Kapitel 5
Ich hatte mich ins Krähennest zurückgezogen.
McMiller hatte keinerlei Problem damit gehabt, dass ich ihn früher abgelöst hatte um etwas Zeit für mich zu haben.
Ich musste nachdenken und das konnte ich besser, wenn ich Wind und Sonne im Gesicht spüren konnte, anstatt in der muffigen Luft meiner Kajüte zu sitzen.
Eine Kajüte, die ich seit etwas über zehn Jahren mein Zuhause nennen durfte.
Zehn Jahre auf See...
Gelernt hatte ich in dieser Zeit vieles - sehr vieles.
Das nautische Wörterbuch, das Segelhandwerk, Navigation und was Käpt'n Teague und Mr. Davies noch so alles in den Kopf gekommen war.
Gleichzeitig hatten wir die Welt bereist-Afrika, Amerika, Europa, Australien und Indien. Wir hatten Schiffe gekapert, Verhandlungen durchgeführt und uns auf Landgang von fremden Kulturen faszinieren lassen. Bei einem dieser Ausflüge hatte ich ein Souvenir mitgenommen, welches mir ein ganzes Leben bleiben würde.
Die Tätowierung eines Tigers auf meinem rechten Bein.
Ich wusste nicht wie sie die Tinte rot bekommen hatten, ich wusste nur, dass das Tier aussah, als wäre es aus echtem Feuer.
Die Idee dazu war mir gekommen, nachdem ich mit Dukan etwas zu tief in meinen Becher geblickt und ihm von Tiger erzählt hatte. Ich hatte ihm auch erzählt, dass damals meine Mutter mich zu beruhigen versucht hatte, in dem sie mir erklärt hatte, dass mein kleiner Freund nun als Feuergeist über mich wachen würde.
Natürlich hatte er dann darauf bestanden, dass ich mir meinen Schutzgeist unter die Haut stechen lassen sollte.
Nachdem ich zugestimmt hatte, hatte er sich daraufhin ebenfalls künstlerisch bearbeiten lassen - mit den Initialen seiner Familie in Verbindung mit einer Möwe, die ihn selbst symbolisierte.
Und auch wenn mein Band mit Dukan selbst nach zehn Jahren noch immer ungebrochen stark war, so konnte ich das nicht auf den Rest der Crew ausweiten.
Die Männer hatten mich zwar nach einigen Wochen als Frau an Bord akzeptiert, aber wann immer Käpt'n Teague mir das Kommando überließ, sobald er und Mr. Davies nicht an Bord waren, wurde mir wieder einmal gezeigt, was die Männer wirklich von mir hielten.
Nämlich nichts.
Wie sollte ich jemals mein Wissen nutzen, wenn mir eh niemand zuhörte?
Geschweige denn mein eigenes Schiff befehligen?
Ich würde also an Bord der „Troubadour" bleiben, bis mein letztes Stündchen schlug.
Sehr verlockend...
Es war nicht so, dass ich Schiff und Crew nicht mochte, es war eher die Aussicht, nie wirklich frei zu sein. Ich war genauso in meinen Möglichkeiten eingeschränkt und gebunden wie ich es früher in Tortuga gewesen war.
Immerhin konnte ich jetzt verstehen, weshalb Mr. Barbossa damals in Schiffbruch so unglücklich ausgesehen hatte, als er darüber nachgedacht hatte, bei einem neuen Schiff anzuheuern ohne dessen Kapitän zu sein.
Sollte ich diese Freiheit eines eigenen Kommandos und Schiffs gehabt haben, würde ich auch nicht gerne wieder zurück treten...
Wie es ihm jetzt wohl ging?
In den letzten zehn Jahren hatte ich immer wieder an meine Bekanntschaft gedacht, aber getroffen hatte ich ihn auf den weiten Meeren nicht ein einziges Mal.
Hatte er wieder ein eigenes Schiff oder musste er tatsächlich Befehle entgegen nehmen, war vielleicht nur noch ein einfacher Seemann?
Oder hatte man ihn bereits verhaftet und für seine Verbrechen als Pirat gerichtet?
Ich hoffte nicht.
Jemand näherte sich dem Krähennest und kurz darauf erschien Käpt'n Teagues Kopf im Zugang zum Krähennest.
„Etwas dagegen wenn ich dir Gesellschaft leiste, mein Kind?"
Ich schüttelte den Kopf und trat ein wenig bei Seite um ihm Platz zu machen.
Schweigend stellte er sich neben mich und sah ebenfalls hinaus aufs Meer.
„Was denkst du, werden wir heute Nacht für ein Wetter haben?"
„Ruhig. Vermutlich nicht sternenklar, aber nur wenig Wind", antwortete ich nach kurzem nachdenken und er nickte zustimmend.
„Du weißt aber schon, dass das Wetter selten ein guter Start für ein Gespräch ist?"
„Weshalb? Scheint doch zu funktionieren", entgegnete er mit einem leichten Lächeln, welches ich erwiderte.
„Woran hast du gerade gedacht?"
„Ein paar Sachen", antwortete ich ausweichend und Teague seufzte leise.
„Du willst langsam dein eigenes Schiff, stimmt's?"
„Natürlich will ich das-nichts für Ungut, Captain-aber das wird wohl Wunschdenken bleiben", brummte ich und er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Weshalb? Du weißt alles, was du wissen musst. Mehr beibringen kann ich dir nicht mehr."
„Aber was nützt mir mein Wissen, wenn niemand bereit ist mir zuzuhören? Die Männer ignorieren mich, sobald mir das Kommando übertragen wird. Sie akzeptieren, aber respektieren mich nicht."
„Ich muss gestehen, dass ist mir noch nicht aufgefallen", murmelte Teague ehrlich überrascht und ich atmete tief durch.
„Wenn mich schon nicht die Männer respektieren, mit denen ich seit zehn Jahren auf See fahre, wie sollen mich dann fremde Männer in Tortuga als Kapitän anerkennen?"
„Ich sehe deinen Standpunkt, aber dennoch finde ich solltest du die Hoffnung nicht aufgeben, meine Liebe."
„Worauf soll ich denn hoffen? Dass ich plötzlich über Nacht zum Mann werde?", schnaubte ich bitter und verschränkte die Arme vor der Brust.
Daraufhin gluckste Teague amüsiert, schüttelte jedoch den Kopf.
„Hoffe darauf, dass es einen Moment gibt, an dem du dir den Respekt der Männer verdienen kannst."
„Soll ich etwa noch eine Kugel für dich einfangen?"
„Bloß nicht! Ich weiß nicht, ob ich noch einmal bei einer solchen Operation mithelfen möchte...", wehrte Teague hastig ab und ich hob überrascht eine Augenbraue.
„Hast du das? Wurde mir nie davon erzählt..."
„Nicht? Dann hab ich das wohl vergessen", entgegnete Teague ruhig, ging jedoch nicht weiter darauf ein.
Ich fügte mich dieser Entscheidung und schloss für einen kurzen Moment die Augen, genoss den Wind im Gesicht.
„Wir werden morgen Kurs auf Tortuga setzen. Und vielleicht finden wir ja unterwegs ein Schiff, das dir gefällt", meinte Teague plötzlich und ich sah ihn überrascht an.
„Wie meinst du das?"
„So wie ich es sage, meine Liebe. Um die Crew des anderen Schiffes zu verschonen, können wir sie auch mit genug Proviant in ein Beiboot setzen", verkündete er und ich rang nach den richtigen Worten um ihm zu sagen, wie geehrt ich mich fühlen würde, wenn er mir zu einem eigenen Schiff verhelfen würde.
Wie dankbar ich war...
„Teague, dass..."
„Kein Grund sich zu Bedanken, Kind. Wenn ich so etwas nicht im Kopf gehabt hätte, hätte ich dich wohl nicht unterrichtet", lächelte er und ich erwiderte es überrascht, aber auch überglücklich.
„Danke", war das Einzige, das ich tatsächlich herausbrachte und er klopfte mir nur freundschaftlich auf die Schulter.
„Soll ich Mr. Mergue sagen, dass du seine Schicht im Krähennest übernimmst?"
„Gerne, Käpt'n."
„Dann wünsche ich noch einen schönen Aufenthalt, Miss Smith", lächelte Teague und begann dann die Takelage wieder hinab zu klettern.
Ich sah ihm für einen kurzen Moment nach, dann atmete ich tief durch.
Vielleicht war mein Traum von einem eigenen Schiff doch näher, als ich dachte...
Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte unbarmherzig auf uns nieder. Wir waren noch ungefähr drei Tage von Tortuga entfernt, als uns ein Ausruf aus dem Krähennest aufscheuchte.
„Wrack in Sicht!"
Ich sah ungläubig von der Karte auf, an der ich mit Käpt'n Teague gearbeitet hatte und runzelte die Stirn.
Ein Wrack mitten auf dem offenen Meer?
Laut meinen Kenntnissen gab es hier keine seichten Gewässer und wenn sich ein weiteres Schiff in der Nähe befunden hätte, wäre der Ruf aus dem Krähennest anders gewesen.
Der angespannte Ausdruck auf Käpt'n Teagues Gesicht bestätigte das Gefühl von Unsicherheit, das von mir Besitz ergriffen hatte.
„Was hältst du davon?", brummte Teague und reichte mir sein Fernrohr, mit dem er eben noch den Horizont abgesucht hatte.
Tatsächlich fand sich nicht weit von uns entfernt ein Wrack auf den Wellen, das den Anschein machte, als wäre es erst vor kurzem in zwei Hälften gespalten worden.
„Sieht beinahe aus, wie auf Riff gelaufen - aber das ist nicht möglich", fügte ich nervös an und Teague nickte zustimmend.
„Mr. Davies! Alles für ein Gefecht vorbereiten", befahl er und der erste Maat der „Troubadour" hastete los um dem Befehl folge zu leisten.
„Welche Gefahr, Käpt'n?", wollte ich wissen, eine Hand lag dabei auf meinem Entermesser. Ich hatte es von Mr. Davies überreicht bekommen, nachdem dieser herausgefunden hatte, dass ich sonst nur mit Dolch und Pistole bewaffnet gewesen war.
„Was hast du über Davy Jones gehört, Kind?"
Bei diesen Worten verkrampfte sich mein Körper und ich meinte all die Schauergeschichten aus meiner Kindheit hören zu können.
Davy Jones.
Der Schrecken der Weltmeere.
Herr über den Kraken.
Ich atmete tief durch, ahnte bereits, welche Gefahr Teague meinen könnte.
„Der Kraken, oder?"
„Ich befürchte es..."
Er unterbrach sich, als wir eine Bestätigung seiner Worte erhielten.
Meine Hände umklammerten krampfhaft die Reling, der Blick auf das Wrack gerichtet, welches in diesem Moment unter gewaltigem Getöse unter die Meeresoberfläche gezogen wurde und verschwand.
Und nicht nur Teague und ich hatten es gesehen.
Panische Rufe wurden an Deck laut, die Arbeiten an den Kanonen verdoppelt.
„Wir werden ihm nicht entkommen, oder?"
„Vielleicht doch, mein Kind. Solange wir die Hoffnung nicht aufgeben", entgegnete Teague entschlossen, dann übernahm er das Steuerrad.
„Und ich habe nicht vor, an diesem Tag zu sterben!"
„Wer hat das schon?", murmelte ich, wollte die Achterdecktreppe gerade hinabsteigen, als das Schiff ruckartig zum stehen kam.
Wenn ich es nicht anders gewusst hätte, hätte ich behauptet, wir wären auf Grund gelaufen.
Ich hatte natürlich das Gleichgewicht verloren und war die letzte Stufe hinab gefallen und etwas unsanft auf dem Rücken gelandet, hatte mich aber nicht verletzt.
Phil Davies stand an meiner Seite, als ich mich wieder aufrichtete.
Auch sein Gesicht war von grimmiger Entschlossenheit gezeichnet, als er sich über die Reling lehnte.
Ich tat es ihm gleich und schnaubte frustriert.
Das Wasser um unser Schiff blubberte und brodelte unheilverkündend, erinnerte an einen kochenden Topf.
„Wartet bis er angreift, Männer! Und macht euch dabei nicht in die Hosen", brüllte Phil und hastete in die Mitte des Decks, Entermesser in der einen und Pistole in der anderen Hand.
Ich wich ebenfalls von der Reling zurück, hielt meine Waffe bereits in Händen.
Ich sah mich kurz nach Dukan um, konnte ihn jedoch nicht entdecken.
Vermutlich war er unter Deck.
Leise Gebete wurden gemurmelt und vermutlich letzte Gespräche zwischen den Männern gewechselt. Doch sollten wir an diesem Tag untergehen, so würden wir zumindest nicht kampflos aufgeben.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch, versuchte mein wild schlagendes Herz zu beruhigen.
Ich spürte den Wind auf dem Gesicht, roch das Salz des Meeres und hörte das Brodeln des Wassers um unser Schiff herum.
Und plötzlich war da noch etwas anderes.
Eine Präsenz, gewaltig und uralt. Etwas Lebendiges, dessen Bewusstsein am Rande meines Verstandes zu lauern schien und dafür sorgte, dass sich die Haare in meinem Nacken alarmiert aufstellten.
Ich konnte beinahe spüren, wie sie nachdachte-ein Gefühl, als ob etwas in meinem Kopf pulsierte. Nicht schmerzhaft, aber unangenehm und verwirrend.
Geschockt riss ich die Augen wieder auf, doch gegen meine Erwartung blieb die Präsenz gegenwärtig.
Sie tastete sich vorwärts, gemächlich hinauf an der Außenwand des Schiffes...
Langsam kamen die ersten Tentakel über die Reling gekrochen und mir blieb nur ein einziger, wahnsinniger Gedanke - was auch immer ich spüren konnte, musste der Kraken sein.
Die Tentakel hoben sich immer weiter in die Höhe, gemächlich, sicher.
„Wartet noch...!", brummte Phil, angespannt und auf die Befehle von Käpt'n Teague achtend.
Erst als die Tentakel schon nach dem Hauptsegel griffen, gab der Kapitän das Zeichen.
„FEUER!"
Das Krachen der Geschütze hallte donnernd über das Schiff, während der Kraken vor Schmerz und Wut aufschrie - so laut, dass ich das Gefühl hatte, mein Schädel müsste explodieren. Gleichzeitig glaubte ich, meine Hände stünden in Flammen, so stark brannten sie vor Hitze und Schmerz-obwohl ich unverletzt war.
Klirrend fiel mir meine Waffe aus den Händen, während ich meinen Kopf hielt und mich vor Schmerzen krümmte.
Die Tentakel zogen sich zurück, qualmend und blutend.
Die Schmerzen ließen etwas nach, dafür wurde das Pulsieren in meinem Kopf hektischer, wütender.
„Ladet die Kanonen! Es ist noch nicht vorbei", presste ich hervor, als die ersten Jubelrufe über Deck halten.
„Woher...?"
„Tut es einfach!", knurrte ich Phil an, welcher den Befehl sofort weitergab.
Langsam verstummte der Schrei, doch der Krake war noch immer da, noch immer gegenwärtig in meinem Kopf.
Aber jetzt schien er mich bemerkt zu haben.
Ich spürte seine Aufmerksamkeit wie einen Stich in meine Schläfen und konnte nicht anders, als mit den Fingern gegen zu drücken-wohl wissend, dass diese Geste den Schmerz nicht lindern würde.
Dennoch reagierte er nicht weiter, lauerte und schätzte ab.
Anscheinend war er es nicht gewohnt, dass jemand ihn wahrnehmen konnte und wusste jetzt nicht recht, was er mit mir anfangen sollte.
Ich schluckte schwer, wischte mir Schweiß aus dem Gesicht, als dieser mir in die Augen zu tropfen drohte.
„Cathrin? Alles in Ordnung mit dir?"
Ich schüttelte nur den Kopf und beachtete Phil Davies besorgten Blick nicht weiter.
Um uns herum wurden die Kanonen neu geladen, doch ich achtete nicht wirklich darauf, hatte stattdessen eine törichte und vielleicht tödliche Idee.
Die Präsenz des Kraken umkreiste mich, neugierig, wie ich durch ein leichtes Kribbeln im Nacken fühlen konnte.
Na komm, hol mich doch, schoss es mir durch den Kopf, doch was kam, überraschte mich.
Der Kraken schien mich verstanden zu haben, denn das Kribbeln nahm zu, während er bereit war, zwei weitere Tentakel aus dem Wasser steigen zu lassen.
So gut es ging stolperte ich näher an die Reling, wandte mich noch einmal an Phil.
„Feuert noch nicht! Erst, wenn er angreifen sollte", presste ich hervor, stützte mich an der Reling ab.
Was genau es war, dass den ersten Maat dazu brachte auf mich zu hören, ist eines der größten Rätsel der See, doch er tat es.
Kaum das ich mich dem Meer wieder zugewandt hatte, schlugen zwei dicke Tentakel links und rechts von mir an Deck, zersplitterten die Reling und schoben Kanonen wie Spielzeuge aus dem Weg.
Das gesamte Schiff zitterte unter dem Aufprall und erneut wurden panische Schreie laut.
Doch von mir hatte eine unerwartete Ruhe besitz ergriffen.
Nur ich und der Kraken.
Ich konnte spüren, dass ich seine ganze Aufmerksamkeit hatte, dass er ebenfalls wissen wollte, wer ich war, was ich wollte und wie es mir verdammt noch mal möglich war, seine Gegenwart wahr zu nehmen.
Antworten hatte ich keine für ihn, ebenso wenig für mich.
Ich handelte aus einer Art Instinkt heraus, als die dünne Barriere zwischen uns zersprang. Ich stürzte mich auf sein Bewusstsein indem ich ihn mir bildlich vorstellte, ihn imaginär in die Tiefe zwang.
Er wehrte sich, drückte gegen meinen Verstand und ließ vor Schmerzen schwarze Flecken von meinen Augen tanzen. Gleichzeitig zuckten die Tentakel an Deck neben mir und schlugen um sich, verletzten jedoch niemanden.
Doch ich hatte nicht vor, diesen Kampf zu verlieren. Immerhin konnte das die Möglichkeit sein, das Schiff und die gesamte Crew vor dem Tod zu bewahren.
Ich drückte noch einmal mit aller imaginärer Kraft die ich aufbringen konnte...
Und plötzlich gab er auf.
Er unterwarf sich wie ein junger Hund, ich konnte ihn beinahe winseln hören. Gleichzeitig verschwanden die Schmerzen in meinem Kopf, wurden von einer angenehmen Wärme abgelöst.
Ich hatte es tatsächlich geschafft.
Der Kraken erwartete einen Befehl - meinen Befehl.
Verschwinde und lass das Schiff samt Crew ziehen, zischte meine innere Stimme und der Kraken wand sich unangenehm.
Es widersprach sich mit seinem eigentlichen Befehl...
Verschwinde und lass das Schiff samt Crew ziehen, wiederholte ich mit etwas mehr Nachdruck und seine Präsenz zuckte zusammen, wich jedoch bereits etwas zurück.
„Verschwinde und lass das Schiff samt Crew ziehen, verdammt nochmal! Hörst du schlecht? Verschwinde!", donnerte ich wütend, ignorierte den Umstand, dass ich die letzten Worte unglücklicherweise laut ausgesprochen hatte.
Blut lief mir dabei über das Kinn.
Anscheinend hatte ich mir in die Zunge gebissen...
Endlich fügte sich der Kraken und ich sah dabei zu, wie die Tentakel sich langsam von Bord verzogen, das Brodeln um unser Schiff herum nachließ.
Und plötzlich machten wir wieder fahrt.
Der Kraken tauchte und seine Präsenz zog sich aus meinem Verstand zurück, die Wärme blieb dennoch spürbar, wenn auch etwas schwächer als zuvor.
„Was hat das zu bedeuten?"
Mr. Davies war neben mir erschienen, das Gesicht von Unglauben gezeichnet, während ich mir ein beinahe wahnsinniges Lachen verkneifen musste.
„Der Krake ist weg. Anscheinend ist Davy Jones wohl nicht der Einzige, der ihm Befehle geben kann", kicherte ich, wandte mich mit unsicheren Schritten um.
Das Schiff schien stärker zu Schwanken als sonst und ich blinzelte ein paar Mal, als sich erneut dunkle Flecken in meiner Sicht bildeten.
Auf dem Schiff hingegen war es totenstill.
Die Männer starrten mich alle regungslos an-bis auf Käpt'n Teague.
Dieser hastete die Treppe vom Achterdeck hinunter um mich dann grob an den Schultern zu packen.
„Wie hast du das gemacht?", wollte er schroff wissen.
Unter anderen Umständen wäre ich wegen seines Tonfalls beleidigt gewesen, aber ich wurde noch immer vom abklingenden Adrenalin auf den Beinen gehalten und grinste ihn deswegen nur benebelt an.
„Ich hab ihm gesagt er soll verschwinden und das hat er getan. Verrückt, oder?"
Zum Glück fing Teague mich auf, als mir endgültig die Sinne schwanden und ich bewusstlos zusammenbrach.
Die „Flying Dutchman" kreuzte an der Oberfläche, in Finsternis und Nebel gehüllt.
Das Hauptdeck war verlassen und die Crew an Bord eines Beuteschiffes, mehrere Meter unter dem Meeresspiegel.
Nur der geschichtenumwobene Kapitän stand an der Reling und starrte hinaus auf das Meer.
Zwei Schiffe.
Es hätten zwei Schiffe werden sollen.
Und dennoch hatten sie nur eines vorgefunden, hinab gezogen auf den Meeresgrund.
Auch von seinem Kraken fehlte jede Spur.
Man hatte ihn nicht besiegt, er konnte fühlen, dass er noch lebte.
Nein, der Krake versteckte sich, wie ein Hund der Angst vor seinem launischen Herrn hatte.
Und dazu hatte er auch allen Grund.
Davy Jones war wütend.
Sein Befehl war missachtet worden und er wollte einen guten Grund wissen, weshalb. Er wollte jemanden zur Rechenschaft ziehen, brauchte einen Verantwortlichen für diesen Fehltritt.
Also rief er den Kraken, welcher wusste, wenn er seinem Herrn nicht folgen sollte, würde es schlecht für ihn ausgehen.
Er näherte sich, blieb jedoch außerhalb der Reichweite der Dutchman, außerhalb der Reichweite seines Herrn.
Der Krake versuchte sich zu erklären, dass er einen neuen Befehl erhalten hatte, den er zu befolgen gezwungen worden war.
Dass er besiegt worden war.
Tödliche Stille umgab Jones und der Kraken zog es erneut vor, die Flucht zu ergreifen.
Der Schrecken der Meere kochte vor Zorn, klammerte sich mit der beinahe menschlichen Hand an die Reling seines Schiffes um seinem bebenden Körper etwas sicheren Halt zu geben.
Jemand hatte sich angemaßt seine Herrschaft über den Kraken in Frage zu stellen und hatte gewonnen.
Noch schlimmer - dieser jemand war eine Frau gewesen.
Ein Weib.
Er würde sie finden, auch wenn es Jahre dauern würde.
Und dann würde er ihr eigenhändig ihr Ende bereiten - als eine Lektion für jene, die darüber nachdachten es ihr gleich zu tun und ihn heraus zu fordern.
Als ich wieder zu mir kam, waren bereits zwei Tage vergangen.
Zwei verdammte Tage seit wir dem Kraken entkommen waren.
Mir brummte der Kopf und der sonst gewohnte Seegang bereitete mir Übelkeit, aber im Gegensatz zu Johnnys ärztlicher Anweisung wollte ich nicht im Bett bleiben.
Wenn ich richtig lag, würden wir übermorgen in Tortuga einlaufen - nur noch ein Tag in denen Teague mir die Möglichkeit gegeben hatte, ein Schiff zu erhalten.
Ein Tag in dem ich die Möglichkeit hatte, nicht mit leeren Händen und einem Haufen Fragen in meinem Geburtsort aufzukreuzen.
Mein Erscheinen an Deck verlief jedoch anders, als ich es erwartet hatte.
Beim Anblick meiner Gestalt hielten die Männer in ihrer Arbeit für einen kurzen Moment inne, musterten mich mit einem Funkeln im Blick, das ich bisher vermisst hatte - Respekt.
Eine Frau musste sich also erst mit dem Kraken anlegen um auf einem verdammten Schiff Respekt zu finden.
Wenn es nicht tragisch gewesen wäre, hätte ich mir ein Lachen wohl nicht verkneifen können.
So schnaubte ich nur genervt und wandte mich dem Achterdeck zu, wo Käpt'n Teague persönlich das Ruder in Händen hielt.
„Ich dachte, du sollst noch liegen bleiben", meinte er mit hochgezogener Augenbraue und ich zuckte mit den Schultern, postierte mich in Hab-Acht-Stellung neben ihm.
„Die Luft ist mir dort zu stickig", entgegnete ich ruhig.
„Ah."
Vom Deck nickte mir Mr. Davies zu, Dukan war nicht aufzufinden.
Unser Zimmermeister hatte bereits die Schäden des Kraken repariert, doch hob sich das frisch bearbeitete Holz deutlich von den bereits witternden Abschnitten der Reling ab.
„Cathrin, sei bitte ehrlich zu mir - wie hast du das gemacht?"
Teague hatte das Steuer an Mr. McMiller übergeben und bedeutete mir ihm an die Reling zu folgen.
Nebeneinander lehnten wir uns auf diese und sahen hinaus aufs Meer.
„Ich weiß es wirklich nicht, Teague. Es war...nun...Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll."
Ich schloss die Augen und atmete tief durch, ein flaues Gefühl hatte sich in meinem Magen ausgebreitet.
„Er war da, am Rande meiner Wahrnehmung. Ich konnte ihn regelrecht hören, fast schon sehen, wenn ich die Augen schloss. Man kann sagen, ich hab mich auf ihn geworfen und er hat aufgegeben..."
„Einfach aufgegeben?"
„Etwas anstrengender war es schon, aber ja-einfach so...Ich musste zwar den Befehl dreimal geben, aber letztendlich hat er ihn angenommen und ist abgehauen. Macht das irgendeinen Sinn für dich? Ich kann es mir nämlich nicht erklären."
Teague schüttelte den Kopf, sein Blick war jedoch nach innen gekehrt und die Stirn nachdenklich gerunzelt.
„Ist dir so etwas schon einmal geschehen?"
„Gott bewahre, nein", entgegnete ich und schüttelte gleichzeitig energisch den Kopf.
Zu meinem großen Glück war mir so etwas noch nicht passiert und ich hoffte auch, dass es sich nicht wiederholen würde.
„Hast - Hast du irgendeine Idee, warum ich...?"
„Leider nein, meine Liebe. Aber sieh es positiv - jetzt hast du definitiv den Respekt, den du verdienst. Und eine Legende, die sich verbreiten wird. Cathrin Smith, die Frau, die den Kraken besiegt hat. Dürfte nicht mehr schwer für dich werden eine Crew zu finden..."
„Meinst du?"
Teague lächelte zuversichtlich.
„Gib den Männern zwei Tage an Land und ganz Tortuga wird dich respektieren. Die werden sich darum schlagen mit dir auf See fahren zu dürfen."
„Aber davor bräuchte ich immer noch ein Schiff", erinnerte ich ihn, doch er winkte nur ab.
„Das ist das kleinste Problem, glaub mir."
Ich nickte skeptisch, richtete meinen Blick auf die sanften Wellen des Meeres.
Anscheinend hatte mir wirklich nichts Besseres passieren können, als dieser Angriff des Ungeheuers.
Vermutlich würde nach zwei Tagen die Geschichte nicht länger der Wahrheit entsprechen, aber wenn ich dadurch an genügend Männer für ein Schiff kam, war mir das relativ egal.
Es gab immerhin drei Arten um an Gehorsam zu kommen - Freundschaft, Respekt oder Angst.
An Bord war es gut, wenn man eine gesunde Mischung pflegte.
Sollten sie doch schon Respekt und etwas Angst vor mir haben, dann musste ich mich in diesen Aspekten weniger anstrengen.
Vorausgesetzt natürlich, man tat unser Erlebnis nicht als Seemannsgarn ab-was jedoch sehr wahrscheinlich wäre...
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als Teague mir sein Fernrohr reichte.
„Steuerbord, kreuzt unseren Weg", meinte er und ich suchte die spärlich beschriebene Stelle.
Doch als ich sie fand, zog ich zischend die Luft ein.
Eine verhältnismäßig schlanke Galeone kreuzte unsere Gewässer. Ihre drei Masten schienen erst vor kurzem neue Takelage erhalten zu haben und sie hatte wenig Tiefgang und das obwohl sie vermutlich schwer beladen war.
Ein gut ausgestattetes Waffendeck rundete ihr Erscheinungsbild noch ab.
Sie fuhr unter englischer Flagge und hatte nach dem was man erkennen konnte, wenig Besatzung.
Zu wenig Besatzung.
„Sieht nach einem feinen Schiff aus, oder?"
„Das ist sie auf jeden Fall", entgegnete ich, konnte mein Glück kaum fassen.
Zuerst verdiente ich mir Respekt und jetzt würde ich tatsächlich noch ein eigenes Schiff erhalten...
„Sie wird ein paar Reparaturarbeiten benötigen, nachdem wir sie geentert haben..."
„Die hätte sie jetzt schon", meinte ich, hatte den Blick auf die unschöne Gallionsfigur in Gestalt eines Delfins gerichtet.
Ich mochte Delfine, aber dieser war eindeutig deformiert und eine Schande für das Schiff.
„Moment...Du wusstest, dass dieses Schiff unsere Route kreuzen würde", verkündete ich und Teagues schelmisches Grinsen war eigentlich Antwort genug.
„Vielleicht...Willst du die Befehle geben?"
„Ist das wirklich eine gute Idee?", hielt ich dagegen und er hob nur fragend eine Augenbraue.
„Willst du ein eigenes Kommando oder nicht?"
Nun gut, da hatte er auch wieder recht.
Mit einem knappen Nicken reichte ich ihm sein Fernrohr zurück und wandte mich dem Deck zu.
„Mr. Davies!"
„Aye, Ma'am?"
„Ladet die Kanonen, hisst die Flagge und bereitet die Männer auf einen Kampf vor."
„Aye, aye!"
Sekunden später wurde die vorherige Ruhe an Deck von geschäftigem Treiben abgelöst.
Ich blieb mit Teague auf dem Achterdeck stehen, behielt den näherkommenden Fleck am Horizont im Blick.
Meine Zukunft...
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To the end of the world...
FanfictionDie Geschichte eines Lebens kann mal lang und mal kurz sein. Wenn man unter schwarzer Flagge segelt erwartet man jedoch nicht all zu alt zu werden. Dafür erwarten einen Freunde und Verbündete, Feinde, Abenteuer und Ungeheuer. Dies ist die Geschichte...