Kapitel 9

1 1 0
                                    


Ella rutschte näher an Daniel heran und schob die Ärmel ihres Pullovers zurück. Sofort fühlte sie sich schutzlos. Ihr Herz schlug so laut, dass sie angst hatte jeder im Raum könnte es hören.

Mit geschlossenen Augen versuchte sie sich Ana vor Augen zu rufen. Ihr Stimme, wenn sie Ella mal wieder Predigten hielt, dass sie immer artig ihr Training absolvieren sollte.

Das helle Klingeln ihres Lachens. Anas raue Hand auf ihrer, wenn Ella mal wieder ängstlich ins Leere starrte. Ihre großen, ausdrucksstarken braunen Augen und die wirren blonden Haare.

Mit zusammengepressten Lippen legte sie ihre Fingerspitzen schließlich auf Daniels Handrücken. Daniel rührte sich nicht, ließ Ella einfach das tun, was sie dachte tun zu müssen. Entspannt saß er da und sah Ella interessiert ins Gesicht. Doch Ella sah ihn nicht, sie sah auch nicht, dass sich die Farbe ihrer Augen änderte. Das eigentliche grau ihrer Augen war verschwunden. Das warme Licht im Raum brach sich in ihren Augen wie in einem Diamanten. Alle erdenklichen Farben waren in ihren Augen zu sehen. Gelb ging in grün über, das wechselte zu blau und endete in einem lila Ton. Diese Farben waren in allen Nuancen zu sehen. Verwaschen gingen sie trotz ihrer Unterschiede in einer Einheit auf.

Erst konnte Ella nichts sehen. Als nach ein paar Sekunden immer noch nichts zu spüren war, nahm sie Daniels Hand in ihre. Seine Hand war viel zu groß, wirkte wie eine Pranke in ihrer. Angestrengt versuchte sich Ella auf Ana zu konzentrieren. Und dann kam es über sie. Eine Flut von Erinnerungen brach über sie ein. Nahm ihr für einen kurzen Moment die Luft. Keuchend sah sie einen kleinen Jungen mit dunklen Locken der mit aufgeschlagenem Knie auf dem Bordstein saß. Bitterlich weinte er über das zerbrochene Holzflugzeug zu seinen Füßen. Ein Sprung zu nächsten Erinnerung. Ella fühlte sich, als würde sie von einem starken Zog zu einem neuen Zeitstrahl gesogen werden. Sie er kannte den kleinen Jungen wieder. Nur war er ein paar Jahre älter. Ella hörte seine Eltern schreien. Spürte den Schmerz in seiner Brust und seine Tränen auf ihrer eigenen Wange. Sie konnte fühlen wie der kleine Junge sich nichts sehnlicher wünschte, als das seine Eltern endlich aufhören würden sich zu streiten. Und dann konnte Ella sehen wie es passierte. Ein Welle von warmer Energie die von dem kleinen Jungen ausging und sich durch das Haus auf den Weg zu seinen Eltern machte und sich auf sie legte wie eine kuschlige Decke. Die beiden beruhigten sich, fingen an mit einander zu sprechen, statt über einander hinweg zu schreien. Letztendlich fielen sie sich in die Arme und weinten zusammen ihren Frust und Schmerz weg. Da fiel Ella erst auf das es sich bei dem kleinen Jungen um Daniel handeln musste. Es waren schließlich seine Erinnerungen. Wieder wurde sie weiter gesogen. Daniel saß in seinem Zimmer, es war Abend und das Zimmer war wesentlich ordentlicher als in der letzen Erinnerung. Daniel war mittlerweile ein Teenager. Seine wilden Locken standen ihm wirr vom Kopf. Augenringe zeichneten sich unter den braunen Augen deutlich ab. Eine Frau stand vor ihm und schrie ihn an. Warf ihm Dinge an den Kopf die keine Mutter je ihrem Kind sagen sollte. Sie schrie er sei ein Monster, dass sie besser ohne ihn dran wären. Tränen standen Ella in den Augen. Daniel saß da wie ein Häufchen Elend und starrte mit leerem Blick auf seine Hände. Der Schmerz den Ella spürte schien sie beinahe zu zerreißen. Doch sie bekam weder ihr Wimmern, noch das ihr Gesicht Tränendurchnässt und gerötet war. Zitternd lagen ihre Hände nun fest um Daniels. Mit viel Mühe konzentrierte sich Ella auf alles was sie von Ana wusste. Ella wurde wieder weiter gesogen. Daniel stand in seinem Büro, doch er trug weder Anzug, noch war das Büro so eingerichtet, wie Ella es kannte. Daniel trug ein weißes Hemd. Eine lose Krawatte hing über dem aufgeknöpften Hemd. Seine Schuhe verteilten Matsch auf dem Perserteppich. Ein dicker Mann saß hinter dem Glasschreibtisch und motzte Daniel an. Ella spürte seinen Trotz. Seine Wut. Und dann passiert es. Die schwere Holztür flog auf und sie stand im Raum. Anas Haare waren lang. Blonde Wellen fielen seidig über das blütenweiße Hemd. Ordentlich steckte es in dem karierten Rock. Ihre Krawatte steckte perfekt gebunden hinter dem königsblauen Blazer. Ella musste schmunzeln als sie sah, dass sowohl an den Schuhen von Ana, als auch an den weißen Kniestrümpfen Matsch war. Mit wehenden Haaren rannte sie auf den dicken Mann hinter dem Tisch zu. Ana schrie den Mann an. Und da fiel es Ella zum ersten mal auf. Golden Funken umgaben Ana, als sie mit den Händen auf den Tisch schlug. Die Szene wechselte und Ella stand in einem Zimmer. Zwei Betten standen links und rechts von einem Doppelfenster. Ana und Daniel saßen auf dem Bett. Ella war sprachlos. Ana war schon als erwachsene eine wunderschöne Frau gewesen. Doch als junges Mädchen war sie nicht weniger schön. Staunend nahm Ella auf dem gegenüberliegenden Bett platz und konnte nicht anders als Ana anstarren. Sie vermisste Ana so sehr. Erst jetzt wurde ihr wirklich bewusst, wie einsam sie die vergangenen Wochen gewesen war. Er ist der Richtige. Es schien, als würde Ana ihm vertrauen. Als würde Daniel ihr vertrauen. Die beiden waren innig mit einander. Langsam bekam Ella ein Gefühl für das Wechseln zwischen den Erinnerungen. Mit viel Konzentration schaffte sie es sich nur noch auf Erinnerungen zu Ana zu beschränken. Wieder wurde Ella weiter gesogen. Doch diesmal fühlte es sich eher an, als würde sie weiter springen. Es fühlte sich an, als könnte Ella es langsam kontrollieren. Wieder sah sie Ana und Daniel zusammen. Diesmal waren die beiden in Abendgaderobe gekleidet. Ana trug ein wunderschönes Kleid in einem zarten Gelbton. Der seidige Stoff schien sie zu umfließen. Daniel trug einen perfekt sitzenden Frack. Die beiden waren wieder ein paar Jahre älter. Ella schätze sie auf circa 19. Klassische Musik dröhnte aus dem Saal nebenan, sodass es Ella schwerfiel dem Gespräch zu folgen. Ana schien sich mit Daniel zu streiten. Ella bemerkte die Tränen auf ihrem schönen Gesicht. Die sonst so ebenmäßige, blasse Haut war fleckig. Ana raufte sich durch ihre langen blonden Haare und wischte sich genervt die Tränen von den Wangen. Daniel versuchte sie dazu zu bringen ihn wieder anzusehen. Doch sie stieß ihn grob von sich. Nun liefen Daniel ebenso die Tränen über die Wangen. Ein dunkler Bartschatten betonte seine hohen Wangenknochen. Er sah schrecklich müde aus.

Erschöpft sank Ella auf den Boden vor ihrem Sessel. Schweiß rann ihr über die Stirn und mischte sich mit den salzigen Tränen auf ihren geröteten Wangen. Benommen blinzele sie in das warme Licht der Schreibtischlampe. Daniels besorgte braunen Augen kamen ihr Blickfeld. Sofort war er bei ihr und half ihr wieder zurück in den Sessel. Mit Mühe blickte sich Ella im Raum um. Unsicherheit war deutlich in ihren Augen zu sehen. Bin ich wieder zurück? Selbst Liam hatte sich aus seiner starre gelöst und war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. Mia hielt ihr ein Glas mit Wasser hin, das Ella dankend entgegen nahm. Ella zitterte so stark, dass das Wasser beinahe überschwappte. „Alles okay?" Sorge lag in Daniels Stimme. Ella nickte stumm. „Das war ja krass." Überrascht von der Tonlage in Mias Stimme, sah Ella zu der schlanken Frau hinüber. Unsicher erwiderte sie den Blick. Ella atmete tief durch und versuchte sich wieder zusammen zu nehmen. „Das war es wirklich." Ihre Stimme war rau, sich räuspernd fuhr sie fort. Diesmal richten sich ihre Augen wieder auf Daniel. Dieser sah sie absolut fasziniert an. Besonders gründlich schien er Ellas Augen zu betrachten. „Hast du gefunden was du suchst?" Nickend blickte Ella Daniel tief in die Augen. „Ana hat mir einen Brief geschrieben an dem Tag, an dem sie entführt wurde." Den gefalteten Brief auf ihrer Jackentasche ziehen ließ sie Daniel nicht aus den Augen. Sobald er Anas Namen gehört hatte, hatte sich seine Körpersprache verändert. „Ana...", er murmelte den Namen vor sich her, während er das zerknitterte Papier auseinander faltete. Seine Mine wurde finster, als seine Augen über die fein geschwungene Handschrift flog. „Wo wart ihr als sie verschwunden ist?" Ella wurde wütend. „Ana ist nicht verschwunden. Sie wurde entführt!" Daniels blick wechselte zwischen Ella und dem Brief in seiner Hand. „Ich weiß nicht Ella. Ana war schon immer jemand, der gerne die Fäden in der Hand hatte." Ella sprang mit so viel Schwung auf, dass der Sessel beinahe nach hinten umgekippt wäre. „Ana ist keine Lügnerin, Daniel!" Liam kam auf Ella zu. „Hey, Daniel hat es nicht so gemeint Ella." Beruhigend hob er die Hände. Doch das machte Ella nur noch wütender. „Wag es nicht mir näher zu kommen!" Mit bohrendem Blick sah sie wieder zu Daniel. Ihren Zeigefinger richtete sie auf ihn wie einen Dolch. „Du hast kein Recht so über sie zu reden Daniel. Du hast keine Ahnung was wir durchgemacht haben." Abwechselnd Leuchtenten ihre Augen grau und in allen Farben des Regenbogens auf. Sie kochte vor Wut. „Wenn Ana immer so ehrlich zu dir gewesen ist, kannst du mir sicher sagen was du bist Ella. Und wo ihr in den letzten Jahren abgeblieben seit?" Verwirrt ließ sie die Hand sinken. „Wovon sprichst du? Was meinst du mit was ich bin?" Ihr grauen Augen wurden nicht weiter von der besonderen bunten Version abgelöst. Verwirrung löste Zorn ab. „Ana hat mich nie angelogen. Wir werden verfolgt. Erst gestern wieder", mitten im Satz brach Ella ab. Unterbewusst wusste Ella das Daniel gerade einen guten Punkt gemacht hatte. Dennoch wollte sie diesen Fremden vor sich nicht gleich zu viel verraten. Daniel stand auf und legte den Brief auf seinen Schreibtisch. „Ana ist unglaublich schlau und gut in dem was sie tut. Das war sie schon, als wir noch Kinder waren." Abwesend ließ Daniel sich auf seinen Schreibtischstuhl zurückfallen. Ella bemerkte wie sehr sie das stehen schmerzte, hob den gefallenen Stuhl auf und ließ sich ebenfalls zurück in den Sessel sinken. „Ich habe gesehen wie ihr euch gestritten habt." Müde blickte Ella Daniel an. „Aber das sind dein Erinnerungen von ihr, Daniel. Nicht meine." Seine Finger strichen über seine Haare. Ella hatte seine jüngeren Version vor Augen. Sah ihn wieder mit Ana vor dem Ballsaal stehen und über Gott weiß was streiten. Ella und Daniel sahen sich in die Augen. Für ein paar Sekunden sahen sich die beiden einfach schweigend an. Zu müde um die Diskussion mit Worten Ausdruck zu verleihen. Ellas Blick wurde herausfordernd und Daniel lächelte. „Gut, Ella", er lehnte sich vor und deute mit einem Nicken auf den Brief. „Also, sag mir was ich tun kann." Mit flauem Gefühl im Magen fasste Ella allen Mut zusammen den sie noch aufbringen konnte. „Sag mir was ich bin."

______

Es wird spannend ihr Lieben :)

Was meint ihr, kann Ella Daniel trauen?

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 25 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Majesty - Ruf des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt