Kapitel 1 - Taehyung

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Regel Nr. 1: Erwartungen runter schrauben

(erwarte nichts Großartiges, dann hält sich die Enttäuschung in Grenzen)


Taehyung traf ich auf einer dieser elend überzogenen Einweihungspartys, die manche Firmen für neu erworbene Büroräume veranstalteten, um in besonderem Maße darauf aufmerksam zu machen, wie unglaublich jung, hip und absolut trendy sie waren. Und ich weiß noch, dass das erste Bild von ihm sich mir quasi auf die Netzhaut gebrannt hatte. Mein Gott, was war dieser Mann schön. Offensichtlich war er die ‚plus Eins' auf der Einladungskarte einer nicht minder aufregenden Frau, welche an seinem Arm hing, als wäre er ihr Blindenhund. Dabei war die Gute vermutlich gut und gerne doppelt so alt, wie ihr umwerfender Begleiter, auch wenn wohl ein halbes Dutzend Schönheits-OPs dafür gesorgt hatten, dass sie wenigstens ansatzweise mit ihm mithalten konnte. Trotzdem. Ihr Verhalten war affektiert, ihr Lachen zu schrill, die ganze Aussage deswegen überdeutlich: Seht her, er gehört mir.

Worüber man nun spekulieren konnte oder nicht. Denn ihr jugendlicher Begleiter fügte sich zwar ganz dem freundlichen Lächeln und der höflichen Konversation, aber hin und wieder glitt sein Blick doch beinahe hilfesuchend durch den Raum. Als gelte es, jemanden zu finden, der ihn aus seinem Elend befreien würde.

Ich war ganz kurz davor, beim nächsten Mal einfach neckisch in seine Richtung zu winken.

Eine Weile beobachtete ich also mehr oder weniger aufmerksam dieses Schauspiel, während ich selbst völlig belanglose und im höchsten Maße langweilige Konversation betrieb. Immer höflich lächelnd, immer wahnsinnig interessiert - ich wusste ja, was man von mir erwartete. Ich war selber die ‚plus Eins', allerdings einer langjährigen Bekannten, die mich angefleht hatte, sie nicht im Stich zu lassen. Wenn ich mir das Publikum hier so ansah, welches zu großen Teilen aus älteren, geifernden Männern in teuren Anzügen und mit noch teureren Uhren an den Handgelenken, bestand, ahnte ich, warum ihre Verzweiflung so groß gewesen war. Im Moment war Eun-chae allerdings gerade ins Gespräch mit einer Studienkollegin vertieft und ich hatte Zeit, einmal mehr den jungen Mann zu bewundern, der demütig und brav neben seiner grellen älteren Begleitung ausharrte. Sanft lächelnd, immer aufmerksam. Ich zollte ihm Bewunderung dafür, wirklich. Und er war wirklich umwerfend schön. Es schien fast so, als würde er das Licht im Raum aufsaugen und wie eine Aura um sich selbst langsam wieder abgeben. Er... schimmerte.

Oder ich hatte ein paar Drinks zu viel.

So oder so, ich wollte näher an diesen Kerl heran, weil ich wissen wollte, ob seine Wirkung aus der Nähe immer noch so umwerfend war. Also flanierte ich lächelnd, eine Bemerkung hier oder da einwerfend, allmählich durch den Raum, gönnte mir ein oder zwei Häppchen von einem Tablett, das eifrige, wunderschöne und ebenso blutjunge Kellnerinnen und Kellner herumtrugen und manövrierte mich so in eine bessere Ausgangslage. Jetzt konnte ich auch in Teilen das Gespräch verfolgen, in das er verwickelt worden war. Es ging wohl um Schauspielerei, wer hätte das gedacht. Sein Gegenüber bombardierte den jungen Mann mit dummen wie auch anzüglichen Fragen, aber immer noch hatte er sich im Griff. Ein leises Lachen, ein paar charmante Antworten - Respekt.

Im Übrigen hatte er eine tiefe, sexy Stimme und ich stellte mir vor, welche Wirkung diese Stimme im Halbdunkel eines Schlafzimmers haben würde. Dieses rauchige, dunkle Timbre, zusammen mit diesem heiseren Lachen, das von Zeit zu Zeit zu hören war.

„Taehyung, Schätzchen", hörte ich seine Begleitung. „Bitte sei so lieb und besorge uns noch etwas Champagner, hm?"

Taehyung also - und ich durfte außerdem verfolgen, wie das blondierte, alternde Gift ihrem hübschen Spielzeug ein Küsschen auf die Wange hauchte - Vorschuss-Dankbarkeit womöglich, weil er sich brav auf den Weg an die Bar machte.

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