Kapitel 10

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Dünne Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch die dichte Brombeerhecke, die sich wie eine Mauer schützend um den Kämpferbau wand. Nachtigall legte ihre Schwanzspitze über ihre Augen. Doch immer wieder, wenn sie in einen von Alpträumen geplagten Schlaf fiel, weckte sie Schlamms lautes Schnarchen. Seufzend richtete sich die beige Kätzin auf und schüttelte Moosfetzen aus ihrem Fell. Ihr war es egal, ob sie schlief oder nicht, denn die Welt der Träume war im Moment genauso schlimm wie die Realität.

Nachtigall schob sich vorsichtig an den schlafenden Katzen vorbei und trat aus dem Bau.

Es war inzwischen Sonnenhoch, trotzdem waren noch immer nicht alle Verletzten versorgt.

Sie entdeckte die Wurfgefährten Wolke und Fetzen, die angestrengt zwischen Lehrlingen und Kämpfern hin und her hetzten. In ihrem Ausdruck konnte Nachtigall sehen, wie erschöpft sie waren.

Langsam trottete sie auf die beiden zu. Wolke schmierte gerade eine dicke, grüne Schicht auf Winds Schweifwunde. Die graue Kätzin mit den dunkelbraunen Sprenkeln knurrte auf, als Wolke mit ihren Pfoten nachträglich ein paar Spinnenweben auf die Paste presste. "Halt still!", ermahnte diese sie streng. Als sie Nachtigall bemerkte, neigte sie kurz den Kopf. "Wie geht es dir?"

Nachtigall sah zu Boden. Ihr war nicht nach Sprechen zu Mute. Zu viel Schreckliches ist in der Nacht passiert, um es jetzt einfach wegzulächeln. Sie dachte an Dunkel und Splitter, die im Kampf ihr Leben gelassen hatten. Auch an Hagel, deren Bauchwunde noch immer nicht aufgehört hatte, zu bluten. Und an Geist. Erneut schnürte Trauer ihre Kehle zu. Die weiße Kätzin mit den grauen Sprenkeln im Gesicht war so früh gegangen - zu früh.

Wolke legte ihr sanft die Schwanzspitze auf die Schulter. "Ich kann verstehen, wie du dich fühlst. Als Schwarz damals gestorben ist, ging es mir genauso. Ich möchte nicht behaupten, dass der Schmerz vergeht, aber du lernst irgendwann, mit ihm zu leben, egal, wie sehr es dich zerreißt." Sie lächelte Nachtigall leicht zu. "Denk darüber nach." Damit wandte die dunkle Kätzin mit den rotbraunen Pfoten sich ab und tappte zu ihrem Bruder Fetzen, der Sturms Kratzer am Hals behandelte, wo Geists Kraft sie erwischt hatte.

Wolkes Worte hallten in Nachtigalls Kopf wider.

Seufzend schüttelte sie sich und ging auf Tatze zu. Ihre Schwester saß schweigend am Rand der Lichtung, ihr weißbraunes Fell war zerzaust. Als Tatze sie bemerkte, weiteten sich ihre Augen überrascht. "Du bist schon wach?"

Nachtigall setzte sich schwerfällig neben sie. "Ich habe kaum geschlafen.", murmelte sie bedrückt.

Tatze machte ein besorgtes Gesicht und rückte näher an sie heran. "Du siehst auch nicht gut aus." Nachdenklich fuhr sie mit den Krallen durch den trockenen Boden. "Kratzer hält gleich eine Ansprache. Vielleicht heitert dich das etwas auf."

Natürlich!, dachte Nachtigall sarkastisch. Warum sollte mich der Kater, der meinen Stamm in die Schlacht und mehrere Katzen in den Tod geführt hat, nicht mit ein paar leeren Worten trösten! Hat er es überhaupt bereut? Hat er überhaupt eingesehen, dass Geists Kraft nicht für den Kampf da ist? Wut kochte in ihr hoch. Sie wollte Kratzer nie wieder in die Augen sehen, doch wie sollte das gehen? Die beige Kätzin erwiderte den mitfühlenden Blick ihrer Schwester und schüttelte den Kopf. "Mal sehen.", entgegnete sie so ruhig wie möglich. Tatze musste nicht wissen, was sie über ihren Anführer dachte. Schließlich war diese fest davon überzeugt, von Kratzer in eine bessere Zukunft geführt zu werden.

"Ich sollte einmal nach Nebel sehen. Sie ist mit ihren Jungen ganz überfordert, weil Regen bei der Versorgung der Verletzten hilft." Tatze setzte ein schwaches Lächeln auf, nickte Nachtigall kurz zu und humpelte dann in Richtung Beschützerbau davon. Die Wunde an ihrer Flanke war nicht besonders tief, sodass sich inzwischen eine Kruste gebildet hatte.

Nachtigalls Kampf (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt