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Nathan zog die Fahrertüre des schwarzen Geländewagens hinter sich zu und blickte lächelnd über seine Schulter. „Soll ich zum Haupthaus zurück oder möchtest du den Kleinen woanders hinbringen?" Was Ravyn Ise einen Moment lang nachdenken ließ, währenddessen er es sich bequem machte und, so gut es auf der Rücksitzbank eben ging, seine Beine überschlug.
„Zurück zum Haupthaus. Das Anwesen ist groß genug. Unwahrscheinlich, dass Elric ausgerechnet in den nächsten zwei Tagen meine Räume durchforstet, weil er etwas sucht."
Dann wandte er sich an Elian, der zur gleichen Zeit seine Beine auf den Sitz zog und sich tiefer in der Decke versteckte, wie Nathan nickend den Motor startete und losfuhr. „Wie heißt du?"

„Elian Rice, Sir." Elis' leise Stimme zitterte ein wenig, dann kratzte er all seinen Mut zusammen. „Darf ich wissen, wer Sie sind? - und warum sie uns angegriffen haben?" Elian biss sich auf seine Unterlippe und krallte seine Finger in die dunkle flauschige Decke, welche er längst bis zu seinem Kinn hochgezogen hatte. „Was passiert jetzt mit mir?"

„Ravyn Ise. Ich bin, wie mein Bruder, ein GEN2. Mir gehören einige Firmen und verschiedene Locations. Nox hat sich in meine Geschäfte eingemischt, was mich einiges an Geld gekostet hat und mich noch kosten wird. Und wir reden hier nicht über Taschengeldbeträge. Er war nicht der nette unschuldige Alpha."

Elian nickte leicht und wandte einen Moment lang seinen Blick ab. „Das habe ich auch nicht angenommen. Was bedeutet GEN2?" Der nun doch neugierige Blick des Jüngeren legte sich erneut auf Ravyn Ises' Gesicht, welcher leicht grinste. „Wir werden, nicht wie ihr, mit verschiedenen Rängen geboren. Die Hierarchie, wenn man so möchte, richtet sich bei uns nach der Generation, in welcher wir zur Welt kommen. GEN1, GEN2, GEN3 und so weiter. Ein GEN1, also ein Vampir der ersten Generation - durch einen Gendefekt sind wir Vampire immer männlich - stammt direkt von den alten Bestien ab. Wenn dieser GEN1 mit seinem Gefährten oder seiner Gefährtin ein Kind zeugt, wird dieses als GEN2 geboren. Selbstverständlich können die jungen Generationen meiner Rasse ebenso viel Macht erlangen wie die Älteren. In Hinsicht auf ihre Kraft jedoch, können sie diesen nicht das Wasser reichen, da das Blut der alten Kreaturen mit jeder neuen Generation verdünnt wird.
Um es noch einfacher auszudrücken, ein GEN1 ist mit euren mächtigsten Alphas zu vergleichen. Ein Vampir der zehnten Generation beispielsweise, mit einem Omega. Nur dass bei meiner Art keine neuen Vampire der ersten Generation geboren werden, anders wie bei euch. Hast du verstanden?"
Elian nickte, was den GEN2 zufrieden lächeln ließ.
„Gut. Und jetzt zu deiner letzten Frage -. Wir fahren zurück zu meinem Anwesen in Atlanta. Mein Bruder und ich besitzen nicht nur ein Grundstück, doch dort verbringen wir die meiste unserer Zeit. Elric hat in drei Tagen Geburtstag - und wie ich bereits sagte, wirst du mein Geschenk an ihn sein.
Ich habe seine ständigen One-Night-Stands langsam satt. Hinzu kommt, dass sie ihm nicht zu helfen scheinen, sondern von Mal zu Mal frustrierter zurücklassen. Das Ganze bringt in vielerlei Hinsicht nichts als Ärger und Probleme mit sich. Meinem Bruder fehlt jemand an seiner Seite, der in ihm den Beschützerinstinkt weckt und dessen sanfte Art auf ihn abfärbt. Ich hoffe, dass du ihm hilfst, wieder zur Ruhe zu kommen.
Ich möchte Elric nicht eines Tages an die Blutgier verlieren. Eine Frau kommt für ihn nicht in Frage. Doch du als männlicher Omega bist von deiner ganzen Natur her perfekt. Außerdem wirst du damit einen Alpha an deiner Seite haben, der dir die Sicherheit gibt, nach welcher ihr Omegas euch sehnt. Mein Bruder wird dich gut behandeln, da bin ich mir sicher. Und wenn du dich benimmst und nicht so etwas Törichtes, wie beispielsweise einen Fluchtversuch startest, hast du weder von mir, noch Elric oder unseren Männern etwas zu befürchten.
Weißt du, wer dein Mate ist?" Ravyn ließ Eli keinen einzigen Moment aus den Augen. Beobachtete jede seiner Bewegungen und Reaktionen auf seine Worte. Der Geruch, der an dem kleinen Omega haftete, war zwar rein. Kein penetranter Geruch, welcher den lieblichen des Jüngeren überlagerte. Was bedeutet hätte, dass bereits jemand Anspruch auf den Omega erhoben und ihn als seines markiert hatte. Außerdem war die blasse Haut am Hals gänzlich unversehrt, soweit er das beurteilen konnte. Kein Mate-Biss war zu erkennen.
Wäre dies der Fall gewesen, hätte er ihn nicht mitgenommen. Schließlich war er kein Monster, auch wenn viele an dieser Stelle etwas anderes behaupten würden. Doch das schloss nicht gänzlich aus, dass er nicht längst seinen Mate gefunden hatte und sie nur noch nicht weiter gegangen waren. Zwar etwas sehr Unwahrscheinliches und Idiotisches, in Bezug auf die fehlende Sicherheit für den Omega, doch nichts Unmögliches. Dennoch fand er es nicht sehr wahrscheinlich, dass Letzteres zutraf.
Was Elian ihm nur wenig später in Form eines sachten kopfschüttelns bestätigte. „Nein - ich ... es ist niemand aus dem Rudel."
Woraufhin der Vampir mit einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht nach seinem Smartphone in seiner Anzugjacke fischte, welches in dieser Sekunde angefangen hatte zu klingeln. „Gut. Ruh dich etwas aus. Wir sind noch eine Weile unterwegs." Ravyn sah Elian nur einen Moment lang an, dann nahm er mit einer deutlich genervt klingenden Stimme den Anruf entgegen.

Vielleicht hättest du ihn doch besser anlügen sollen. Wenn er angenommen hätte, dass jemand kommt, um uns zu befreien -.

Elian seufzte leise, bei der alles andere als sonst so fröhlichen Stimme Nelios' in seinem Kopf und wandte sein Gesicht der vorbeifliegenden Landschaft zu.

Nein, Nelio. Ich denke nicht, dass wir uns einen Gefallen damit tun, wenn wir ihn anlügen und wütend machen. Im Moment habe ich nicht das Gefühl, dass er uns verletzen möchte, abgesehen von dieser ‚Ihr seid mein Geschenk' Sache. Vielleicht tun sie uns ja wirklich nichts, was dir oder mir in irgendeiner Form Schmerzen bereitet. Außerdem scheint er nichts gegen Omegas zu haben und sogar über uns Bescheid zu wissen.

Wir enden mit einem Geschenkband um unseren Hals -.

Besser als halbtot, frierend und schutzlos im Wald liegend oder an Ketten in einem Keller.

Elian schloss einen Moment die Augen und konzentrierte sich auf den angenehmen Geruch des weichen anthrazitfarbenen Leders an seiner Wange.

Er hat uns mitgenommen, weil wir das sind, wonach er allem Anschein nach gesucht hat. Unser eigenes Rudel hat uns für das, was wir sind, verabscheut, zusätzlich zu den Vorwürfen. Wenn es uns in den Klauen unserer Feinde also letztlich besser ergeht, dann kann ich durchaus mit einer Schleife um meinem Hals leben. Und versuchen zu fliehen, können wir ja immer noch, wenn sich herausstellt, dass wir nur von der einen Hölle in eine andere geraten sind. Oder wir wählen den anderen Weg, wenn es gar keinen Ausweg mehr gibt -.

*

Die Sonne war längst hinter den Bäumen und Häusern verschwunden, als sie nach etwa vier Stunden Fahrt ein eisernes Eingangstor passierten. Und nach weiteren Minuten schließlich vor einem gewaltigen Gebäudekomplex hielten.
Zum Schluss hin war er immer wieder kurz weggenickt, doch nun, nachdem die Räder zum Stillstand gekommen waren, und sein Blick über die weiße Außenfassade des dreistöckigen Hauses schweifte, war seine Müdigkeit wie weggeblasen. Sie schienen ihr Ziel erreicht zu haben.
Elian schluckte, als er nun, nachdem er aus dem Wagen geklettert war, an Ravyns' Seite auf die Türe zu lief, welche bereits von einem der Hünen für sie aufgehalten wurde.
Er konnte trotz der Außenbeleuchtung zwar nicht sehr viel sehen, doch sie reichte durchaus aus, um ihn erkennen zu lassen, dass dieses Anwesen riesig sein musste.

„Ist mein Bruder zu Hause?" Der Boss des Gerlari-Syndikats sah, nachdem sie in der eindrucksvollen, hell erleuchteten Eingangshalle stehen geblieben waren, zu seinem Sekretär. Der diese soeben mit schnellen großen Schritten durchquerte, auf sie zukam, und nun auf seine Frage hin verneinend den Kopf schüttelte. „Er war nur hier, um sich umzuziehen. Kurz nachdem du weg warst. Wie ich ihn verstanden habe, wollte er in einen unserer Clubs."

Der GEN2 seufzte leise und sah von Luc zu Elian, der etwas verunsichert wirkend dicht neben ihm stand, und wieder zu Luc Durand, dessen fragender Blick nun ebenfalls auf dem jungen Omega lag. „Bring ein paar Kleidungsstücke von Elric in das Gästezimmer neben meinem Schlafzimmer. Ich erkläre dir zu einem späteren Zeitpunkt alles."

Two Hearts - Seelenbund-Trilogie Band 2 (BoyxMan) [Leseprobe] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt