Kapitel 1: Der große Tag

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Schreiend und verschwitzt fuhr ich hoch. Mein Bettzeug lag zerknüllt auf dem Boden. Der Lichtschein der Straßenlaterne vor meinem Fenster fiel in mein Zimmer. Ich streifte meine verschwitzten Hände am Laken ab und fuhr mir danach durch die Haare. Ich hatte schon lange keinen Albtraum mehr. Ich kam mir irgendwie einsam vor in dem Moment. Ich vermisste meine Freunde und auch Amerika. Ich vermisste es ständig Englisch zu reden. Denn auch, wenn ich mittlerweile Deutsch sprach, war es hin und wieder ziemlich anstrengend zu verstehen, was meine Freundinnen sagten, wenn sie etwas schneller sprachen. Seufzend stand ich auf und zog mir schnell eine Jogginghose und ein T-shirt über meine Unterwäsche. Es war Sommer und selbst nachts waren es noch gut und gerne 20°C draußen. Leise machte ich meine Zimmertür auf und trat hinaus in den Flur. Mein Zimmer befand sich im ersten Stock unseres Hauses am Ende der Diele, die durch eine Treppe, die nach oben führte, erreichbar war. Neben meinem Zimmer gab es fünf weitere auf dieser Etage. Mein Badezimmer und mein begehbarer Kleiderschrank, das Schlafzimmer meiner Mum und ihr Ankleide- sowie Badezimmer. Küche, Wohnzimmer Gästezimmer, ein weiteres Bad und eine Vorratskammer befanden sich unten. Von der Küche aus führte weiterhin eine Treppe in den Keller. Der Dachboden war ebenfalls ausgebaut und dort war mein kleines, eigenes Musikzimmer untergebracht, sowie ein Raum für meine ganzen Zeichenutensilien. Alles in allem also eigentlich ein recht großes Haus müsste man meinen, aber dadurch, dass die Räume alle ziemlich klein waren, hatte es eher etwas von einem schrulligen Hexenhaus, da auch nicht alle Zimmer gerade, oder nur rechteckig geschnitten waren. Nur meine Mutter und ich wohnten hier. mein Vater verstarb schon früh, doch das machte mir nicht viel aus. Ich hatte eh kaum noch Erinnerungen an ihn, da ich erst sechs war, als er bei einem Autounfall starb. Zwar betrachtete ich manchmal mit Wehmut, wie andere Familien an den Wochenenden zusammen etwas unternahmen, oder wie glücklich die meisten Familien schienen, allerdings wurde mir dann doch immer wieder bewusst, was meine Mutter alles aufgegeben hatte, nur um mir beizustehen. Und sie war keine nachtragende Person, im Gegenteil. Sie hatte versucht das Beste draus zu machen und mit Feuereifer nach einem schönen Haus mit Garten und der richtigen Einrichtung samt Dekor gesucht. Ich war ihr dankbar, dass sie nicht nachgefragt hatte, warum ich zum Psychologen wollte. Sie fragte selbst dann nicht was der Grund für mein Verhalten war, als ich gefragt hatte, ob wir nicht auswandern könnten. Sie war einfach für mich da. Tröstete mich, wenn ich wieder einen Albtraum hatte und machte mir neuen Mut, obwohl es sie eigentlich innerlich auffressen müsste vor Neugierde, warum ich meine Freunde und sogar meinen festen Freund ohne Abschied einfach verlassen hatte. Ich ging schleichend den Flur entlang zur Treppe und machte mich runter in die Küche. Es war eine halb offene, wie ich sie aus meiner Heimat kannte. An sich gab es einen eigenen Raum für die Kochinsel und die anderen Küchenmöbel. Allerdings fehlte einfach eine Wand, sodass man sofort ins Wohnzimmer gehen konnte. Vorsichtig machte ich den Wasserkocher an und holte mir meinen Lieblingstee aus dem Teeregal, welches sich direkt neben der Küchentür befand und packte einen Teebeutel in eine Tasse, die ich vorher aus einem der weißen Hängeschränke genommen hatte. Die Küche war weitgehend in schwarz und weiß gehalten. Weiße Schränke mit schwarzen Griffen und einer schwarzen Arbeitsplatte mit Mamoroptik ließen alles irgendwie edel wirken. Während ich darauf wartete, dass mein Teewasser fertig wurde, setzte ich mich an unseren Esstisch und spielte mit dem Tischdekor rum, welches meine Mum mühevoll da drauf drapiert hatte. Gerade als ich das Klacken des Wasserkochers hörte, welches signalisierte, dass das Wasser fertig war, vernahm ich, wie die Küchentür geöffnet wurde. Überrascht schaute ich auf und blickte in das müde Gesicht meiner Mutter, welche mich mitleidig ansah. "Alles gut bei dir Cassy?", fragte sie leise auf Englisch und setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch. "Geht so", antwortete ich ihr in der selben Sprache und zuckte mit den Schultern. "Wieder einen Albtraum gehabt?", fragte sie weiter und ich nickte. Mit einem beklemmenden Gefühl im Magen schaute ich auf den Kalender, den meine Mum unter das Teeregal angebracht hatte. Ein roter Kreis markierte das aktuelle Datum. Voller Wehmut betrachte ich die schwarzen Ziffern, die den heutigen Tag anzeigten. "Freust du dich schon, sie wiederzusehen?", vernahm ich die nächste Frage meiner Mutter, woraufhin ich wieder mit den Achseln zuckte. "Ich weiß es ganz ehrlich nicht. Ich hab mich einfach nicht getraut Mandy zu sagen, dass ich da eigentlich nicht so gerne hin will, da sie es nicht verstanden hätte. Immerhin sind sie ja auch meine Lieblingsband.", antwortete ich ihr wahrheitsgemäß. "Aber meinst du nicht, du musst dich deiner Vergangenheit mal stellen?", wieder eine Frage. Langsam nervte es mich, doch sie meinte es nur gut. Fragend schaute mir meine Mum entgegen. Ihre blauen Augen schimmerten leicht im Halbdunkeln und ihre braunen Haare hingen ihr noch wirr vom Schlafen im Gesicht. "Vielleicht hast du Recht.", antwortete ich ihr nach ein paar Minuten des Schweigens und schaute dabei unbehaglich auf meine kleinen Hände. Generell bin ich eine eher kleine Person mit meinen 1,65m. Meine Mum war einen ganzen Kopf größer als ich und auch mein Vater war eher hochgewachsen, doch es störte mich nicht. Teilweise gab es wesentlich kleinere Mädchen in meinem Jahrgang als mich. "Schau einfach, wie sich der Tag noch entwickelt und entscheide dann, was du machst. Mach dich nicht schon vorher verrückt.", riet mir meine Mum und erhob sich schwerfällig aus dem weiß gepolsterten Küchenstuhl. "Geh wieder schlafen Cass, es ist gerade Mal drei Uhr morgens." Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und drückte mich kurz, bevor sie aus der Küche verschwand. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und lächelte mir aufmunternd zu, bis sie schließlich die Tür hinter sich schloss und ich ihre müden Schritte vernahm, die sich schlurfend wieder nach oben bewegten. Seufzend machte ich mir nun meinen brasilianischen Limettentee fertig und begab mich zurück in mein Zimmer. Ich saß mit meinem Tee in den Händen auf meinem Bett und schaute nachdenklich aus dem Fenster zu den Sternen hoch. Vielleicht war ja heute wirklich der große Tag gekommen, um mein Leben wieder in die Hand zu nehmen und nicht wieder vor allem zu fliehen? Ich hatte Angst davor Andy und die anderen wieder zu sehen, große Angst.

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A Secret Between Us (Black Veil Brides)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt