Kapitel 1

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"Sie sind da!"

Nachtigall starrte gebannt zum Eingang, wo die beiden Wächter sich in Angriffsstellung positionierten. Der kalte Nachtwind blies durch das Fell der beigen Kätzin und ließ sie frösteln. Gleich werden wir kämpfen. Hoffentlich sind sie nicht zu zahlenreich hier. Jeder weiß, dass der Stamm des Lichts viel größer ist als der Stamm der Nacht. Sie schüttelte sich, um ihre Sorgen zu verdrängen. Sie musste sich jetzt konzentrieren, sonst würde sie leichte Beute sein.

Dachs, Nachtigalls Bruder, trat nervös von einer Pfote auf die andere. Sein langes Fell war vor Aufregung gesträubt. Sie nickte ihm beruhigend zu, auch wenn sie wusste, dass sie diese Aufmunterung eher gebrauchen könnte.

Dann ertönte der Warnruf. Wie jedes Mal stürmten die besten Kämpfer nach vorn, um ihren Mut zu beweisen. Da tauchten auch schon die Katzen vom Stamm des Lichts auf und griffen ohne zu zögern an.

Nachtigall fuhr ihre Krallen aus, bereit, sie dem ersten Angreifer ins Fleisch zu stoßen. Ihr Herz hämmerte immer schneller in ihrer Brust, als drei Katzen aus der Menge glitten und mit blitzenden Augen drohend auf sie zukamen. Die beige Kätzin fauchte, um ihre Gegner einzuschüchtern, doch diese schienen nicht beeindruckt. Einer von ihnen, ein hellbrauner Kater mit dunkelblauen Augen, schlug mit seinem gestreiften Schweif und setzte zum Sprung an.

Plötzlich schoss Dachs vor. Seine Krallen blitzten im silbrigen Mondlicht auf, ehe er sie in die Schulter des Katers bohrte. Dieser heulte vor Schmerzen laut auf und versuchte wütend, den braunweiß getigerten Kater von sich zu stoßen. Die beiden anderen Katzen wichen überrascht zurück.

Nachtigall nutzte den Moment und griff ebenfalls an. Sie stürzte sich auf einen gelben Kater mit weißen Tupfen, der von dem Schwung zu Boden fiel. Nachtigall ignorierte den Schmerz, als der Kater ihr seine Krallen durchs Gesicht zog. Blut tropfte von ihrer Stirn und befleckte das helle Fell des Katers.

Fauchend bearbeitete sie mit ausgefahrenen Krallen seinen Bauch, woraufhin er schmerzhaft aufheulte. Die dritte Katze, eine orangene Kätzin mit roten Streifen, kreischte entsetzt auf. "Sonne! Nein!"

Sie war kleiner als die anderen, daher vermutete Nachtigall, dass sie noch ein Lehrling war. Vielleicht war dies auch ihr erster Kampf. Nun, dann wünsche ich ihr viel Glück. Denn mein Stamm hat genauso wenig Gnade wie ihrer.

Der Kater mit dem Namen Sonne keuchte und versuchte, die beige Kätzin von sich zu stoßen, doch Nachtigall krallte sich hartnäckig in seinem Pelz fest. "Lass mich los, Krähenfraß!", zischte er wütend.

Nachtigall wollte ihm gerade eine bissige Antwort geben, als sie plötzlich von Sonne heruntergerissen wurde. Überrascht jaulte sie auf. Ein schwarzbrauner Kater mit goldenen Sprenkeln drückte sie zu Boden. Seine spitzte vernarbte Schnauze erinnerte die Kämpferin an einen Fuchs, genau wie seine gelben Augen. Für einen kurzen Moment war sie zu verwirrt, um zu reagieren, doch dann bohrten sich Krallen in ihre Schulter und ein stechender Schmerz fuhr durch sie hindurch. Es fühlte sich an, als ob Flammen an ihr lecken würden, so tief stach der Kater sie in sie hinein.

Nachtigall schrie auf und schlug nach dem Angreifer, der jedoch nur verächtlich lachte. "Du bist zu schwach für mich."

Mit einem Knurren beugte der schwarzbraune Kater sich vor, bis seine Schnauze fast ihre berührte. "Ihr seid eine Schande für unsere Art." Drohend bleckte er seine gelben Zähne, wodurch er in Nachtigalls Augen noch abscheulicher aussah.

Sie kniff ihre Augen zusammen, als er seine krallenbesetze Pfote hob.

Ihr Atem ging immer schneller und ihre Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum wie ein Sturm. Werde ich jetzt sterben? Angst packte die beige Kätzin. Das geht doch nicht! Ich kann Dachs und Tatze nicht allein lassen. Nicht auch noch ich. Außerdem bin doch erst seit drei Monden Kämpferin. Ich kann den Stamm noch nicht verlassen! Sie würden mich alle verachten.

Auf einmal wurde das schwere Gewicht des Katers von ihr genommen und frische Luft durchströmte ihre Lungen.

Zitternd erhob Nachtigall sich. Erleichtert beobachtete sie, wie Dachs den schwarzbraunen Kater zu Boden gedrückt hatte und ihm jetzt einen heftigen Schlag mit den Vorderpfoten verpasste. "Verschwinde, Fuchsherz!", fauchte er, ehe er mit gesträubtem Fell von ihm abließ. Der Kater sprang sofort auf die Pfoten und sah Dachs unsicher an. Dann stürmte er an der kämpfenden Menge vorbei aus dem Lager.

Nachtigall humpelte langsam auf ihren Bruder zu. "Danke, aber ich hatte alles im Griff.", keuchte sie.

Der braunweiß getigerte Kater warf ihr einen ungläubigen Blick zu und seufzte. "Natürlich. Wie damals, als du fast von dem Fuchs zerfetzt wurdest."

Ohne ein weiteres Wort stürzte er sich auf die nächste Katze, wobei er seine mit Kratzern übersehte Flanke ignorierte, aus der bereits dunkelrotes Blut floss.

Erschöpft ließ Nachtigall ihren Blick über die Lichtung schweifen. Bär, Fetzen und Schlange verteidigten den Beschützerbau gegen fünf Kämpfer vom Stamm des Lichts, während Wind und Tiger verzweifelt versuchten, gegen drei Gegner gleichzeitig anzukommen. Die beige Kätzin wollte den beiden Lehrlingen gerade zur Hilfe eilen, als ihr plötzlich etwas auffiel.

Eine schwarze Kätzin mit weißen Sprenkeln huschte an der Menge vorbei und näherte sich der toten Esche, vor der Schwarz und eine rote Kätzin sich einen heftigen Kampf lieferten.

Nachtigall erkannte sie sofort. Es war Lilie, die Stellvertreterin vom Stamm des Lichts. Sie war bisher bei jedem von Nachtigalls Kämpfen dabei gewesen und hatte bereits die ein oder andere Katze auf dem Gewissen.

Sie will doch nicht etwa Schwarz töten?! Schockiert beobachtete Nachtigall, wie Lilie auf die Anführerin vom Stamm der Nacht zu schlich und ihre langen Krallen ausfuhr. Nein! Ich muss sie warnen!

Da entdeckte sie Kratzer, der Lilie ebenfalls zu bemerken schien. Sein Pelz sträubte sich alarmiert. Nachtigall wollte ihm zurufen, dass er näher dran war und etwas tun müsse, doch Lilie schoss bereits nach vorn. Nachtigall stockte der Atem. Dann passierte alles ganz schnell. Die schwarze Kätzin mit den weißen Sprenkeln holte aus und riss Schwarz' Kehle mit einem Hieb auf.

Nachtigall öffnete den Mund zu einem entsetzten Schrei. Schwarz' Augen verdrehten sich, bis man das Weiße sehen konnte und mit einem kehligen Gurgeln brach die dunkle Kätzin vor Lilies Pfoten zusammen.

Alles verstummte.

Geschockt beobachtete Nachtigall, wie Kratzer sich auf Lilie stürzte, die jedoch geschickt auswich und zu Schwalbe, dem Anführer vom Stamm des Lichts, lief. Kratzer wollte gerade erneut angreifen, doch da sprang Dämmerung vor. Der braune Kater mit den hellen Tupfen hielt seinen Bruder angestrengt zurück, der Lilie und Schwalbe mit blitzenden Augen anstarrte.

Nachtigall sah zu Schwarz' Leichnam. Die dunkle Kätzin lag auf dem Boden wie ein Stück Beute. Ihre Beine waren unnatürlich von ihr gestreckt und aus ihrem Hals floss ununterbrochen Blut, sodass sich bereits eine große Pfütze um sie herum angesammelt hatte.

Die Katzen vom Stamm des Lichts, die eben noch verbittert gegen ihre Feinde gekämpft hatten, scharrten sich jetzt um ihren Anführer herum. "Wir gehen.", hörte Nachtigall Schwalbe zu ihnen sagen. Langsam wandte sich der feindliche Stamm zu Gehen.

"Dafür werdet ihr bezahlen!" Wolkes aufgebrachter Schrei unterbrach die Stille und Nachtigall drehte sich verwundert zu der dunklen Kätzin mit den rotbraunen Pfoten um.

Mitleid machte sich in ihr breit. Schwarz war Wolkes Mutter gewesen. Ebenso die von Fetzen und Schlag. Auch Biss, der jetzt ehemalige Gefährte von Schwarz, erhob sich. In seinen dunklen Augen erkannte Nachtigall Wut, Trauer und Bitterkeit. "Verschwindet endlich! Ihr habt genug angerichtet. Was haben wir euch eigentlich getan?", brachte der Kämpfer mühevoll hervor.

Irgendjemand unter den Katzen schnaubte abfällig, doch sagte nichts.

Ohne Schwarz' Familie noch weiter zu beachten, drehte der Stamm des Lichts sich um und tappte aus dem Lager. Nur Lilie sah noch einmal zurück.

Zu Nachtigalls Schock leuchteten ihre blauen Augen triumphierend. Ist sie stolz auf sich, dass sie Schwarz umgebracht hat? Wie können diese Katzen nur so grausam sein! Schwarz ist tot, und das ist allein ihre Schuld. Sie wird nie mehr zurückkommen...

Nachtigalls Kampf (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt