Kapitel 5

11 1 0
                                    

Am liebsten würde ich Lucy das Grinsen aus dem Gesicht schlagen, sie anschreien, was das soll. Doch mein Verstand hält mich zurück. „Steh auf, Arila", schneidet ihre Stimme die Luft. Ich verenge meine Augen zu schmalen Schlitzen und hole Luft, um sie anzufauchen. Aber bevor ich das tun kann, packt mich Andrej an den Haaren und reißt mich nach oben. Fluchend mache ich mich von ihm los und reibe meinen Hinterkopf. Lucy lacht kühl und ein dumpfer Schmerz drückt in meiner Brust. Mit einem Mal steht sie vor mir und hebt mit zwei Fingern mein Kinn, um mein Gesicht zu mustern. Ich will gerade ihre Hand wegschlagen, als sie sie schon selbst wieder sinken lässt, als würde sie immer genau wissen, was ich gleich machen will und damit spielen. „Was hast du mit mir vor?", knurre ich aus zusammen gepressten Zähnen. Lucy hebt einen Mundwinkel. „Du wirst dich der Russenmafia anschließen und endlich reden." Ich lache auf „Oh nein, das werde ich nicht." Lucy dreht sich von mir weg „Oh doch wirst du, Schätzchen." Sie geht auf den Schreibtisch zu, um sich zu setzten. „Wir sind auf einer Insel, ein paar Kilometer von einer verlassenen russischen Küste entfernt. Dich wird hier niemand finden." Mein Gehirn beginnt zu rattern. Was kann ich jetzt machen? „In einer Stunde beginnt dein erstes Training." Fährt Lucy fort. „Früher oder später wirst du so gebrochen sein, dass du reden wirst und dein Wille ganz meiner sein wird, vertrau mir." Ich schlucke und schon zieht Andrej mich aus dem Raum. Sie wollen also meinen Willen brechen? Aus mir eine wehrlose Puppe machen? Das werden sie nicht schaffen.

