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Elian legte die Zahnbürste beiseite, spritzte sich Wasser ins Gesicht und trocknete sich mit dem flauschigen Handtuch ab. Wobei sein Blick auf seinem Spiegelbild hängen blieb, welches ihm mit kleinen, müden Augen und tief durchatmend entgegenblicke. Jetzt würde er das erste Mal neben einem Mann ins Bett steigen und konnte kaum noch die Augen offenhalten. Eli seufzte. Aber vielleicht war das gar nicht mal so schlecht. Dann würde er wenigstens schlafen und nicht die restliche Nacht mit heißen Wangen neben Elric liegen und sich über jede noch so kleine Berührung und Bewegung Gedanken machen.
Elian biss sich auf seine Unterlippe und sog die Luft durch seine Nase tief in seine Lunge, wo er sie einen Moment lang anhielt, bevor er sie mit einem kräftigen Stoß wieder entweichen ließ. Es half alles nichts, ... er musste zurück in das geschmackvoll, in beigen, braun- und dunkelgrünen Farbtönen gehaltene Schlafzimmer. Nach einem letzten Blick in den großen Badezimmerspiegel, welcher die halbe Wandseite bedeckte, wandte Eli sich schließlich ab. Tappte mit nackten Füßen durch den beheizten Raum und spielte währenddessen vor Nervosität mit dem Saum der Ärmel des blauen Hemdes. Es war das einzige Kleidungsstück, welches er am Körper trug, abgesehen von seiner Boxer.
Er hatte zwar mit dem Gedanken gespielt, seine Hose anzubehalten, diesen jedoch schnell wieder verworfen. Mit einer Jeans zu schlafen war alles andere als bequem. Außerdem glaubte er nicht, dass Elric es guthieß, wenn er ihm schon ein Hemd von sich gab. Also hatte er sich alles aus und das Oberteil des Vampirs, welches ihm bis fast zu den Knien reichte, angezogen. Und hatte der Ältere nicht gesagt, dass er nicht vorhatte, ihn zu verletzen. Zudem war er nicht gebunden, und würde es möglicherweise niemals sein, ... also, was sprach dagegen. Was trotzdem nichts daran änderte, dass ihm sein Herz bis zum Hals schlug.
Er hatte bis jetzt keinerlei Erfahrungen gesammelt. Selbst, wie man sich küsste, wusste er nur theoretisch, was in seinem Alter schon etwas - peinlich - war, bedachte man, was andere Teenager in diesem längst alles ausprobiert hatten. Doch was sollte er machen. Für Mädchen interessierte er sich nicht die Bohne. Und Silvan hatte in der Schule schon dafür gesorgt, dass er als ‚Schwuchtel' froh darüber sein konnte, wenn er nur hämische Kommentare über sich ergehen lassen musste, bei denen es all die Jahre über nicht immer geblieben war.
Womöglich störte ihn all das hier auch nicht so sehr, wie es sollte, weil sein Herz darauf hoffte, dass er endlich jemanden gefunden hatte, der ihn akzeptierte und annahm, so wie er war. Was Elric ja zu tun schien. Allgemein schienen Vampire in dieser Hinsicht vollkommen anders zu ticken wie seinesgleichen.

Elian seufzte erneut. Es brachte nichts, sich ständig aufs Neue den Kopf darüber zu zerbrechen. Es war jetzt nun mal so, wie es war.
Mit zaghaften Schritten trat er in das angrenzende Schlafzimmer des GEN2. Die Hände dabei schützend vor der Brust verschränkt und die Finger in den sich auf seiner Haut angenehm weich anfühlenden Stoff gekrallt, und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Bis er auf Elric zum Ruhen kam, der mit dem Rücken zu ihm vor dem bodentiefen Fenster am anderen Ende des Zimmers stand. Eli schluckte seine Nervosität hinunter, dann setzte er einen Fuß vor den anderen und bewegte sich mit kleinen Schritten über den dunklen, durch eine Fußbodenheizung, warmen Parkettboden auf den Vampir zu. Trotz des zu weiten, langen Hemdes fühlte er sich wie auf einem Präsentierteller.
Auf einer viel tieferen Ebene verwundbar. Es war eine unangenehme Empfindung, welche für ein flaues Gefühl in seiner Magengrube sorgte. Nicht, dass er sich als Omega einem anderen je überlegen gefühlt hatte -. Doch das hier war noch einmal etwas vollkommen anderes.
Trotz der angenehm warmen Temperatur im Zimmer fröstelte er etwas, je näher er dem Mann kam. Was war, wenn Elric nicht zu seinem Wort stand?! Wenn er all das nur gesagt hatte, um ihn in Sicherheit zu wähnen. Ein Schauer bei diesem Gedanken ließ Elians zierlichen Körper beben. Dann lenkte jedoch etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Der Atem des jungen Omega stockte bei dem Anblick, welcher sich ihm bot. Er war allem Anschein nach zu sehr in seinen Gedanken gefangen gewesen, um überhaupt zu realisieren, dass der Vampir lediglich mit einer tiefsitzenden Jogginghose vor dem Fenster stand - doch nun.
Von den feinen Linien und der Raubkatze völlig fasziniert, glitt sein Blick über Elrics muskulösen Rücken. Er betrachtete bewundernd das Tattoo, welches sich in einem nicht allzu dunklen Grau von seiner leicht gebräunten, makellosen Haut abhob und fast seinen kompletten Rücken und beide Arme bedeckte.
Ohne es bewusst wahrzunehmen, trat er näher an den Vampir heran, um die schwungvollen Linien besser sehen zu können, welche für ein Tattoo doch irgendwie zu hell waren.
Elians Stirn legte sich in Falten und sein Kopf neigte sich leicht zur Seite, während seine Augen jeden Zentimeter freigelegte Haut scannten. Den eindrucksvollen schwarzen Panther betrachtete, der sich durch brennendes Unterholz zu bewegen schien. Eine gefährliche riesige Raubkatze, bei dessen Anblick er sofort das Gefühl hatte, dass sie zu Elric passte und sein Innerstes widerspiegelte. Sanft mit geschmeidigen anmutigen Bewegungen und im nächsten Moment absolut tödlich. Es war, als würde sie sich jeden Moment bewegen und ihn anfauchen, so realistisch war das Motiv, welches seinen Blick gefangen hielt.
Erst das dunkle, unterdrückte Lachen riss ihn aus seiner stillen Bewunderung und ließ ihn schluckend aufsehen. Er hatte gar nicht gemerkt, wie nah er dem Mann gekommen war. Dieser drehte seinen Oberkörper nun leicht zu ihm um und richtete seinen Blick aus warmen, obsidianfarbenen Augen auf ihn. Hatte der Vampir extra stillgehalten, damit er Zeit hatte, das Motiv zu betrachten?
Elian biss sich erneut auf seine Unterlippe, dann fiel sein Kopf ein weiteres Mal kaum merklich zur Seite und sein Gesicht nahm einen fragenden Ausdruck an. „Wa-warum ist das Tattoo denn so hell?"

„Es ist kein Tattoo, welches mit einer Nadel und Farbe unter die Haut gestochen wurde -", Elric schmunzelte. „Wir nennen es ‚Stammes- oder Geburtsmal'. Es zeigt, von welcher alten Höllenbestie wir abstammen.
Wenn wir entspannt und emotional gelassen sind, ist das Mal nur wenige Schattierungen dunkler als unser Hautton. Was sich ändert, wenn wir zum Beispiel Hunger haben, wütend oder aufgewühlt sind - oder Lust empfinden. In diesen Fällen füllt sich das Motiv mit Farbe, wird dunkler, lebendiger und unsere Augen färben sich rot."
Der GEN2 legte seine Finger unter das Kinn des Omega, hob es etwas weiter an und fuhr mit seinem Daumen über Elians Lippen, was diesen leicht erschaudern ließ.
Elrics funkelnde Augen zeigten deutlich, dass ihn Elians Reaktion amüsierte. „Sie lassen sich nur schwer manipulieren. Es ist relativ leicht, sich anhand dessen zusammenzureimen, was wir empfinden."

Elians Augen weiteten sich leicht, als er sah, wie die unterschiedlich dicken, hellgrauen Linien auf Elrics Oberarmen dunkler wurden, nur wenige Sekunden, nachdem der Vampir geendet hatte. Sein Blick ruckte augenblicklich zurück zu Elrics Gesicht. Woraufhin ihm ein leises Keuchen durch seine leicht geöffneten Lippen entkam, als er realisierte, dass dessen Blick nun ungeniert über seinen Körper wanderte. Ihn unverhohlen musterte. Bis seine Augen wieder auf die seinen trafen. Es war nur zu deutlich, was das Ganze zu bedeuten hatte. Genau wie Elric sagte.

Der Blick des jungen Omega, zusammen mit seinem rasenden Herzen, musste Bände sprechen. Denn nur wenige Augenblicke später ließ der Ältere vergnügt lachend seine Hand sinken, umfasste ohne Vorwarnung mit beiden Händen den Hintern des Jüngeren, was Elian erschrocken aufschreien ließ, hob ihn summend hoch und drückte ihn an seinen Körper. Woraufhin Eli reflexartig seine Arme Halt suchend um Elrics Nacken schlang und sein Gesicht an dessen Halsseite vergrub. Sein Zittern musste deutlich zu spüren sein. Doch es passierte nichts, außer dass das leise Lachen verstummte. Der über zwei Meter große Mann stand einfach nur gelassen da und hielt ihn. Und das einige Minuten lang, in denen Elian sich langsam beruhigte und sich wieder etwas entspannte.

„Du hast noch keinerlei Erfahrungen - nicht wahr?"

Die dunkle Stimme des Vampirs ging Elian durch Mark und Bein. So gut es ging, schüttelte er den Kopf und ein kaum verständliches ‚nein' kam ihm über seine Lippen.
Nun war es Elric, welcher leise seufzte. „Ich habe dir gesagt, dass ich dich nicht verletze -. Und ich stehe zu meinem Wort! Wir lassen es beide am besten auf uns zukommen. Gib einfach deiner Natur nach und lass uns sehen, was passiert. Du hast nichts von mir zu befürchten, kleiner Omega."

Elian schluckte abermals und schloss geschafft seine Augen. Die schlaflose Nacht - diese Achterbahn der Gefühle. Schlicht alles, was die letzten Tage über passierte.
Er war am Ende und Elrics warmer Körper so nah an seinem gab ihm nun endgültig den Rest. Ein leises ‚Okay' war das letzte, was er noch zustande brachte, bevor er endgültig seiner Müdigkeit nachgab und ins Land der Träume abdriftete. Er bekam nicht einmal mehr mit, wie der Vampir zusammen mit ihm zum Bett lief. Ihn sanft darauf ablegte. Sich neben ihn legte, nachdem er ihm vorsichtig das Halsband abgenommen hatte. Die Bettdecke über ihre beiden Körper zog und ihn in seine Arme nahm.

Two Hearts - Seelenbund-Trilogie Band 2 (BoyxMan) [Leseprobe] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt