Kapitel 1

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Ich beobachte mich im Spiegel. Meine Gesichtshälfte ist fast komplett verheilt, so wie auch die Rippe. Nach dem Vorfall mit dem Mann aus der Kneipe und dem darauf folgendem Tag habe ich Levin nicht wieder gesehen. Skylar und Louis gehe ich allerdings auch so gut es geht aus dem Weg. Seit jenem Tag an dem ich meine Mum, Lucy wieder gesehen habe, lebe ich nur so vor mich hin, ich esse kaum und ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal draußen war. Nachdem sie mich mit zu der russischen Mafia nehmen wollte, habe ich sie entwaffnet und bin gerannt. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern wie ich zurückgekommen bin, irgendwann hat sich mein Gehirn ausgeschaltet und mein Unterbewusstsein hat die Kontrolle übernommen. Ich habe das Gefühl alles verloren zu haben, obwohl ich, wie Lucy mir schmerzlich erklärt hat, nie wirklich etwas hatte. Keine wahre Mutter, kein echtes Leben und Freunde hatte ich auch nie. Wo ist der Sinn des Lebens, wenn man in solch einer Situation ist? Ich weiß, dass ich so nicht denken sollte, denn ich will leben, das weiß ich, aber nicht so. Ich klammer mich immer wieder an den Gedanken, dass ich mich einfach nur entscheiden muss, zwischen Lucy, die mein Leben vor einigen Wochen zu einer einzigen Lüge gemacht hat und meinen Freunden, die nicht wirklich meine Freunde sind. Gleichzeitig habe ich jedoch Angst diese Entscheidung zu treffen, denn was passiert danach? Werde ich mit irgendeiner der beiden Entscheidungen jemals glücklich sein? Mein einziger Lichtblick ist Emily. Manchmal passe ich noch auf sie auf, obwohl das schon lange nicht mehr meine Aufgabe ist. Das zweijährige Mädchen ist die einzige, die mich nicht jede Sekunde lang ansieht als würde alles von mir abhängen. Sie zeigt mir ihre ehrliche Zuwendung, warum sollte sie mir auch etwas vorspielen. Ich habe begonnen, sie vom ganzen Herzen zu lieben. Dennoch habe ich weiter nach geforscht. Wenn ich mich schon entscheiden soll, möchte ich wenigstens wissen, warum ich so sehr gewollt werde. Genau weiß ich es immer noch nicht, aber ich konnte in Erfahrung bringen, was es mit Plan 364 auf sich hat. Oder zu mindestens, welche Rolle ich dort drinnen spiele. Ich sollte mich wohlfühlen und mich langsam an das Mafia-Business gewöhnen, damit ich irgendwann als vollwertiges Mitglied aufgenommen werden kann. Warum ich aber jetzt so wichtig bin? Ich habe keine Ahnung. Mein Verdacht, dass der Kontakt zwischen mir und Levin nicht gutgeheißen wird, hat sich auch bestätigt. Louis meinte das Levin und ich uns ursprünglich gar nicht begegnen sollten. Es sei zu gefährlich, mich in Kontakt mit dem zukünftigen Boss zu bringen. Warum Lucy nun aber genauso wenig wollte das ich Levin kennenlerne kann ich nicht verstehen. Ich wende mich von meinem Spiegel ab und trete auf den Balkon hinaus. Ein kühler Windstoß erfasst mich und jagt mir eine Gänsehaut über die Arme. Langsam wird es kühler und die Sonne zeigt sich weniger, auch die Tage werden kürzer. Ich bin Tags über müder, allerdings könnte das auch an meinem Zustand liegen. Ohne eine Jacke halte ich es nicht lange draußen aus, so sitze ich nur kurze Zeit später wieder drinnen in einem der Sessel. So ist es in letzter Zeit fast immer. Eine stetige Unruhe tobt in mir, aber nicht eine solche, bei der man raus muss, um seine Energie zu verbrauchen, sondern eher so ein nervöses Gefühl, das man hat, wenn der Körper einen vor etwas warnen möchte. Plötzlich klopft es an meiner Tür und ich zucke zusammen. Ich mache mir nicht die mühe die Person hereinzubitten, wer hier rein möchte, kommt hier rein, vollkommen egal, ob ich es will oder nicht. Nach ein paar Sekunden steht Skylar vor mir „Arila?" klingt ihre Stimme in meinen Ohren. Ich sehe zu ihr hoch und lege den Kopf schief „Skylar?" Sie schnalzt mit der Zunge und betrachtet mich einen Moment, mit einem traurigen Ausdruck in den Augen, den ich mir aber genauso gut einbilden könnte. „Es wird bald wieder einen Ball geben", fährt sie fort, „Mrs. Divois möchte, dass du dabei bist." Ich hebe eine Braue, „Ich möchte aber nicht dabei sein." Skylar tippt ein paar mal mit der Fußspitze auf den Boden. „Das tut mir leid, Arila, daran kann ich nichts ändern, aber du musst dabei sein." Ich stehe auf „Sonst was?" Skylar seufzt „Du weißt, wie das läuft, Arila. Du bist nicht in der Position zu wählen." „Oh doch, das bin ich." Skylar sieht mich nur an bevor sie sich umdreht und wieder zur Tür geht „Der Ball ist in vier Tagen, dein Tanzpartner ist ein gewisser Liam McGrays." Tanzpartner? Soll das dieses Mal etwa ein richtiger Ball sein? Skylar dreht sich doch noch einmal zu mir um „Arila?" Ich sehe zu ihr „Louis und ich wollen heute einen kleinen Ausflug machen, wenn du möchtest ..." „Nein, ich möchte nicht." unterbreche ich sie. Nickend presst sie die Lippen aufeinander und verlässt endgültig den Raum. Kraftlos lasse ich mich zurück auf den Sessel fallen. Jetzt muss ich also auch noch auf einen Ball, mit irgend so einem Typen den ich nicht einmal kenne. Ja, ich könnte mich weigern, aber das würde die Dinge nur schlimmer machen, also werde ich gehen. Vier Tage. Vier Tage, die vergehen müssen, bis ich Levin wieder sehe. Vier Tage, die ich warten werde, denn wenn es so wichtig ist, dass ich mitkommen muss, wird auch er dort sein. Bei dem Gedanken wird mir warm und ein Kribbeln verbreitet sich in meinem Bauch. Ich weiß, dass ich so nicht fühlen sollte, schließlich war ich diejenige, die es beendet hat, aber ich habe so von Anfang an gefühlt, also würde es an ein Wunder grenzen, hätte sich das nach der Trennung verändert. In vier Tagen werde ich aber auch Lucia wieder sehen. Ich verziehe das Gesicht, ihre Gesellschaft habe ich definitiv nicht vermisst. In vier Tagen wird wieder etwas passieren, etwas geschehen, was mich vielleicht zurück ins Leben holt. Jetzt schleicht sich ein anderes Gefühl zu der Trostlosigkeit, die ich seit Wochen empfinde. Aufregung.

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