Kapitel 1

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Schneller Atem übertönte das laute Knirschen des Schnees unter den Stiefeln des Mannes. Dicke Schneeflocken verfingen sich in seinem grau meliertem Haar. Wie kleine Diamanten fielen sie auf seine Schultern, als er gehetzt wiederholt um sich schaute. Erst bei genauerem Hinsehen fiel einem das kleine Bündel in den Armen des Mannes auf. Notgedrungen hatte er seinen Mantel versucht, um das Stoffbündel zu legen. Wieder huschten die grauen Augen des Mannes gehetzt über die Straße. Trotzt der Eiseskälte, die ihm ins Gesicht schnitt, standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. Tiefe Augenringe und der Schatten eines Dreitagebartes ließen ihn älter aussehen als er es eigentlich war. Eine Windböe riss an seinem Mantel, doch er spürte die Kälte nicht, die sich in seine Knochen fraß. War die kostbare Fracht, die er in Decken gewickelt hatte, alles woran er gerade dachte. Es ist nicht mehr weit, dachte er sich und blickte wieder über die Schultern in die Dunkelheit der Nacht. Schatten schienen zu leben, nach ihm zu greifen und ihn mit sich ziehen zu wollen. Dann sah er plötzlich eine schnelle Bewegung im Augenwinkel. Seinen Schritt beschleunigend rutschte er mehr um die nächste Ecke, als dass er noch lief. Da tauchte es vor ihm auf. Ein großes, stattliches Haus. Mächtig schien es sich vor ihm aufzubauen, als würde es prüfen, ob er seiner würdig war. Die hohen Fenster des Hauses lagen wie die schwarzen, leeren Augen eines Raubtieres vor ihm. Ein hoher, gusseiserner Zaun umgab das Haus glänzend wie die geleckte Zahnreihe eines knurrenden Tieres. Über das gefrorene Pflaster rutschend hetzte er auf das bedrohliche Gebäude zu. Steife Finger zerrten ungeschickt erst an seinem Schal, dann an dem Bündel. Ein merkwürdig warmer Wind umwehte die beiden. Süßlicher Geruch sorgte für das Aufkommen eines wohligen Gefühls. Die Laternen auf dem Grundstück gingen an. Das eben noch so bedrohliche große Haus schien sie nun einzuladen. Der Wind war eher wie das erleichterte ausatmen eines Elternteils, wenn es nachts bemerkte, dass es nur ihr Kind war, das nachts um das Haus schlich. Plötzlich zerriss ein lauter Knall das aufkommende Wohlgefühl. Ein brennendes Gefühl erfüllte jetzt statt Wärme die Brust des Mannes. Keuchend blickte er über die Schulter. Seine durchnässten Schuhe standen schon beinahe auf dem scheinbar sicheren Gelände des mächtigen, stolzen Gebäudes. Wie durch einen goldenen Schleier stolperte er zurück. Das Gesicht des Kindes schaute ihn fröhlich an. Kein Gefühl dafür, welches Unglück sich gerade vor ihm abspielte. Liebevoll versuchte der Mann das Blut von der Stirn des Kindes zu wischen, verschmierte es aber nur. Der dunkle Schatten des Mannes auf der Straße zerschnitt den Schnee. Obwohl kein Gesicht zu erkennen war, konnte man den Ausdruck des Mannes erahnen. Mit schrägem Kopf blickte er auf den sich langsam hin knienden Mann. „Verschwinde lieber, bevor sie dich in die Finger bekommen." Die Stimme des knienden Mannes war rau, sein tiefer Bariton ließ den Boden vibrieren. Kurz baute sich der Schatten auf, schien auf ihn zugehen zu wollen. Doch dann verschwand er blitzschnell um die nächste Ecke. Sanft legte der kniende Mann das Baby auf dem Boden und sackte langsam in sich zusammen. „Du schaffst das, Kleines. Denk immer dran, traue nur dir selbst und deinem Gefühl." Zärtlich streichelte er die Wange des Kindes. Schließlich sackte er endgültig über ihm zusammen. Das Licht, das durch die sich plötzlich öffnenden große Doppeltür fiel, zeigte, dass der Mann zu Gold erstarrt war. Ein harter Panzer, der das Kind unter ihm schützen sollte.

Verschwitzt schreckte sie hoch. Wie ich diesen Traum hasse. Seufzend ließ sie sich auf den Rucksack zurückfallen, der ihr als Kissen diente. Das Dämmerlicht, das von draußen durch die verschmutzten Fenster schien, verriet ihr, dass es erst gegen 6 Uhr am Morgen sein musste. Fröstelnd stand sie auf, um sich einen Pullover überzuziehen. Schutt knirschte unter ihren Schuhen. In die Küche schlendernd, schnappte sie sich ihre Waschtasche und eine Wasserflasche. Die Küchenschränke waren beinahe alle in sich zusammengefallen. Mit den einzelnen Teilen wurde das Wohnzimmer einmal beheizt. Reste der Schränke waren noch in dem verdreckten Kamin zu sehen. Die Wände waren im gesamten Haus aufgerissen, um so an wertvolle Rohre und Kabel zu gelangen. Ihre Zähne putzte sie vor dem, was einmal ein Waschbecken war. Gerade als sie sich vorbeugte, um den Inhalt ihres Mundes ins Waschbecken zu entleeren, sah sie aus dem Augenwinkel einen schwarzen Schatten. Fuck, nicht schon wieder die Bullen. In solchen Bruchbuden passierte es eher selten, das Nachbarn die Polizei oder dergleichen riefen, wenn sie Eindringlinge bemerkten. Blitzschnell lief sie geduckt zurück ins Wohnzimmer und schnappte sich ihre Sachen. Am Abend zuvor hatte sie das Haus auf Fluchtwege untersucht. Sie kannte jedem Stein, jede knarzende Diele im Haus. Mit sicheren Schritten gelang sie zur Treppe und hastete diese mehrere Stufen gleichzeitig nehmend nach oben. Gerade als sie links ins ehemalige Gästezimmer abbog, gingen gleichzeitig die Eingangs- und Hintertür auf. Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Stille des Hauses. Adrenalin rauschte durch ihre Adern. Dann hörte sie ein leises Knirschen von Schutt aus dem Wohnzimmer.

Das sind keine Polizisten. Kaum kam ihr der Gedanke, hörte sie kaum wahrnehmbare Schritte auf den Stufen. Sie würde nicht bleiben um nach einer genauen Berufsbezeichnung zu fragen.

Ihr wurde klar, dass diese Typen wussten, dass jemand hier war. Mit zitternden Fingern schob sie das Fenster hoch. Kaum war das Fenster offen, bog ein großer grimmig schauender Kerl um die Ecke. Seine kalten, blauen Augen starrten sie an. Innerhalb eines Augenblicks war er bei ihr und hatte sie mit seiner großen fleischigen Hand am Arm gepackt. Sie schrie nicht, das war nicht die erste Situation, aus der sie sich wieder befreien musste. „Du kommst mit. Wenn du herumzickst, bereust du es." Seine Worte waren eher ein Brummen. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Mit unschuldigem Blick schaute sie auf. „Gut", knurrte er wieder. Er lockerte seinen Griff. Das war ihre Chance. Sie hatte die Henkel ihres Rucksacks in der Hand. Möglichst unauffällig nahm sie ihn kürzer, sodass sie ihn mehr unter Kontrolle hatte. Und dann wumm. Der schwere Rucksack rammte das Gesicht des ungemütlichen Typen. Er ließ sie los und taumelte nach hinten. Sie blickte sich ihr Werk nicht an, kein Zögern. Sofort war sie beim Fenster, schlüpfte hinaus und trat schnell, aber vorsichtig auf genau die Dachziegel, von denen sie wusste, dass sie sicher sind. Innerhalb von wenigen Sekunden kam sie mit einem dumpfen Geräusch auf dem braunen Rasen vor dem Haus auf. Im Haus war Gebrüll zu hören. Flüche, die sie zuvor selbst nie gehört hatte. Es hatte kaum eine Minute gedauert, als sie sich durch eines der Löcher im Drahtzaun zwängte. Wer waren diese Typen nur? Ihr Herz raste, doch irgendwas brachte sie dazu, sich umzudrehen. Ein großer Mann stand am Fenster. Sein Anzug saß, als wäre er hineingegossen worden. Seine Haut hatte einen warmen Karamellton, dennoch wirkte er kalt und unnahbar. Er sah ihr direkt in die Augen. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter. Sie schienen sich noch eine Ewigkeit lang anzustarren. Dann verschwand sie geräuschlos hinter der nächsten Ecke. 

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Das war das erste Kapitel, einer meiner Geschichten, die eigentlich nur etwas gegen meine Schreibblockade helfen sollte :D

Was sagt ihr?

- Kim 

Majesty - Ruf des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt