Kollision im Regen

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In Gedanken versunken bog sie um eine Kurve und bemerkte den heranrasenden weißen Van nicht. Alices Reaktion kam viel zu spät und sie versuchte, trotzdem noch zu bremsen. Doch das Fahrzeug hatte ein zu rasantes Tempo auf sich, sodass dieser sie von ihrem Fahrrad warf. Mit einem Satz flog sie über ihren Fahrradlenker, ihr Fahrrad kam klirrend hinter ihr zum Fall. Aber Alice hatte Glück im Unglück, sie trug keine Verletzungen davon, da sie auf ihren Paketen landete, die ebenfalls durch die Luft geflogen waren.

Der Van stoppte und ein Mann, stieg aus. Seine rabenschwarzen Locken, wild und doch irgendwie geordnet, hingen ihm tief ins Gesicht. Seine Augen, tief und braun, funkelten mit einem Hauch von Verschlagenheit und der Weisheit jahrelanger Erfah-rungen. Es war schwer, sein Alter zu schätzen - seine Haut wies die glatte Beschaffenheit jüngerer Jahre auf, doch in seinen Blick schlichen sich die Schatten vieler gelebter Jahre. Seine Kleidung bestehend aus einem dunkelblauen, leicht abgenutzten schwarzes Shirt, kombiniert mit einer eleganten, schwarzen Jeans mit braunem Gürtel, bildeten, die Grundlage. Über dem Hemd trug er eine weiße Hemdjacke mit vielen Taschen, ideal für Werkzeuge. Seine Schuhe waren abgetragene braune Lederstiefel.

Statt nach ihrem Wohlbefinden zu fragen, machte er ihr Vorwürfe wegen der Schrammen an seinem Fahrzeug. „Sieh dir an, was du mit meinem Van angestellt hast!", schrie er wütend. Völlig fassungslos, konnte Alice nur staunen. Er hatte beinahe sie umgefahren, und alles, was ihn kümmerte, waren ein paar Kratzer?

Mit zornbebender Stimme erwiderte sie: „Du bist viel zu schnell gefahren, ohne zu blinken! Das wird Konsequenzen haben!" Daraufhin entgegnete der Mann nur hitzig: „Du wirst für den Schaden an meinem Van aufkommen!"

Sie griff nach ihrem Handy in der Jackentasche, fand es jedoch nicht. Der Mann ging derweil missmutig zu seinem Van zurück, stieg ein und fuhr davon. „Hey!", rief sie ihm nach, doch er war längst verschwunden. Ohne ihr Handy hatte sie keine Chance, das Kennzeichen festzuhalten - und Zahlen konnte sie sich ohnehin schlecht merken. Zitternd vor Kälte und durchnässt vom Regen, überlegte sie, was ihr nächster Schritt sein sollte.

Plötzlich erhaschte Ally einen Blick auf einen dunkelhaarigen älteren Mann, der aus einem Fenster im achten Stockwerk herabschaute, fast so, als würde er sie anstarren. Sowohl sie als auch die anderen Fahrradkuriere hatten ihn schon oft bemerkt, immer auf der Lauer, was ihnen ein ungutes Gefühl gab. Unter ihnen hatte er den
Spitznamen "The Stalker" erhalten.

Entschlossen nahm Ally einen tiefen Atemzug und machte sich mutig auf den Weg zum Eingang des großen Mehrfamilienhauses, welches die stille Würde vergangener Zeiten trug. Die Fassade des Gebäudes, erbaut in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts präsentierte sich in einem hübschen Grau, durchzogen von feinen Linien aus dunklerem Stein, die den Fenstern und dem Eingangsbereich Kontur verliehen.

Trotz der Abnutzungsspuren, die die Jahre hinterlassen hatten, stand es majestätisch da als Zeuge der Geschichte und des städtischen Wandels. Über dem Eingang, geschützt von einem kleinen Vordach, thronte eine alte, eiserne Laterne, die den Besuchern auch in den dunkelsten Nächten den Weg wies. Die schweren Holztüren, einst makellos und einladend, zeigten Spuren der Zeit, doch ihre robuste Eleganz war ungebrochen.

Ally erblickte erfreut, ein großes Klingelbrett mit Namensschildern. Nach einem kurzen Zögern drückte sie auf einen der Klingelknöpfe. Aus der Sprechanlage erklang die Stimme einer älteren Dame: „Hallo?" „Guten Tag, mein Name ist Mrs.
Dawson. Ich habe ein Paket für", begann sie und warf einen flüchtigen Blick auf die Namensschilder auf den Klingeln. Ein italienischer Name, viel besonders auf unter den vielen Britischen: „Mr. M. Luciano", log sie in der Hoffnung, eingelassen zu werden, denn im Regen zu warten wurde zunehmend unangenehmer.

„Ach, Mr. Luciano! Er wohnt im achten Stock, Wohnung Nummer 12", antwortete die Dame so laut dass Ally unweigerlich zurückzuckte. „Könnten Sie mich vielleicht hereinlassen? Ich versuche schon eine Weile, ihn zu erreichen, aber offenbar hört er die Klingel nicht"

„Mr. Luciano hat ebenfalls Probleme mit dem Gehör?", fragte die Frau erneut in voller Lautstärke, was Ally dazu veranlasste, hastig ihre Hände über den Lautsprecher zu legen, da sogar vorbeieilende Passanten ihr irritierte Blicke zuwarfen Nachdem die ältere Dame endlich die Tür geöffnet hatte, schlüpfte Ally in das Foyer des Mehrfamilienhauses.

Beim Betreten des Hauses offenbarte sich ihr das Innere als eine Mischung aus vergangenem Charme und moderner Notwendigkeit. Der Boden des Eingangsbereichs war mit originalen, schachbrettartigen Fliesen ausgelegt, deren Schwarz-Weiß-Muster eine eindrucksvolle Begrüßung darstellte. An den Wänden hingen historische Gemälde in verzierten Rahmen, die den Flur mit einem Hauch von Geschichte und Kunst erfüllten. Der Aufzug, ein Relikt aus früheren Zeiten, ein stummer Beweis für die langsame, aber stetige Modernisierung des Gebäudes.

Allys Augen leuchteten auf, als sie den Aufzug erblickte. Hastig eilte sie darauf zu, drückte den Rufknopf - doch nichts geschah. Die Türen blieben verschlossen, kein Ruckeln, kein Summen. Mit wachsender Frustration hämmerte sie auf die Knöpfe.

„Das gibt's doch nicht!", fluchte sie lautstark. Aus der Höhe erschallte eine raue Stimme: „Der Aufzug ist schon seit Jahren außer Betrieb!"

"Natürlich, ausgerechnet an einem Freitag, dem 13.", dachte sie verbittert. Mit einem aufgebrachten Schrei gab sie dem Aufzug einen wütenden Tritt. Nun blieb ihr keine Wahl, als den mühsamen Weg über die Treppe anzutreten. Der ältere Herr mit weißen Haaren, der die schlechten Nachrichten überbracht hatte, schüttelte nur den Kopf und entfernte sich mit seinem Rollstuhl. Eine breite, gewendelte Treppe mit einem kunstvoll geschmiedeten Geländer führte in die oberen Stockwerke.

Mit schweren Schritten und dem Gewicht der Nässe auf ihren Schultern erkämpfte sie sich den Weg nach oben. Jedes Treppenpodest bot einen kleinen Einblick in das Leben der Bewohner: bunt bemalte Türen, gepflegte Fußmatten, gelegentlich eine robuste Pflanze, die sich tapfer dem Mangel an natürlichem Licht entgegenstellt.

Die Beleuchtung im Treppenhaus war gedämpft, Lampen warfen ein warmes Licht auf die Stufen und sorgten für eine Atmosphäre, die sowohl gemütlich als auch geheimnisvoll war. Das Gebäude schein mit jedem Schritt, den sie nach oben nahm, mehr von seinen Geschichten preiszugeben - von den leisen Gesprächen hinter den Türen bis hin zu den flüchtigen Begegnungen im Flur.

In diesem Haus in der Ocean Street, wo die Vergangenheit auf die Gegenwart traf, fühlte sich jeder Schritt wie eine Reise durch Zeit und Raum an. Es war ein Ort, der trotz oder gerade wegen seiner Altersspuren, eine unverwechselbare Identität und einen einzigartigen Charme besaß.

Endlich, nachdem es eine Ewigkeit zu dauern schien, erreichte sie das achte Stock-werk. Jetzt galt es nur noch, die richtige Wohnung zu finden. Vor der Tür mit der Nummer 12 angekommen, klopfte sie, zunächst hoffnungsvoll, dann immer ungeduldiger. Keine Antwort. Mit ihrer Geduld am Ende trat sie gegen die Tür, doch die ersehnte Reaktion blieb aus. Der Mann, den sie für einen Zeugen gehalten hatte, schien ihr keine Beachtung zu schenken. In einem Anflug von Wut zog sie ihr Handy hervor, das sie schließlich doch noch in der Tiefe ihrer Jacke gefunden hatte, und wählte die Nummer der Polizei.

The Man in The VanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt