Kapitel 29

504 36 2
                                    

Majas Sicht

Der Flug ist eine Qual. Es liegt nicht daran, dass ich zwischen zwei Omis sitze, die mir seit dem Start lautstark ins Ohr schnarchen. Und auch nicht an dem Kind, das direkt hinter mir sitzt und mit seinen Füßen unentwegt gegen meinen Sitz stößt.
Es liegt daran, dass die Zeit in diesem Flugzeug so qualvoll langsam verstreicht. Jeder Atemzug fühlt sich zu lang und jeder Herzschlag zu langsam an. Und mit jeder Sekunde wächst in mir die Angst, dass es zu spät sein könnte. Was ist, wenn längst alles vorbei ist, wenn sich Hannah endgültig gegen mich entschieden hat? Wie soll ich jemals wieder lieben können, wenn es nicht sie ist, die ich lieben darf? Wie kann ich jemals glücklich werden, wenn sie dabei nicht an meiner Seite ist?
Ich seufze auf, unendlich frustriert und verzweifelt darüber, dass diese Gedanken einfach nicht verstummen wollen. Aber wer sagt mir, dass diese Ängste tatsächlich eintreffen? Was ist, wenn stattessen meine Träume wahr werden? Nichts ist unmöglich. Das weiß ich spätestens, seitdem Hannah so unvermittelt wieder in mein Leben getreten ist. Und es erneut zum Strahlen gebracht hat.
Ich lehne den Kopf in den Nacken, schließe die Augen und träume von einer Zukunft mit Hannah. Davon, wie wir um Mitternacht in den kühlen See springen, gemeinsam auf der Terrasse frühstücken und Stunden der Sinnlichkeit in unserem Bett teilen. Alle das scheint so real, dass es meine Angst im Keim erstickt. Und ich beschließe, niemals aufzugeben. Ich werde für diese Zukunft kämpfen, die ich mir schon so lange erträumt habe. Nichts wird mich noch einmal daran hindern.
Als die Maschine in Hamburg landet, wird die Stadt bereits von der Dunkelheit der Nacht verschluckt. Ich mache mein Handy an und stelle fest, dass es kurz vor Mitternacht ist. Vielleicht nicht gerade die beste Zeit, um der Liebe des Lebens die großen Gefühle zu gestehen. Vor allem nicht, wenn man im Grunde gar nicht weiß, wo man nach ihr suchen soll. Ob Hannah immer noch an ihrer alten Adresse wohnt? Kann ich dort einfach so auftauchen, an der Tür klingeln und Hallo sagen? Was ist, wenn mir ihr Mann die Tür öffnet? Muss ich mich dann erst mit ihm duellieren? Der Gedanken treibt ein kleines Schmunzeln auf meine Lippen und ich beschließe, mir erst mal einen Kaffee zu besorgen. Vielleicht kann ich dann einen klaren Gedanken fassen und mein weiteres Vorgehen planen.
Also hole ich mir in einem Bistro einen extrastarken Kaffee und suche mir einen ruhigen Sitzplatz. Ich nehme den ersten Schluck, spüre, wie das Koffein meine Lebensgeister weckt. Wenigstens hilft der Kaffee gegen die langsam eintretende Müdigkeit. In diesem Moment klingelt mein Handy.
„Maja, bist du gelandet?", dringt Svenjas aufgeregte Stimme zu mir durch.
„Ja."
„Und jetzt sitzt du sicher im Taxi und bist auf den Weg zu Hannah, richtig?"
„Nein. Ich bin noch am Flughafen."
„Warum?" Svenjas Stimme klingt entsetzt. „Ich dachte, deine Sehnsucht nach dieser Frau ist so groß, dass du es keine weitere Stunde ohne sie aushältst?"
„So ist es ja auch. Jede Sekunde in diesem verdammten Flugzeug hat sich wie eine Sekunde zu viel angefühlt", sage ich und nehme noch einen Schluck aus dem Becher. Diesmal einen extragroßen.
„Dann verstehe ich nicht, wieso du noch immer nicht auf dem Weg zu ihr bist!"
Jetzt klingt Svenja, als würde sie langsam wirklich an meinem Verstand zweifeln.
„Ich...Ich glaube, ich bin ein bisschen nervös", gestehe ich, spüre wie sich die Anspannung in meinen Magen legt und zu einem schweren Stein zusammenrollt.
„Mensch Maja, das ist doch nur Hannah! Was soll denn schon Schlimmes passieren?"
Ich weiß, dass meine beste Freundin auf diese Frage keine Antwort erwartet. Trotzdem produziert mein überempfindlicher Ich-zerdenke-alles-Kopf gleich die schlimmsten Szenarien.
„Oh, so einiges. Zum Beispiel könnte sie...", beginne ich, werde aber unvermittelt von Svenja unterbrochen.
„Stopp! Was auch immer du gerade denkst, denk es nicht!"
„Das ist, als würdest du mir sagen, dass ich nicht an einen rosa Elefanten denken soll. Es funktioniert einfach nicht so leicht, wie du dir das vorstellst."
Ich höre Svenja aufseufzen, dann verstreichen mehrere Sekunden, in denen ich nur ihren Atem durch das Handy vernehme.
„Maja. Du hast nur dieses eine Leben. Und das ist vielleicht deine letzte Chance, Hannah zu beweisen, wie sehr du sie liebst. Also geh dieses Risiko ein und fahr endlich zu ihr!"
Mein Herz schlägt lauter in meiner Brust. Es stimmt Svenjas Worten zu.
„Liebe will riskiert werden", flüstere ich. Vielleicht mehr zu mir selbst als zu Svenja, aber es sind die Worte, die ich brauche, um meinen Kaffee in einem Zug zu leeren und meine beste Freundin mit einem schnellen „Danke" wegzudrücken. Sie wird es mir verzeihen.
Dann laufe ich auf den Ausgang des Airports zu.

Forgotten LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt