Kapitel 24

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Hannahs Sicht:

Die meisten Frauen würden Christoph Bach wohl als einen attraktiven Mann bezeichnen. Sein kurzes, graumeliertes Haar lässt ihn reif, aber nicht alt erscheinen. Sein maßgeschneiderter Anzug schmiegt sich perfekt an seinen hochgewachsenen Körper, während seine aufrechte Haltung vor Stolz und Selbstbewusstsein trotzt. Er weiß, wie er sich geben und bewegen muss, um von seinen Mitmenschen anerkennende und gefürchtete Blicke zu ernten. Vielleicht ist das etwas, das ich einst an ihm bewundert oder sogar geliebt habe, doch als er jetzt so vor mir steht, spüre ich nichts als Abneigung dem Mann gegenüber, dessen Ring ich an meinem Finger trage.
„Hier hast du also die letzten Wochen verbracht", stellt Christoph mit einem nüchternen Ton fest, während er seinen Blick fast prüfend über die Inneneinrichtung des Wohnzimmers gleiten lässt. Als seine Augen die Staffelei mit der noch immer leeren Leinwand wahrnehmen, versteinert sich seine Miene sofort.
„Du malst wieder?"
Ich strecke mein Kinn trotzig in die Höhe.
„Ja. Stellt das ein Problem für dich dar?"
Meine Stimme klingt kühler als beabsichtig und doch spüre ich bei dem überraschten Zusammenzucken seiner angespannten Muskeln ein Schwall der Genugtuung über mich einbrechen. Doch das angenehme Gefühl verfliegt, als sich Christoph ein besänftigendes Lächeln auf die Lippen zwingt, seine Hände meine suchen und fest umschlossen halten. Ich bemerke sofort, dass seine Haut kalt, seine Berührungen hart sind.
„Aber nein, Liebling", erwidert er. Seine Stimme erinnert mich dabei ein wenig an das gefährliche Zischen einer listigen Schlange, kurz bevor sie ihre giftigen Zähne in das Fleisch ihres Opfers krallt. Dann drückt er mir einen feuchten Kuss auf die Stirn, fast so, als müsse er sich selbst von seiner Sanftheit überzeugen. Doch seine angespannten Züge verraten mir, dass er alles andere als zärtlich und liebevoll sein will.
„Jetzt geh und pack deine Sachen! Wir fliegen noch heute zurück nach Hause", befehlt er, während
seine Hände meine weiter fest umschlossen halten.
„Ich will aber nicht nach Hause. Und wenn du mir bei unseren letzten Telefonaten richtig zugehört hättest, wüsstest du das auch", protestiere ich.
Der Griff seiner Hände um meinen wird noch eiserner und der Schmerz auf meiner Haut so brennend, dass ich die Lippen fest zusammenpressen muss, um seinem steinernen Blick weiter standhalten zu können.
„Du bist meine Frau! Also widersprich mir nicht und geh deine Sachen packen!", zischt er.
Ich stoße ein Geräusch aus, das nach einem verachtenden Lachen klingen soll. Und doch kommt nur ein erbärmliches Krächzen über meine Lippen.
Christophs ganze Erscheinung schüchtert mich ein, lässt mich klein und schwach neben ihm erscheinen und doch brodelt da so viel Wut in meinem erhitzten Körper, dass ich mich dazu überwinden kann, mich dichter zu ihm vorzulehnen. Jetzt sind wir uns so nah, dass er meinen Atem in seinem Gesicht spüren kann, doch von alter Vertrautheit hat diese Geste nichts.
„Nein", erwidere ich mit fester Stimme.
Christoph reißt schockiert die Augen auf. Ich nutze den Moment, um mich dem stählernen Griff seiner Hände zu entziehen. Dann taumle ich einige Schritte zurück und bringe die Distanz zwischen unsere Körper, die ich so dringend brauche.
„Ich bin nicht dein Eigentum! Ich entscheide selbst, wann und wohin ich gehe", fauche ich ihm entgegen, während Zorn und Verachtung heiß in meinem Inneren brodeln. In diesem Moment fühle ich mich wie ein aktiver Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht, bereit, Unheil und Verwüstung anzurichten. Und auch Christoph scheint in diesem Augenblick zu bemerken, dass er so keinen Schritt weiterkommt.
Ihm entweicht ein frustriertes Seufzen. Dann beginnt er damit, angespannt seine Schläfen zu massieren, so als bereite ich ihm stechende Kopfschmerzen.
„Aber Liebling, was willst du denn noch hier in dieser Einöde?"
Er deutet mit einem abschätzigen Blick auf die Fensterfront, durch die man die funkelnde Wasseroberfläche des Sees und die malerische Landschaft dahinter bewundern kann. Ich erinnere mich daran, dass mich dieser Ausblick vom ersten Moment an verzaubert und eine innere Ruhe und Harmonie in mir hervorgerufen hat. Dass Christoph diesen Zauber nicht sieht, verärgert mich.
„Und weiße Wände bepinseln kannst du auch Zuhause. Was ist mit deiner Arbeit im Aktionshaus? Ich glaube kaum, dass du dir nach deinem Unfall eine so lange Auszeit leisten kannst."
Mir entkommt ein amüsiertes Schnauben.
„Ach komm, es würde dir doch gefallen, wenn ich meinen Job an den Nagel hängen und nur noch deine gefügige Ehefrau spielen würde. Wenn es nach dir gegangen wäre, wäre ich nach dem Unfall überhaupt nicht mehr zurück an meine Arbeit gegangen."
„Hast du vor zu kündigen?", fragt er fast hoffnungsvoll, während er meine Beschuldigungen gekonnt zu ignorieren weiß.
„Ich habe vor hier zu bleiben!", platzt es in diesem Moment aus mir heraus.
Christophs Miene erstarrt zu Stein, seine Hände ballen sich zu Fäusten, während sich eine Stille zwischen uns ausbreitet, die vor unterdrückter Wut und unausgesprochenen Worten wie ein drohendes Unheil zwischen uns flimmert. Dann blitzen Zorn und Verachtung in seinen stahlgrauen Augen auf und mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken.
„Warum?", kommt es in einem tonlosen Atemzug über seine zusammengekniffenen Lippen.
In diesem Moment weiß ich, dass jetzt alles anders wird. In diesem Moment weiß ich, dass ich der Wahrheit nicht mehr entfliehen kann und mich dem Teil meiner Vergangenheit stellen muss, der mir so eine unsagbare Angst bereitet. In diesem Moment ist mir längst klar, dass Christoph zu ahnen scheint, dass ich nie wieder zu ihm zurückkehren will. Und dass das etwas ist, das er niemals zulassen wird.
Und trotzdem weiche ich einen weiteren Schritt zurück, verschränke meine Arme vor meinem Körper, während ich angestrengt nach Worten suche, die die aufgeladene Luft zwischen uns entschärfen könnte. Doch das, was ich ihm zu sagen habe, kann nicht milde ausgesprochen werden. Das, was ich auszusprechen habe, wird einschlagen wie ein Blitz und ein loderndes Feuer aus Hass und Leid hinterlassen. Es wird ihn verletzten, tief treffen, doch ich bin bereit, das in Kauf zu nehmen, um mein eigenes Glück zu finden.
„Weil ich mich verliebt habe. In Maja Lindberg."
Die Worte kommen in einem atemlosen Keuchen über meine Lippen und doch treffen sie Christoph mit der Wucht eines Fausthiebs. Ich erkenne es an seinen stahlgrauen Augen, in denen ein Orkan wilder Gefühle tobt, an dem Zusammenzucken seiner sonst so unerschütterlichen Haltung, an dem vor Zorn funkelnden Rot auf seinen Wangen.
Mein Herz schlägt mir in diesem Moment bis zum Hals, während mein ganzer Körper wie Espenlaub zittert. Ich rechne mit dem Schlimmsten, bereite mich mental darauf vor, den ganzen Schwall seines lodernden Hasses und seiner ungehaltenen Wut abzubekommen, mich seinen Anschuldigungen und Beleidigungen zu stellen. Doch auf das, was dann kommt, kann man sich gar nicht vorbereiten. Das, was dann kommt, trifft mich mitten ins Herz.
Christoph beginnt zu lachen.
Es ist ein eiskaltes, kehliges Lachen. Eines, das nicht Ausdruck der Belustigung sein soll, sondern ganz allein dem Zweck der Erniedrigung gilt.
Und es verfehlt sein Ziel nicht. Wo eben noch Stolz und Selbstbewusstsein waren, brennt nun ein loderndes Feuer in mir. Ich spüre, wie die Flammen seines Hohns in meinem Inneren wüten, wie sehr mich seine ungeahnte Reaktion verletzt und demütigt. Ich zucke zurück, mache mich kleiner, angreifbar, obwohl meine Liebe zu Maja doch etwas ist, das ich stolz nach außen tragen will. Schließlich gibt es nichts Schöneres, als wahrhaftig zu lieben. Doch in diesem Moment ist mir klar, dass Christoph Bach mich und meine Gefühle für Maja kein Stück ernst nimmt. Er betrachtet sie nicht als Konkurrentin, geschweige denn als Frau an meiner Seite.
Und das ist auch der Grund, warum er niemals zulassen würde, dass ich ihn für sie verlasse.
Sein Lachen verstummt genauso schnell, wie es gekommen ist. Was bleibt ist ein verschlagenes Grinsen auf seinem Gesicht, mit dem er mir jetzt mit einem mitleidigen Ausdruck in den Augen gegenübersteht.
„Da hat es die kleine Lindberg also erneut versucht, dich mir wegzunehmen", sagt er mit einer Stimme, die vor Belustigung trieft.
Bei seinen boshaften Worten entflammt sofort wieder der Hass in mir. Erst beim zweiten Atemzug wird mir klar, was sie wirklich bedeuten.
„Was meinst du damit, dass sie es erneut versucht hat?", kommt es in einem rauen Krächzen über meine Lippen.
Kann das wirklich sein? Wusste Christoph all die Jahre lang von meiner Beziehung zu Maja? Das würde bedeuten, dass er sehr viel weniger ahnungslos war, als er Maja und mich glauben ließ. Und dass er vielleicht wirklich der Grund dafür war, warum ich sie damals so plötzlich verlassen habe.
„Du wusstest von Maja, oder? Dir war klar, dass dieser Frau mein Herz gehört."
Seiner Kehle entweicht ein amüsiertes Schnauben, während seine emotionslosen Augen meine taxieren.
„Natürlich wusste ich von deiner kleinen Liebelei mit dieser Studentin. Du wolltest dich halt ausprobieren, aus den trostlosen Mauern deines grauen Alltags ausbrechen. Ich habe es dir gestattet, weil mir klar war, dass du immer zu mir zurückkehren würdest."
Bei seinen Worten wird mir schlecht. Gleichzeitig kann ich nicht glauben, dass ich all die Jahre lang tatsächlich die gefügige Frau an seiner Seite gespielt habe. Was ist geschehen, dass ich eine so atemberaubende Frau wie Maja für einen Mann verlasse, für den ich nur das schönste Schmuckstück seiner Sammlung bin, ein Wesen ohne Willen, das nur das darf, was ihr Ehegatte ihr gestattet? Was hat Christoph getan, dass ich in Kauf genommen habe, Maja zu verlassen und ihr damit so sehr das Herz zu brechen?
In diesem Moment will ich nur eines – ihn meinen Hass spüren lassen.
„Weißt du was?", beginne ich, während ich die Schritte auf ihn zugehe, die uns noch voneinander trennen und ihm dabei direkt in die Augen schaue. „Du widerst mich an!"
Meine Worte treffen Christoph. Ich sehe ihm an, dass er einen Augenblick lang um Fassung ringt, ehe er sich wieder fängt und das einzige Mittel nutzt, das er gegen mich in der Hand hat, um mich wieder gefügig zu machen. Seine Kraft und Stärke.
Ich kann mich nicht wehren, als seine Hand nach meinem linken Handgelenk packt und sich seine Finger tief in meine Haut graben. Der Schmerz fährt mir bis in die Wirbelsäule und macht mich einen Augenblick lang völlig bewegungsunfähig. Deshalb bin ich auch zu keiner Reaktion fähig, als er mich noch dichter an seinen breiten Körper presst und seine Lippen plötzlich unangenehm nah an meinem rechten Ohr sind.
„Es hat mich schon immer an gemacht, wenn du so kratzbürstig bist, Liebling", haucht er dann.
Sein heißer Atem streift über meine nackte Haut. In diesem Moment empfinde ich nichts als Ekel. Ekel und Wut darüber, dass ich so lange vor der Wahrheit davongerannt bin.
Christoph Bach ist kein Mann, der lieben kann. Er will nur besitzen, mich besitzen und dafür ist ihm jedes Mittel recht.
„Was hast du damals getan, damit ich mich von Maja fernhalte?"
Ihm entweicht ein amüsiertes Schnauben.
„Oh, ich musste überhaupt nichts tun. Du hast von allein gemerkt, dass deine kleine Schnepfe nicht die Richtige für dich ist."
„Nenn sie nicht so!", zische ich, während ich mich mit all meiner Kraft gegen seinen Brustkorb stemme. Doch Christoph ist zu stark, als dass ich mich einfach so aus seinen Fängen lösen könnte.
„Liebling, diese kleine Affäre war nur ein unbedeutendes Abenteuer für dich. Nichts, was unsere langjährige Ehe hätte zerstören können. Denn das, was du vom Leben wolltest, konnte nur ich dir geben."
„Ich glaube dir kein Wort."
Auf Christophs Lippen legt sich ein mildes Lächeln. Im nächsten Augenblick spüre ich seine Hand an meine Wange, die fast zärtlich über die erhitzte Haut fährt.
Ich drehe den Kopf, um ihm nicht in seine vor Spott funkelnden Augen sehen zu müssen, doch leider kann ich nicht ignorieren, was dabei über seine Lippen gleitet.
„Ach Liebling, jetzt sei endlich vernünftig und geh deine Sachen packen. Ich will diese Diskussionen jetzt nicht mehr weiterführen."
Mir ist klar, dass Christoph mir nicht die Antworten geben will, nach denen ich so dringend verlange. Und trotzdem muss ich es ein weiteres Mal versuchen. Für Maja und unsere Liebe, die nur dann eine Chance haben kann, wenn ich endlich weiß, was damals geschehen ist.
„Wer ist Lena?"
Es sind nur drei kleine Worte und doch scheint es, als würden sie ihm in diesem Moment den Boden unter den Füßen wegziehen, als würde er jeden festen Halt in seinem Leben verlieren. Während sein ganzer Körper erstarrt, sich der Griff seiner Hand um mein Handgelenk lockert und sein Gesicht plötzlich jegliche Farbe verliert, spiegelt sich in seinen wolkenverhangenen Augen plötzlich etwas wider, das mir ein eisiges Frösteln beschert – Angst. Unsagbare Angst.
„Sag mir, wer sie war und welche Rolle sie in meinem Leben gespielt hat. Bitte Christoph, ich muss das wissen", flehe ich, während ich an seinem quälenden Schweigen zu ersticken glaube.
Die Angst weicht nicht aus seinem Gesicht. Seine Lippen sind zusammengepresst, bilden eine starre Linie, während die feinen Falten auf seiner Stirn jetzt tiefe Furchen bilden.
Ich sehe ihm an, dass er nach Antworten sucht und doch bringt er kein Wort über die Lippen.
Diese erdrückende Stille und die Gewissheit darüber, dass Christoph etwas weiß, das er nicht aussprechen will, zerreißen mich fast innerlich, bringen mich fast an den Rand des Wahnsinns. Nach weiteren zehn Sekunden des Schweigens will ich nur noch auf ihn einschlagen, ihn anschreien, ihn meinen Frust und Zorn spüren lassen. Doch ich bringe nur ein leises Wimmern über die Lippen, gefolgt von heißen Tränen, die mir jetzt über Wangen rinnen.
„Bitte!", flehe ich erneut, während ich einen Schritt auf ihn zugehe, ihn zwinge, mir direkt in die Augen und damit den Schmerz und die Ungeduld zu sehen.
Doch anders als erwartet, reagiert Christoph nicht mit Mitgefühl.
Nein, seine nächsten Worte reißen mich in den Abgrund meiner Vergangenheit.
„Sie war unsere verdammte Tochter", brüllt er.
Die plötzliche Härte in seinem Gesicht und die Brutalität seiner Worte überraschen mich so sehr, dass ich es nicht kommen sehe, als Christoph plötzlich meine Oberarme packt und fest an mir schüttelt, als wolle er mich so zum Begreifen zwingen. Doch seine Worte sickern nur langsam in mein Bewusstsein durch.
Tochter.
Tochter.
Tochter.
Wie in einem nicht enden wollenden Wirbelsturm kreist dieses Wort durch meinen Kopf, macht mich ganz schwindelig vor seiner rasenden Geschwindigkeit. Mir bleibt die Luft weg.
Einen Herzschlag später wird mir schwarz vor Augen.
Und ich gebe mich dankbar der Dunkelheit hin, die Antwort auf all meine Fragen ist.

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