Ich stehe an dem kleinen Fenster meines Zimmers und sehe auf den Wald hinab. Andrej hat mir eine Art Kampfanzug gebracht, den ich immer noch kritisch betrachtend in den Händen halte. Mit der Verkündung, dass ich in einer Stunde fertig angezogen sein soll, hat er mich hier wieder eingesperrt. Ich schnaube, lege das komische Ding zur Seite und setze mich auf das Bett. Einen Scheiß werde ich. Sie werden es nicht schaffen mich zu einer verdammten Marionette zu machen, ich werde nichts von dem tun, was sie sagen. Ich lehne meinen Kopf gegen die kühle Wand und lausche dem dumpfen Pochen in meinen Ohren. Ein Fehler. Sofort legt sich dieser leise Schmerz über die Taten von Lucy über mich. Hat sie mir wirklich die letzten Jahre diese liebevolle Art einer Mutter gegenüber ihrer Tochter nur vorgespielt? Es hat sich so verdammt echt angefühlt. Ich schlucke gegen das Drücken in meinem Hals an. Ich muss an den kühlen Blick denken, mit dem sie mich vorhin bedacht hat. Selbst wenn es echt war, ist von dieser Liebe nichts mehr übrig. Es geht ihr nicht um mich, sondern um meine Funktion. Ich spüre, wie sich meine Augen mit Wasser füllen und schlage mir sofort die Gedanken aus dem Kopf. Wenn ich schon beginne, mich selbst zu schwächen, habe ich eh verloren. Ich. Werde. Stark. Sein. Plötzlich höre ich ein Klopfen an der Tür und einen Moment später steht Andrej im Raum. Er lässt seinen Blick an mir herab schweifen und sieht dann zu dem Kampfanzug, der in der Ecke liegt. Er zieht die Brauen hoch „Schlechte Entscheidung, Mädchen." Sagt er mit seinem Akzent. Ich verziehe keine Miene und sehe ihn nur an. „Dein Training beginnt jetzt." Er hält mir die Tür auf, doch ich reagiere wieder nicht. Er murmelt irgendwas auf Russisch, was nicht grade nett klingt und kommt dann auf mich zu. Grob packt er meinen Arm und zerrt mich aus dem Bett. Ich knurre und will mich wehren, doch ich habe in den letzten Wochen zu sehr abgebaut. Er schleift mich wie einen nassen Sack hinter sich her, bis wir unten vor einer breiteren Flügeltür stehen. Er stößt sie auf und hinter einem Sandplatz erstreckt sich der Wald, den ich aus meinem Fenster sehen kann. Jetzt kann ich auch sehen das weiter hinten, sowie rechts und links das Gebäude weiter geht. Es ist wie ein riesiger Innenhof, oder eine Arena. Andrej schubst mich, sodass ich vor mir in den Sand falle. Murrend richte ich mich wieder auf und sehe in Lucys Augen, die aus dem Nichts vor mir steht. Ein böses Lächeln legt sich auf ihre fein gezeichneten Lippen. „Willkommen zu deinem ersten Training, meine Tochter." „Nenn mich nicht so." Fauche ich sie an. Das Lächeln verzieht sich zu einem Grinsen, dass schon fast etwas verrückt wirkt. „Aber warum? Du bist doch meine Tochter." Sie klimpert mit den Wimpern, als wäre sie ein Mädchen, das versucht einen Jungen aufzureißen. „Ach, ich dachte, ich bin nur dein brillanter Plan." Sie sieht mich verständnislos an, „Aber das ist doch dasselbe." Mit diesen Worten wendet sie sich von mir ab und gibt ein Zeichen, in Richtung einer dunklen Ecke, aus der ein Mann tritt, der mehr Schrank als Mensch zu sein scheint. Er fährt sich mit einer schwieligen Hand über die kurz geschorenen, blonden Haare und grinst mich an, was mir eine Gänsehaut über den Körper treibt. Lucy beginnt russisch mit ihm zu sprechen, er nickt und sie geht ein Stück zurück, um sich an die Wand zu lehnen. Der Schrank kommt noch weiter auf mich zu, bis er kurz vor mir stehen bleibt. „Ich will, dass du rennst." Sagt er mit einem so starkem Akzent, dass ich ihn kaum verstehe. „Und wehe, du hörst auf, bevor ich es erlaube, Prinzessin." Er lacht dreckig, was mir eine erneute Gänsehaut bereitet. Dennoch lasse ich meinen Blick stur auf ihn gerichtet, ohne eine Regung zu zeigen. Wieder lacht er, „Interessant." Er dreht sich von mir weg und geht auf eine Kiste zu, die ich vorher gar nicht wahr genommen habe. Er öffnet sie und zieht etwas heraus. Als er sich wieder zu mir umdreht, erschaudere ich. Er hält eine lange Peitsche in der Hand. Angst kriecht in mir hoch als ich die breite Schlagseite muster. Der Mann kommt langsam auf mich zu und ich begreife, dass ich lieber tun sollte, was er sagt, wenn meine Gesundheit mir wichtig ist. Langsam setze ich mich in Bewegung und beginne den Sandplatz zu umrunden, der etwa die Größe eines Fußballplatzes hat. Zum Glück bin ich trotz der Pause immer noch trainiert, sodass ich trotz des Sandes ein gutes Tempo erreichen kann. Dennoch treten nach der zweiten Runde die ersten Schweißperlen auf meine Stirn und kurz danach beginnt auch meine Lunge zu stechen und meine Atmung wird schwer. Bald werde ich eine Pause brauchen. Ich sehe zu dem Mann, der mich zufrieden mustert, allerdings nicht so aussieht als würde er mir bald eine Pause erlauben. Ich lege meine Handrücken an meine glühenden Wangen, um sie zu kühlen. Nach einer weiteren Runde beginnen auch meine Waden zu brennen und es fällt mir schwerer meine Füße bei jedem Schritt erneut aus dem Sand zu ziehen. Ich werde langsamer. „Schneller!" Höre ich plötzlich den Mann schreien. Ich beiße die Zähne aufeinander und versuche den Schmerz auszublenden, stattdessen konzentriere ich mich auf meine Atmung und ziehe das Tempo wieder an. Weiter. Einfach weiter. Schritt für Schritt. Auf einmal stolper ich über einen Hügel, der sich im Sand gebildet hat und lege mich in voller Länge hin. „Weiter!", höre ich ihn schreien und sehe, wie er langsam auf mich zukommt. Obwohl ich liebend gerne einfach liegen geblieben wäre, rappel ich mich auf und laufe. Ich laufe immer weiter, bis sich immer wieder dunkele Flecken in mein Sichtfeld schieben und meine Umgebung verschwimmt. Der Schmerz in meinen Waden und meiner Brust werden fast unerträglich, ich weiß, dass ich weiter muss, doch dann geben meine Beine nach und ich falle erneut. Ich will mich wieder hochdrücken, aber dieses Mal schaffe ich es einfach nicht. Panik übernimmt mich und ich will vor dem Mann wegkrabbeln, aber selbst das schaffe ich nicht. „Was ist Prinzessin? Kannst du nicht mehr?" höre ich seine Stimme dicht an meinem Ohr. „Ich habe dir aber noch nicht erlaubt, aufzuhören." Ich schlucke und versuche alles auszublenden, denn ich weiß was jetzt kommt. Trotzdem nehme ich erschrocken wahr, wie er mein Oberteil am Rücken aufreißt. Im nächsten Moment höre ich das Surren der Peitsche, wie sie die Luft schneidet und vernehme nur eine Millisekunde später ein schreckliches Brennen auf meinem Rücken. Ich beiße auf meine Lippe, um den Schrei zu unterdrücken, denn die Genugtuung werde ich Lucy nicht bescheren. Der nächste Hieb treibt mir die Tränen in die Augen und ich beiße meine Lippe blutig. Dennoch hebe ich meinen Blick, um Lucy in die Augen zu sehen. Mein Herz bricht und bricht als ich dort nur ekelhafte Befriedigung finde. Dies ist der Moment, in dem ich begreife, dass sie ein Monster ist, ein Monster ohne Herz. Auch die nächsten Schläge nehme ich hin. Ich lasse mich auf den Schmerz ein, denn nur so kann ich ihn aushalten. Und dann endlich stößt Lucy sich von der Wand ab und hebt die Hand, was den Mann endlich zum Stoppen bringt. „Es reicht für heute" entscheidet sie „Du hast noch einiges zu lernen, Arila" Sie tritt vor mich und sieht auf mich herab. „Aber ich hoffe, dass du zu mindestens gelernt hast, dass du auf uns hören solltest." Zur Antwort spucke ich ihr auf die Schuhe, was sie nur belustigt die Brauen heben lässt. Dann geht sie zurück in das Gebäude und der Mann folgt ihr. Ich lasse meinen Kopf erschöpft in den Sand fallen und gestatte meinen Augen sich zu schließen. Ich spüre wie Andrej, der die ganze Zeit am Rand stand, auf mich zukommt und seine Jacke über meinen entblößten Oberkörper legt. Dann greifen die dunklen Fänge der Ohnmacht nach mir und ziehen mich in ihre Finsternis.

Game of DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt