Kapitel 3

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In sicherem Abstand folgte ich ihr, wieder nach draußen in die Hitze. Obwohl es erst früher Abend war, lag der Hof schon im Schatten. Anscheinend ging die Sonne hinterm Berg unter. Sie führte mich über ein kleines Stück Wiese zum Waldrand. Naja, einen Wald konnte man es nicht wirklich nennen. Eher standen vereinzelt Bäume über die Weide verstreut, die von einem etwa brusthohen Holzzaun umgeben war. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass die Weide geteilt war. Eine Litze teilte sie in einen recht großen Teil und einen kleineren, der sich an den Stall anschloss.

llona lehnte sich gegen den Zaun und deutete auf den größeren Teil der Weide. „Da stehen die Ponys. Wahrscheinlich sind sie jetzt recht weit hinten den Berg rauf, aber spätestens Morgen siehst du sie."

Ich lehnte mich nicht gegen den Zaun. „Kommen die nachts nicht rein?", unterbrach ich sie, mit hochgezogenen Augenbrauen.

Sie lachte. Nicht spöttisch, aber es fühlte sich so an, als würde sie sich über mich lustig machen. „Nah. Die komm'n nur rein, wenn es stürmt, gewittert oder mit de' Viecher zu schlimm wird. Sonst sind die immer drauß'n."

„Auch im Winter?!"

Anscheinend hatte ich mich ziemlich entsetzt angehört, denn sie stieß ein Prusten aus.

„Mama meinte, du kennst dich mit Pferd'n aus. Bist du nicht auch Turniere geritt'n?"

„Ja!", entgegnete ich genervt, all meine passive Aggressivität in meine Stimme legend. „Ich war sogar im Kader. Im M-Springen."

„Waren eure Pferde im Winter nicht drauß'n?", hakte sie nach, ohne auf meinen Kommentar einzugehen. Ihr Blick war irritiert.

„Wenn sie zu viel Winterfell bekommen, dann fangen sie an zu schwitzen, außerdem-"

Sie lachte wieder. „Du solltest mal den ldefix sehen, wenn der sein Winterfell hat! Das ist mehr Fell als Pony."

Ich sagte nichts mehr. Sie kam mir vor, wie eines von diesen Ostwind-Pferdemädchen, die zu viele Bibi und Tina Filme geschaut hatte. Keinen Sinn für Pferdesport. Wahrscheinlich würde sie mir gleich auch noch erzählen, dass Gebisse und Sättel schlecht für Pferde und Missbrauch waren, aber das tat sie nicht.

Stattdessen stieß sie sich wieder vom Zaun ab und setzte ihre Führung fort, als hätte unsere Konversation nie stattgefunden. Sie schob einen Riegel am Tor der großen, bretterverkleideten Scheune nach hinten und zog die Tür mit einem kräftigen Ruck auf.

„Pass auf. Ist staubig hier drinnen. Die meisten mit Asthma hab'n hier Probleme. Wenn du 'ne Maske hast, dann setz die auf."

Als würde ich den Staub, der durch die Luft wirbelte, nicht selber bemerken. „Merk ich selbst.", knurrte ich und verzichtete ganz bewusst darauf, meine Maske aufzusetzen. So weit kam es noch, dass ich mir von einem Wendy-Mädchen, das jünger war als ich, Anweisungen zu meinem Asthma geben ließ.

Sie warf mir einen besorgt scheinenden Seitenblick zu, für den ich ihr gerne eine gescheuert hätte. Ich brauchte kein Mitleid. Und sie hatte sich auch keine Sorgen um mich zu machen. Meine Augen gewöhnten sich langsam an das schwummerige Licht. Staub tanzte durch die Luft.

„Also. Das da links sind die Boxen von den Ponys." Sie deutete auf eine Reihe von Boxen, bei der an allen Türen zwei laminierte Schilder mit Namen festgetackert waren. Nur bei einer Tür hing ein einzelnes Schild. „Und das da drüben ist die Box vom Tamaluk." Die Box, auf die sie zeigte war nach außen hin offen und führte auf die Weide. Anscheinend war dieser Tamaluk ein ziemliches Arschloch, wenn er ein abgetrenntes Stück Weide hatte.

Während llona mir den Rest des Erdgeschosses der Scheune zeigte, in dem noch ein Traktor stand und anscheinend noch Platz für einen weiteren war und sie mir erklärte, dass die zwei oberen Stockwerke voller Heu und Stroh waren, spürte ich, wovor sie mich am Anfang gewarnt hatte. Das mir allzu vertraute Pfeifen meiner Lungen setzte ein, als wir durch die horizontalen, vertikalen und schrägen Balken, die die Scheune in zwei Hälften teilten, wieder zum Ausgang kletterten.

Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und unterdrückte den Hustenreiz. Ganz sicher würde ich mir vor ihr nicht die Blöße geben und das Spray auspacken. Das Pfeifen wurde lauter, während ich versuchte kontrolliert zu atmen. Es stellte sich wieder das Gefühl ein, jemand würde meinen Brustkorb fest zusammendrücken und mit jedem Atemzug weniger Luft hineinlassen.

„Willst du-?", fragte llona, nicht genervt oder irritiert, wie meine Mutter es oft war, sondern eher routiniert, als hätte sie es schon hundert Mal gefragt.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte, ihr eine schnippische Antwort an den Kopf zu knallen. Leider war meine Lunge anderer Meinung.

„Jana, mach!", jetzt klang ihre Stimme scharf.

Ich schüttelte wieder den Kopf. Ich würde mir die Blöße nicht geben. Sie war jünger als ich und bildete sich ein, alles besser zu wissen. Lieber würde ich hier an Ort und Stelle verrecken. Dann würde meine Mutter vielleicht auch kapieren, dass man seine Kinder nicht einfach so irgendwo abladen konnte.

„Jana. Ich hab schon tausende Male Leuten dabei zugeschaut! Ich weiß, dass dir das peinlich ist, aber stur sein bringt dich ned weit'r!" Sie schob mich durch das Tor wieder nach draußen.

Mit fahrigen Händen zog ich das Spray aus der Hosentasche und atmete das ekelhafte Zeug ein. Erschöpft lehnte ich mich an die geschlossene Seite des Scheunentors, bis die Welt aufhörte sich zu drehen. llona lehnte sich neben mich. Anscheinend wusste sie, dass man in so einer Situation besser die Klappe hielt, denn sie wartete einfach, bis ich mich wieder vom grün lackierten Holz abstieß.

„Zufrieden?", knurrte ich.

Sie zuckte die Schultern. „Du bist diejenige, die im Krankenhaus g'landet wäre."

Ohne einen weiteren Kommentar setzte sie ihre Führung fort. Vorbei an dem überdachten Reitplatz, zwischen dem und der Scheune ein Weg entlang ging, der sich um den Berg wand. Irgendwo aus der Richtung rauschte ein Fluss.

Gerade, als ich mich fragte, warum neben dem Reitplatz ein Haufen gestreifter Stangen einfach so auf dem Boden lag, ohne aufgeräumt zu sein und warum mich Tobias eigentlich nicht herumgeführt hatte, rollte ein Traktor auf den Hof.

Auf dem Fahrersitz saß ein ebenfalls sonnengebräunter Mann, mit dunklem Vollbart und einer kurzen Arbeitshose. Von seiner Rechten sprang ein, vielleicht neunjähriger Junge in den Kies, der aussah, als wäre er eine eins zu eins Kopie seines Vaters. Nur ohne den Vollbart.

Auf der linken Seite des Fahrersitzes, saß ein Mädchen mit schmutzig blond wirkenden Haaren. Sie grinste so breit, dass ich mich fragte, warum ihr das Lächeln nicht aus dem Gesicht kippte, oder sie Wangenmuskelkater bekam. Sie ließ einen Koffer, der vermutlich größer war, als sie selber, auf den Boden fallen. Anscheinend war ich nicht die einzige Patientin hier. Na super. Jetzt kam ich mir wieder vor, wie in der Lungenklinik.

„lsy! ich dachte du kommst erst am Freitag!", quietschte llona. Anscheinend kannten sie sich schon. Anders hätte ich es mir sonst nicht erklären können, dass sich die beiden gerade zerquetschten, als gäbe es kein Morgen.

„Hi!", begrüßte mich das Mädchen, sobald sie sich wieder von llona gelöst hatte.

„Hey.", murmelte ich abwesend.

„Ich bin Isabelle. Aber meine Freunde nennen mich lsy. Du bist zum ersten Mal hier, oder?" Gefühlt redete sie noch mehr als llona.

„Ja. Offensichtlicherweise, Isabelle", knurrte ich und wandte mich ab. Ihre gute Laune ging mir jetzt schon auf den Geist.

Schulterzuckend drehte sie sich wieder zu llona, die lsabelles Koffer nach oben zum Haus trug. Schon steckten sie mitten in einem Gespräch über Berge und Ponys.

Gefolgt von dem Mann, bei dem ich krampfhaft versuchte, mich an seinen Namen zu erinnern, trotte ich nach oben zum Haus, den beiden anderen hinterher. Für llona war ich jetzt also abgeschrieben.

Isabelle trug ein relativ enges, blaues T-Shirt, aber irgendwie wirkte es merkwürdig. Als würde sich ihr Körper darunter nicht richtig bewegen und ihr hätte jemand einen Stock an die Wirbelsäule geklebt.

Tamaluk - zwölf Wochen SüdtirolWo Geschichten leben. Entdecke jetzt