Kapitel 7

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Warum habe ich mich dann gestern in deinen Armen so geborgen gefühlt, Maja? Warum fühle ich bei dir, während ich bei allen anderen gar nichts fühle?

Eigentlich wäre eine Antwort auf diese Frage sehr einfach. Denn dieses Gefühl der Verbundenheit, diese selbstverständliche Vertrautheit, war von Anfang an da. Seit dem Tag an dem ich Hannah bei dem Sommerfest über den Weg gelaufen bin, hat uns ein Band, so stark und unerschütterlich, wie es nur bei Liebenden sein kann, miteinander verbunden. Und es hat uns auch nicht los gelassen, als ich vor zehn Jahren in den Flieger nach Schweden stieg. Es war immer da, Hannah war immer da. Und jetzt ist sie hier, bei mir, und ich fühle mich ihr immer noch so nahe wie am ersten Tag, ohne, dass ich erklären könnte, woher dieses Gefühl kommt.

Damals, vor zehn Jahren, haben wir oft darüber philosophiert, was das ist, zwischen uns. Denn das, was wir hatten, war nicht einfach nur Liebe. Es war fast so, als würden Hannah und ich uns schon länger als einen Leben lang kennen. So, als hätten wir einander geliebt und vertraut, schon vor Millionen von Jahren, in einem ganz anderen Leben. Als wäre unsere Verbundenheit zueinander über diesen langen Zeitraum gewachsen, so wie man einen Samen der Liebe sät, ihn gießt und pflegt, und ihm dabei zusieht, wie er zu einem prächtigen, unerschütterlichen Wunder heranwächst. Das Wunder der wahren, bedingungslosen Liebe.

Aber all das war vor zehn Jahren. Seit dem sind Tage voller Schmerzen und Sehnsucht vergangen und ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass Hannah das, was uns einst miteinander verband, so große Angst gemacht hat, dass sie flüchten musste, in die Arme eines Mannes. Und genau das ist der Grund, warum ich hier sitze und ihr verschweige, was wir vor so langer Zeit waren. Hannah glaubt ein glückliches Leben zu führen, in Hamburg, an der Seite eines sie liebenden Mannes. Und auch, wenn ihre derzeitige Situation sie an vielem zweifel lässt, gehört sie doch dorthin, in dieses perfekte Leben. Und ich gehöre hierher, nach Schweden und zu Svenja. Ich werde nicht riskieren, dass die Erinnerungen an eine vergangene Liebe, mag sie auch noch so schön gewesen sein, das Glück unserer beiden Leben zerstört.

Ich spüre, wie Hannah unsicher meinen Blick sucht, auf Antworten hoffend, die dem Chaos in ihrem Kopf wieder Ordnung beifügen. Aber diese Antworten kann ich ihr nicht geben.

„Tja, ich denke, wir waren einfach nur sehr gute Freundinnen. Wahrscheinlich fühlt es sich deshalb so vertraut an",sage ich ausweichend, bereits ahnend, dass diese Antwort ihr nicht genügen wird.

Hannah legt den Kopf schief und sieht mich auf eine Art und Weise an, so ergründend und intensiv, die mir eine Gänsehaut über den Körper jagt. Und die mir Angst macht. Ich weiche ihrem Blick aus, schaue auf das Wasser und die am Horizont untergehende Sonne. So friedlich, so wunderschön. Vom Tisch neben uns dringen die Geräusche einer angeregten Unterhaltung und das wilde Klappern von Geschirr wie durch eine dicke Wand aus Watte zu mir durch. Immer noch Hannahs Blicke auf mir spürend, merke ich, wie von dem eben noch dagewesen Gefühl der Leichtigkeit nur noch ein dumpfes Unbehagen übrig ist. Und irgendwas in mir will flüchten, will einfach nur noch weg.

Mein Blick wandert zu Hannah und ich erstarre, als ich den Ausdruck in ihren Augen sehe. Das dunkelblaue Meer in ihnen schlägt wilde, brausende Wellen und wirkt dabei so anziehend und fesselnd auf mich, dass ich den Wunsch hege, mich mit weit geöffneten Armen in die Flut zu stürzen, um darin den schönsten Tod zu sterben. Mit jeder Sekunde, die ich Hannah länger in die Augen schaue, wird dieser Wunsch stärker und stärker, und mein Wille immer machtloser. Ich begreife, dass ich Hannah erneut hilflos verfalle, dass ich mich in ihr verliere, in ihrer Seele und ihrem Geist. Und ich weiß, dass das meinen sicheren Untergang bedeuten würde.

Ich reiße den Blick von Hannah los und spüre dabei einen stechend brennenden Schmerz in meiner Brust, als hätte jemand einen Beil mittendurch direkt in mein Herz gestochen.

Forgotten LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt