ein neues Leben

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Der Duft nach frisch gebackenen Keksen wehte Norah entgegen, als sie die Treppe hinabstieg und sich der weihnachtlich dekorierten, von klingender Weihnachtsmusik und Wärme erfüllten Küche näherte. Catherine summte fröhlich vor sich hin, während sie die vielen mond- und sternenförmigen Plätzchen mit Zuckerguss und bunten Streuseln verzierte. Als ihre Tochter in die Küche kam, blickte sie strahlend von ihrem Werk auf.

"Norah-Schätzchen, die erste Ladung Kekse ist gleich fertig. Möchtest du probieren?", ihre Augen leuchteten voll kindlicher Vorweihnachtsfreude und Norah konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Catherine war schon immer ein richtig großer Fan der Weihnachtszeit gewesen, aber dennoch hatte Norah sie lange nicht mehr so ausgeglichen und gut gelaunt erlebt. Seit ihr Vater abgehauen war, war Catherine oft gestresst gewesen, hatte einsam gewirkt und hatte sich nie neu verlieben können. Die Frau, die ihr jetzt gegenüberstrand, wirkte glücklich und überaus zufrieden. Was hatte diese Veränderung wohl hervorgerufen? Norah hatte fast schon ein schlechtes Gewissen gehabt, als sie ihre Mutter zurückgelassen und ein neues Leben in der Guardian's Academy begonnen hatte. Sie hatte oft abends im Bett gelegen und sich schuldig gefühlt, dass nun auch sie Catherine im Stich ließ. Sie hatte dann zum Telefon gegriffen und zuhause angerufen, hatte die Stimme ihrer Mutter in sich eingesogen und versucht, sich einzureden, dass Catherine auch ohne sie klarkam. Es hatte immer wie eine Ausrede geklungen, doch als Norah ihre Mutter jetzt so fröhlich vor sich sah, war ihr klar, dass ihre Mutter tatsächlich alleine zurechtkam.

"Zieh doch nicht so ein Gesicht", neckte Catherine und schob Norah einen Teller mit Keksen hin. "Es ist Weihnachten! Da ist gute Laune einfach Pflicht!"

Norah kehrte aus ihrer Gedankenwelt zurück und zwang sich zu einem Lächeln, ehe sie begann, Plätzchen in sich hinein zu stopfen.

"Du hast so gute Laune", stellte sie mit vollem Mund fest. "wie kommt das?"

Catherine lachte, als hätte Norah einen Scherz gemacht und deutete mit einer ausladenden Geste um sich. "Es ist Weihnachten."

"Das stimmt. Aber das ist nicht der einzige Grund, oder?", Norah griff nach einem weiteren Keks und ließ ihn im Mund verschwinden.

"Papperlapapp.", Catherine schüttelte den Kopf, konnte ein Erröten ihrer Wangen allerdings nicht verbergen.

"Genug von mir", sagte sie daher schnell und nahm sich ebenfalls einen Keks. "Ich war in letzter Zeit mit den Gedanken sonstewo, aber mir ist nicht entgangen, dass du dich kaum aus deinem Zimmer bewegt hast. Dabei haben Eve und Liam dich so vermisst. Sie haben ab und zu hier angerufen, um sich nach dir zu erkundigen, weil du dich so selten gemeldet hast und oft nicht erreichbar warst. Findest du nicht, dass du deine Ferien nutzen solltest, um so viel wie möglich mit deinen Freunden zu unternehmen?"

"Ich bin heute Nachmittag mit ihnen verabredet. Kekse und Singstar bei Eve."

"Oh das klingt schön. Jung müsste man nochmal sein." Catherines Blick wanderte in die Ferne, kehrte aber kurze Zeit später wieder zurück und ruhte auf Norahs Gesicht.

"Dann darfst du aber nicht so ein Gesicht ziehen. Seit du aus dieser neuen Schule wieder da bist, siehst du schon so aus. So unglücklich. Du erzählst auch gar nichts...", neugierig betrachtete Catherine ihre Tochter und für einen kurzen Augenblick huschte ein besorgter Ausdruck über ihr Gesicht.

"Gefällt es dir auf deiner neuen Schule nicht?"

"Doch doch", beeilte sich Norah, zu antworten und nickte heftig.

"Aber?", hakte Catherine mit skeptischen Blick nach, doch Norah erwiderte nichts. Wie sollte sie ihrer Mutter auch bloß irgendetwas von ihren Sorgen erzählen, wenn diese dachte, dass ihre Tochter auf einer Künstlerakademie war?

Die Wächter - ABTRÜNNIG (Bd 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt