Ehrlichkeit hinter den Worten. Sie wusste nur, dass es ihrer Mutter endlich wieder gut ging und bemerkte, wie Carter von den Keksen aufblickte und Catherine gerade in die Augen sah.

"Ich konnte meinen Eltern auch niemals verzeihen, dass sie mich nicht wollten. Dass ich ein Fehler in ihrem perfekten Lebensplan war." Carter sprach ganz leise und doch war jedes Wort deutlich und messerscharf. Norah wollte nach Carters Hand greifen, ihm zu verstehen geben, dass er dafür von anderen umso mehr gewollt wurde, als Catherine langsam, aber bestimmt antwortete.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 02, 2015 ⏰

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Die Wächter - ABTRÜNNIG (Bd 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt