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Quietschende Rollen, die Spuren im Kies hinterließen und immer wieder ein kalter Luftzug von der Seite. Das Pfeifen des Windes war kaum zu hören, da Züge hin und her fuhren als gäbe es kein Ende. Schritte die zu hallen schienen, doch kaum hörbar waren und mitten darin, ich. Ein Blick auf mein Mobiltelefon gab mir zu wissen, dass ich nur noch 10 Minuten Fußweg hatte bis ich an meinem Ziel ankam. Wirkliche Konzentration gab es heute nicht, mal beobachtete ich die Vögel die umher turtelten, oder alte Menschen die diese fütterten. Ein breites Lächeln auf den Gesichtern dieser ließ mich dann doch ein wenig schmunzeln. So eine Freude im Leben zu verspüren, obwohl sich nur um kleinere, schwächere Geschöpfe gekümmert wird, muss schön sein. Aber wirklich freuen, konnte ich mich nicht, weshalb ich einfach stur und doch ahnungslos weiterlief bis sich mir der Blick auf ein riesiges, weißes, kastenförmiges Gebäude eröffnete. Ein Seufzen. Schnell packte ich meinen Koffer fester und stapfte in Richtung dieses Gebäudes welches für die nächsten Wochen wohl mein Zuhause sein wird. Kaum stand ich vor der elektrischen Tür war sie so freundlich mir Eintritt zu gewähren und ich nahm dieses Angebot weniger dankend an als ich vielleicht sollte. Andere warteten doch nur darauf einen Platz in diesem Haus zubekommen, warum konnte ich mich nicht so darauf freuen wie andere. Wieso konnte ich mich auch nicht über Vögel freuen, wie der alte Herr den ich zuvor sah. Komisch.

Ich sah mich kurz um, um die Lage abzuchecken und wurde von einer weiblichen Stimme unterbrochen. Genervt rollte ich mit den Augen, ich wollte doch den weißen, kahlen, nicht dekorierten Wänden meine Aufmerksamkeit schenken. Die Frau lächelte mir aufmunternd zu und ich ging meinen Weg Richtung Empfang. „Willkommen, was kann ich denn für Sie tun junge Dame," sprach die doch älter wirkende Frau als ihre Stimme vermuten ließ, und zwang mich zu einem Lächeln. „Lee mein Name. Ich habe hier den Überweisungsschein von meinem Hausarzt dabei, und soll eingewiesen werden eh ... Katsu-San." Las ich zuletzt den Namen der Frau vor mir von ihrem Namensschild ab und setzte mich auf meinen Koffer. „Ahh Lee. Sie haben ja alle Unterlagen ausgefüllt schon hier her geschickt, warten Sie noch einen Moment, gleich wird Sie ein Pfleger abholen und auf Ihr Zimmer bringen. Sie werden auf die Station 2 gebra... Station 2? Warten Sie, ich hätte dann doch noch ein Formular, welches sie ausfüllen müssten." Gelangweilt und unbeeindruckt las ich das mir gegebene Formular vor mir und unterschrieb es. Ein Schweigepflichtformular. Wen ich wohl auf meiner Station erwarten werde. Politiker, Star, Idol. Groß darüber nachdenken konnte ich nicht, da ich von weitem eine männliche Stimme hörte die meinen Namen rief. Etwas unbeholfen stand ich von meinem Koffer auf, verabschiedete mich noch von der Empfangslady und lief Richtung Aufzug welcher gleich links vom Empfang stand. „Hallo Lee-San, mein Name ist Gou Matsukawa und für die nächsten Wochen bin ich ihr Bezugspfleger. Ihr erstes Mal in der Psychiatrie?" Wow, der nahm ja kein Blatt vor den Mund. Er war groß gewachsen hatte zurück gegeltes Haar und schien nicht älter als 30 zu sein. Er war muskulös wie sein Körperbau zu verraten schien und hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Sein linker Schneidezahn überlappte ein wenig den Rechten und seine braunen fast schwarzen Augen strahlten nur so vor Glück. Ein kleines Nicken und ein nasal klingendes „Ja" sollte ihm Antwort genug sein. Wir stiegen in den Aufzug. Er drückte den Knopf für das zweite Obergeschoss. Ich griff nach meinem Koffer. Keine 15 Sekunden später stiegen wir wieder aus und wieder nur weiße, kahle Wände plus eine Türe die wohl auf die Station führte. Ganz entspannt torkelte ich meinem Vordermann hinterher und blieb dann vor einer Türe stehen die wohl nun mein Zimmer offenbarte. Ich öffnete die Türe und sah ein Bett am linken Ende vom Raum und eine kleine Sitzecke direkt neben mir. Eine weitere Türe rechts am Ende des Raums ließ vermuten, dass ich noch ein Bad hatte und ganz versteckt im linken vorderen Eck des Zimmers, gleich neben der noch geöffneten Türe war ein Kleiderschrank. „Richten Sie sich doch erst einmal ein. In der nächsten halben Stunde wird dann Ihr Therapeut für ein Erstgespräch kommen, welches circa eine Stunde dauert. Daher, dass unser Stationsarzt heute krank ist, wird die medizinische Erstuntersuchung auf morgen verlegt. Im Laufe des Tages wird auch noch ein Mitpatient von Ihnen einen Stationsrundgang machen," meinte Matsukawa und lächelte mir freundlich zu. Ich guckte zu ihm. „Wo kann ich rauchen?" – „gleich gegenüber von Ihrem Zimmer geht es in den Aufenthaltsraum. Von dort kommen Sie auf den Raucherbalkon." Schnell bedankte ich mich noch und zischte an ihm vorbei auf den Balkon. Glücklicherweise war ich alleine dort und konnte entspannt meine Zigarette anzünden. Ich inhalierte den ersten Zug genüsslich ein und blies den entstanden Rauch wieder aus. Das tat ich insgesamt 10-mal, dann war meine Kippe auch schon aus und ich drückte Sie im Aschenbecher aus. Ich seufzte und blickte vom Balkon. „Schöne Aussicht, was?", hörte ich plötzlich die Stimme eines Mannes hinter mir. Perplex sah ich zu dem Herrn mit Brille und vermutete es war mein Therapeut. Er war groß gebaut und schien genauso muskulös wie mein Bezugspfleger. Er hatte verwuschelte schwarze Haare die ihm leicht im Gesicht hangen und trug einen teuer aussehenden Anzug. Sein Lächeln war ruhig und mysteriös, als wolle er nicht zeigen, dass er genauso verletzlich war wie jeder andere. Naja als Psychologe sollte man auch viel aushalten. „Kazumi Lee, liege ich damit richtig?"

Ich nickte. „Na dann, folgen Sie mir bitte in mein Büro." Wie ausgewechselt lief ich ihm hinterher. Etwas in mir schien es mulmig zu gehen ein anderes war zufrieden endlich reden zu können. Es waren nicht viele Meter von meinem Zimmer entfernt, und schon stand ich in dem Büro des Anzugträgers. „Setzen Sie sich doch bitte." Gesagt getan. Als würde eine andere Kraft mich dominieren setzte ich mich auf einen Sessel, der in diesem Raum doch ein wenig protzig wirkte und beobachtete jede Bewegung meines Gegenübers. „nun denn. Warum sind Sie denn hier Lee-San?", fragte der groß gewachsene Mann mich und ließ sich mir gegenüber nieder.

Warum ich hier war? Gute Frage. So genau weiß ich es nämlich selbst gar nicht. Die einen sagen wegen einem Burnout, die anderen sind der festen Überzeugung ich hätte eine Persönlichkeitsstörung und weitere sind einfach der Meinung es sei nur eine einfache depressive Episode, wieder andere die von meinem Kindheitstrauma wussten schoben alles auf dieses. Ich selbst habe aber nie wirklich darüber nachgedacht und bin einfach wahllos den bizarren Vorstellungen meiner Mitmenschen nachgegangen. Etwas das ich sonst nie tat. Ich stellte mich gegen alles und jeden, hatte keine Freunde und wollte einfach nur allein sein, doch seit neustem habe ich die Lust an allem verloren und der Gedanke daran alles enden zu lassen war verlockend.

„Ich hörte es gäbe Menschen, die Freude am Leben verspüren und möchte dies auch. Zwar möchte ich kein Teil der Gesellschaft werden, aber ich will mit mir selbst wieder ins Reine kommen," gestand ich dem Mann welcher nur nickte. „Sie sind jetzt junge 22 Jahre alt, stimmt das?" Ich stimmte zu. „Wie kommt es, dass ausgerechnet dies ihr Ziel ist. Ich verstehe Sie natürlich in Punkto Freude am Leben, doch sich von der Gesellschaft abschotten? Das interessiert mich jetzt." – „Was bringen andere denn? Ich habe seit der Oberschule keine Freunde mehr und bin absolut zufrieden gewesen. Aber seit einem Jahr fühle ich mich ausgelaugt, unzufrieden, müde, fertig. Ich weiß einfach nicht mehr weiter und brauche eine Pause. Jeden Tag in einem System herumirren mit dem man selbst nichts zu tun haben will, ist Teufels Werk. Ich möchte einfach nicht mehr weiterleben in so einer Welt. Schauen sie sich unsere Jugend und unsere Erwachsenen doch einmal an. Wie sich jeder verhält ist ja ekelhaft. Die Unfreundlichkeit und die Selbstbesessenheit sind schrecklich. Keiner denkt an die anderen und ich möchte kein Teil von so einer Welt sein."

Seine Augen wurden groß, doch seine Professionalität wahrte er ganz souverän. Ich hatte ihn wohl mit meiner Aussage aus der Bahn geworfen, doch er hatte studiert um genau mit solchen Problemen umzugehen. Ich wusste wie es ist glücklich zu sein und sterben zu wollen ist ermüdend. Ich wollte und brauchte Hilfe. „Lee-San ich muss sagen ich freue mich jetzt schon mit Ihnen arbeiten zu dürfen. Wissen Sie, jemanden mit dieser Einstellung trifft man nicht oft im Leben und ich möchte Ihnen gerne helfen Ihr Ziel zu erreichen." Nun stahl sich mir ein Lächeln auf das Gesicht und energisch nickte ich. Ein Stein fiel mir vom Herzen, denn er hat mir bestätigt, dass es noch Hoffnung gab. Es gab also einen Weg in dieser Welt zu leben ohne ein Teil davon zu sein. 

Society // Atsumu Miya X OcWo Geschichten leben. Entdecke jetzt