Kapitel 9
Dichter Nebel waberte über das Wasser und das elegante Schiff der Royal Navy tastete sich nur vorsichtig ihren Kurs entlang.
Die HMS Dauntless war zwar eines der am besten bewaffneten Schiffe des Karibischen Meers, aber Waffen halfen ihr nichts, sollte sie auf ein Riff auflaufen.
Deshalb waren die Seemänner an Bord angespannt, allen voran Joshamee Gibbs, der einen sechsten Sinn dafür entwickelt hatte, Gefahr zu erkennen.
Und dieser Nebel bedeutete Gefahr.
Er war unnatürlich, viel zu dick und zu plötzlich erschienen.
Vielleicht war ja auch das Kind daran Schuld – Tochter des zukünftigen Gouverneurs hin oder her, Frauen an Bord brachten Unglück.
Besagtes Kind war sich der Unruhe jedoch nicht bewusst, die das Schiff im Griff hielt.
Elizabeth Swann stand in ihrem hübschen Kleid am Bug des Schiffes und spähte hinaus in den Nebel.
Anfangs hatte sie es bedauert, dass ihr Vater und sie das Anwesen in London hatten verlassen müssen, aber seit sie auf See waren, schien alles so viel spannender zu sein.
Sie hatte Geschichten gehört – über Ungeheuer und Götter, aber auch über Piraten.
Das waren ihre liebsten Geschichten.
Männer die tun und lassen konnten was sie wollten und nicht die Grundregeln der Etikette lernen mussten.
So ein Leben musste aufregend sein...
Ohne es selbst zu merken hatte sie angefangen ein altes Lied zu singen, dass sie einmal gehört hatte – ein Piratenlied.
„Wir plündern und rauben im ganzen Land, trinkt aus Piraten...", summte sie, brach jedoch erschrocken ab, als sich eine schwere Hand auf ihre Schultern legte.
„Still, Missy! Verfluchte Piraten segeln in diesen Gewässern. Ihr wollt doch nicht, dass sie uns hören, oder?", brummte Gibbs beunruhigt und das Mädchen sah ihn überrascht aber auch etwas eingeschüchtert an.
Zu ihrem Glück kam ihr jemand zu Hilfe.
„Lasst gut sein, Master Gibbs", mischte sich der junge Leutnant Norrington ein, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
„Sie hat von Piraten gesungen, Sir. Es bringt Unglück von Piraten zu singen, wo wir doch in diesem unheimlichen Nebel feststecken, denkt an meine Worte", versuchte sich Gibbs zu verteidigen, doch Norrington war nicht einmal ansatzweise überzeugt.
Er kannte die Geschichten der Männer nur zu gut um sich von ihnen noch aus der Ruhe bringen zu lassen.
Aber sollten Sie abergläubisch sein, solange sie ihren Aufgaben gerecht wurden, sah er keinen Grund sie zu Recht zu weisen.
„Seit sicher das werde ich", entgegnete er abweisend.
„Ihr könnt jetzt gehen."
„Aye, Leutnant. Es bringt auch Unglück eine Frau an Bord zu haben, auch wenn Sie noch so klein ist", fügte der Seemann grummelnd an und entfernte sich, zog gleichzeitig seinen Flachmann aus der Jackentasche.
Elizabeth hatte das Gespräch neugierig verfolgt, jedoch nicht verstanden wo das Problem lag.
„Ich denke es wäre aufregend einem Piraten zu begegnen", verkündete sie naiv, was dem Leutnant ein sarkastisches Schnauben entlockte.
Natürlich fanden Kinder die Geschichten über Piraten faszinierend.
„Ach wirklich Miss Swann? Das sind üble, zügellose Gesellen, allesamt. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass jeder der unter einer Piratenflagge fährt oder das Piratenzeichen trägt, bekommt was er verdient – schockschwere Not, den schnellen Tod."
Er war neben das Kind getreten, hatte den Blick auf das Meer gerichtet und bemerkte somit nicht, wie sich Master Gibbs sinnbildlich mit seinem Flachmann zu erhängen versuchte und somit das Mädchen erschreckte.
Jemand anderes hatte ihn jedoch dabei beobachtet und hielt es für nötig, sich in das Gespräch einzumischen. Dieser jemand war Weatherby Swann, der neue Gouverneur von Port Royal und Vater des Kindes.
„Leutnant Norrington, ich weiß Euren Eifer zu schätzen, aber es beunruhigt mich, welche Wirkung dieses Thema auf meine Tochter haben könnte", seufzte er und der junge Leutnant wich entschuldigend zurück.
Natürlich hatte er nichts Übles damit gemeint, aber Mr. Swann war nicht unbedingt erpicht darauf, dass seine Tochter über Piraten und Hinrichtungen redete.
Dafür war sie noch zu jung.
Während der Leutnant sich wieder seinen Arbeiten zuwandte, blieb Mr. Swann neben seiner Tochter stehen, die ihn mit großen Augen anstarrte.
„Also ich finde das alles sehr aufregend!", verkündete sie schließlich und der Gouverneur runzelte missbilligend die Stirn.
„Ja, genau das beunruhigt mich", erwiderte er ernst und wandte sich um.
Vielleicht sollte er noch einmal mit dem Leutnant sprechen und ihm bewusst machen, dass er nicht wollte, dass vor seiner Tochter noch einmal über solche Themen gesprochen wurde.
Außerdem sollte er diesen Seemann melden, der es für Lustig befunden hatte seiner Tochter Angst zu machen...
Elizabeth sah ihren Vater einen kurzen Moment nach, dann wandte sie sich wieder dem Meer und dem Nebel zu.
Warum konnte niemand Piraten leiden?
Waren sie wirklich so grausam, wie man erzählt hatte?
Das konnte sie sich nicht wirklich vorstellen. Immerhin waren Piraten Menschen wie alle anderen auch.
Weshalb also sollten sie...
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie etwas Seltsames auf dem Wasser sah.
Ein Sonnenschirm trieb an der Oberfläche, wobei der Griff wie der Hals eines wunderlichen Schwanes aus dem Wasser ragte.
Er näherte sich dem Bug, wurde von einer Welle beiseitegeschoben und trieb am Schiff entlang.
Das Kind folgte ihm fasziniert ein paar Schritte weit, dann hielt es inne.
Wo war der Schirm hergekommen?
Suchend wandte sie den Blick in die grobe Richtung, erschrak bei dem, was sie als nächstes sah.
Ein großes Stück Holz trieb im Wasser und darauf lag ein Junge, vielleicht einmal so alt wie sie.
Ohne zu zögern wandte sie sich an die Schiffsbesatzung.
„Seht doch, da ist jemand im Wasser! Ein Junge!", rief sie laut und sofort richtete sich alle Aufmerksamkeit zuerst auf sie, dann auf das Kind im Wasser.
Befehle wurden gebrüllt und kurz darauf hob man den durchnässten und bewusstlosen Jungen an Bord des Schiffes.
Gibbs hatte die Aktion beobachtet, wandte seinen Blick in die Richtung aus der das Kind getrieben worden sein musste.
„Heilige Maria, Mutter Gottes", stieß er atemlos aus, als sich die brennenden Überreste eines Handelsschiffes vor ihnen aus dem Nebel schälten.
Erneut standen alle an der Reling, der Gouverneur war auch darunter.
„Was ist da passiert?", verlangte er zu wissen, und Leutnant Norrington versuchte ihm eine Antwort zu geben, die den Mann nicht erzürnen würde.
„Es war wahrscheinlich das Pulvermagazin. Handelsschiffe sind schwer bewaffnet", meinte er, doch Gibbs scheute sich nicht davor, die richtige Antwort zu offenbaren.
„Hat denen ja nicht viel gebracht", begann er sarkastisch.
„Alle hier denken es und ich spreche es aus – Piraten!"
Der Seemann wusste dass er recht hatte, er spürte es einfach und auch wenn der Gouverneur seine Ansicht mit einem nervösen Lachen abtat, würde er sich nicht umstimmen lassen.
„Unsinn. Dafür gibt es keinen Beweis. Es war bestimmt ein Unfall", hielt Mr. Swann dagegen, wollte mehr sich selbst als irgendwen sonst davon überzeugen.
Nicht auszudenken, was Piraten für seine und die Sicherheit seiner Tochter zu Bedeuten hatten.
Nein, es musste ein Unfall gewesen sein.
Hastig wandte er sich von dem Anblick des brennenden Wracks ab und eilte zu seiner Tochter, die zögerlich auf den gefundenen Jungen zuschritt.
„Elizabeth, ich möchte dass du bei dem Jungen bleibst. Du bist für ihn verantwortlich, also achte gut auf ihn."
Seine Tochter nickte geflissentlich, dann folgte sie den zwei Männern, die den Jungen aufs Achterdeck brachten.
Sollte etwas geschehen, wäre sie so immerhin außerhalb des Chaos und damit einigermaßen in Sicherheit. Auch wenn er nicht wirklich sicher war, ob man dem Jungen trauen konnte...
Elizabeth hingegen betrachtete den Jungen wie einen verletzten Hund, jemand mit dem man Mitleid haben sollte.
Als sie ihm vorsichtig eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht wischen wollte, kam er kurz zu Bewusstsein, die Augen panisch geweitet und griff ihre Hand, was sie erschreckte.
Aber sie erinnerte sich an die Worte ihres Vaters und atmete tief durch.
„Alles in Ordnung, du bist in Sicherheit", verkündete sie und der Junge starrte sie nur ungläubig an.
„Mein Name ist Elizabeth Swann."
„Will Turner", presste er hervor, dann schwanden ihm erneut die Sinne.
Vermutlich war Will die Kurzform von William, einem weit verbreiteten Namen...
Etwas Goldenes erregte ihre Aufmerksamkeit und vorsichtig zog sie unter seinem Hemd ein Amulett hervor, welches er um seinen Hals trug.
Es war eine große goldene Münze mit einem Totenkopf in der Mitte und vielen seltsamen Symbolen außen herum. Das konnte nur eines bedeuten...
„Du bist ein Pirat", stieß sie überrascht aus, lenkte damit die Aufmerksamkeit des Leutnants auf sich.
„Hat er was gesagt?"
Hastig versteckte das Mädchen das Amulett in ihrem Rücken, versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
„Sein Name ist William Turner. Mehr habe ich nicht herausgefunden", sprudelte sie hastig hervor, hoffte, dass der Leutnant nichts von ihrem Ausruf mitbekommen hatte.
Anscheinend hatte sie Glück, denn er bedeutete nur zwei Männern, William Turner unter Deck zu bringen, wodurch sie allein auf dem Achterdeck zurück blieb.
Neugierig wandte sie den Männern den Rücken zu und betrachtete erneut das Amulett.
Es war schwer und glänzte faszinierend, ließ den schwarzen Schatten im Nebel so klein wirken...
Überrascht ließ sie das Medaillon sinken, als sie den Schatten zu Recht als gewaltiges schwarzes Schiff mit zerrissenen, schwarzen Segeln erkannte.
Ein Schiff, welches die Piratenflagge gut sichtbar gehisst hatte und lautlos im Nebel verschwand.
„Feuer!"
Krachend schlugen die Kugeln in die Hülle des großen Handelsschiffes, waren hoch genug angesetzt um es nicht zu versenken.
„Mr. Tricour – zielen Sie auf den Mast!"
Der Mann salutierte leicht, dann richtete er die Kanone neu aus, feuerte.
Die Kugel zerschlug den Hauptmast, welcher krachend zur Seite kippte, steuerbord vom Handelsschiff im Meer aufschlug.
„Alle Mann, klar machen zum entern!"
Ich stand auf dem Achterdeck und behielt das Chaos im Blick, eine Hand am Schwertgriff, sollten ein paar unvernünftige Seemänner daran denken unser Schiff ebenfalls besetzen zu wollen.
„Vergesst nicht – wer sich ergibt, wird am Leben gelassen!"
„Aye, Käpt'n!", riefen einige von ihnen zurück, dann wurden Enterhaken geworfen und Laufplanken ausgelegt.
Pulverdampf hing in der Luft, als meine Männer die „Toulousse" stürmten, einen kurzen Kampf fochten.
Ich übergab Mr. White das Steuer, dann folgte ich Dukan an Bord des gekaperten Schiffes, sah mich kritisch um.
Fast alle Seemänner hatten sich ergeben, die Hände in der Luft und die Waffen auf den Boden gelegt.
Als sie erkannten, dass eine Frau den Angriff auf sie befohlen hatte, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung, ungläubiges Gemurmel erhob sich.
„Eine Frau als Kapitän? Wo gibt es denn so etwas?", wagte tatsächlich einer von ihnen auszurufen, kassierte sofort einen Schlag in den Magen von einem meiner Männer.
Stöhnend klappte er zusammen und ich schritt gemächlich auf ihn zu.
„In diesen Gewässern gibt es so etwas", lächelte ich und er warf mir einen giftigen Blick zu.
„Ihr habt keinen Respekt verdient, Weib", zischte er und spuckte vor mir auf den Boden.
Sekundenschnell hatte ich meinen Dolch gezogen und ihm in einer fließenden Bewegung die Kehle durchgeschnitten.
Blut spritzte auf die Planken um mich herum und ich konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen um keine Flecken auf mein Mieder oder mein Hemd zu bekommen.
„Ist sonst noch jemand der Ansicht eures Kameraden hier?", wollte ich ruhig wissen, doch die anderen hielten glücklicherweise den Mund.
Ich wollte heute nicht noch mehr Blut vergießen, als nötig wäre.
„Sehr gut. Mr. McMiller, Mr. Mergue – durchsucht den Frachtraum und bringt alles von Wert an Deck. Mr. Simmons, Sie notieren Wert und Anzahl der Ware und überwachen das Verladen auf die „Feuertiger". Mr. Tyler und Mr. Monarch, Sie sperren die Männer vorerst in die Kapitänskajüte dieses Schiffes", befahl ich und sofort wurde meinen Worten Folge geleistet.
Zufrieden wandte ich mich wieder um und kehrte auf die „Feuertiger" zurück.
„Mr. Tycoon – Schadensbericht!"
„Eine Kugel ist in den Bug eingeschlagen, jedoch oberhalb der Wasserlinie. Wir sind bereits dabei den Schaden zu beheben. Ansonsten handelt es sich um kleinere Kratzer und Löcher, nichts Ernstes", berichtete der ältere Afrikaner mit den weißen Hautflecken mit einem leichten Lächeln.
Wir hatten Mr. Tycoon vor einem guten Jahr von einem Sklavenschiff befreit und hatten schnell festgestellt, dass er ein hervorragender Schiffszimmermann war. Zusammen mit unserem Kalfaterer Mr. Rush hielt er die „Feuertiger" in einem einwandfreien Zustand.
„Sehr gut Männer. Weitermachen!"
Tycoon verneigte sich leicht, dann hastete er wieder davon und ich wandte mich einem hageren Iren mit kurzen roten Haaren zu.
„Mr. O'Brien!"
Er wandte sich mir zu, lächelte bereits.
„Keine Verletzten, Käpt'n!"
„Das hört man gern", entgegnete ich und klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter.
Jonny O'Brien hatten wir in Nassau gefunden, wo er mir und Dukan davon erzählt hatte, dass er die „Troubadour" verlassen hatte, nachdem er eine Auseinandersetzung mir Mr. Davies gehabt hatte.
Und seitdem hatten wir den Schiffsarzt bei uns an Bord.
Ich erreichte die Treppe zum Achterdeck und stieg hinauf, überblickte noch einmal alles.
Die Männer waren bereits geschäftig dabei die erbeuteten Waren auf unser Schiff zu verladen, während Mr. Simmons so schnell wie möglich den Wert überschlug.
Mr. Simmons war ein ausgezeichneter Zahlenjongleur und hatte sich schnell zum Zahlmeister gemausert, wobei Dukan es doch nicht lassen konnte dem jungen Kerl bei der Arbeit immer wieder über die Schulter zu schauen.
So auch jetzt.
Anscheinend hatte er unseren Bootsmann Mr. Avram damit beauftrag seine Aufgabe als Beutesucher zu übernehmen, damit er sich hinter Simmons stellen und dessen Aufzeichnungen überwachen konnte.
Mr. Avram war eine ruhige Seele, dessen Strafen – falls sie seltenerweise einmal nötig waren – manchmal zu milde aus fielen, aber ansonsten erledigte er seine Aufgaben mit einer bemerkenswerten Präzision und Aufmerksamkeit.
Wobei er es immer noch am meisten zu lieben schien, wenn er vor einem Angriff unsere Flagge hissen durfte – den brennenden Tigerkopf auf schwarzem Grund, mit gekreuzten Klingen darunter.
Mit der Effizienz eines Armeisenhaufens wurden die erbeuteten Waren verladen und es dauerte nicht lange, bis Simmons und Dukan die Treppe zum Achterdeck erklommen.
Ich hatte mich inzwischen der Seekarte zugewandt, die ich auf dem kleinen Podest des Achterdeckes ausgelegt hatte und sah auf, als die beiden Männer neben mir stehen blieben.
„Wir haben guten Gewinn gemacht, Käpt'n. Hauptsächlich Zucker und Gewürze, darunter auch Safran. Wenn wir zu den derzeitigen Preisen verkaufen können, ergäbe das ein gutes Sümmchen für jeden einzelnen an Bord", erklärte Simmons und seine hellgrünen Augen leuchteten aufgeregt.
Der Junge war schmächtig und gerade einmal knapp über die zwanzig Lebensjahre hinaus gekommen, aber seine Berechnungen und Schätzungen erwiesen sich stets als zutreffend.
„Dann legen Sie die Unterlagen bitte in meine Kajüte, Mr. Simmons. Gute Arbeit", fügte ich an, woraufhin sich das Gesicht des Jungen mit einem enthusiastischen Lächeln erhellte.
Er salutierte und verschwand dann wieder die Treppe hinunter.
„Wir waren wirklich erfolgreich", bemerkte Dukan und ich richtete mich wieder auf.
„Natürlich waren wir das. Seit zwei Jahren schon sind wir erfolgreich auf See unterwegs. Die Navy hat uns noch nicht einmal erwischt und die Prisen sind gut", entgegnete ich und rief Mr. Avram zu, man solle zuerst die eingesperrten Männer frei lassen und dann die Schiffe wieder voneinander trennen.
„Welchen Hafen werden wir anlaufen?"
„Nassau ist am nähesten. Die Preise dort sind immer gut und die Männer könnten etwas feiern", antwortete ich und Dukan nickte zustimmend.
„Außerdem soll es der einzige Hafen sein, denn die „Pearl" nicht anläuft."
Ich runzelte auf diesen Kommentar hin verwirrt die Stirn, konnte nicht verhindern, dass meine Hand zu dem Medaillon um meinen Hals glitt.
„Wie kommst du darauf?"
„Bei unserem letzten Aufenthalt hat einer der Männer davon gesprochen – von dem verfluchten Piratenschiff, vor dem jeder die Flucht ergreift. Soll in fast jedem Piratenhafen auftauchen – außer in Nassau."
„Verflucht?"
Ich warf meinem ersten Maat und altem Freund einen skeptischen Seitenblick zu und er zuckte erneut mit den Schultern.
„Nur was ich gehört habe."
„Was vermutlich Seemannsgarn war."
„Vermutlich..."
Tatsächlich hatte ich seit dieser einen Nacht von Barbossa oder der „Pearl" nicht einmal eine Geschichte gehört, kein Zeichen, keine weitere Nachricht in Tortuga.
Nur dieser eine Brief, der gut versteckt in einem meiner Logbücher aufbewahrt wurde.
„Wie lange werden wir an Land bleiben?"
„Nun...da wir unsere Rationen wieder aufstocken müssen – immerhin hat sich unser Schiffskoch Mr. Oliver schon bei mir beschwert – schätze ich, dass wir schon ein paar Tage benötigen werden", antwortete ich, ein wissendes Lächeln im Gesicht.
„Vergiss nur nicht Mrs. Mergue von mir zu grüßen."
„Willst du mich nicht wieder für einen Abend begleiten?"
„Diesmal nicht, alter Freund", antwortete ich und sah dabei zu, wie die Feuertiger langsam Abstand zu dem gekaperten Schiff gewann.
„Ich denke, ich werde mir die Geschichten in den Kneipen ein wenig anhören..."
Obwohl Nassau ein Piratenhafen war, ging es hier sittlicher zu als in Tortuga.
Woran das genau lag, konnte ich nicht erklären – obwohl, vermutlich lag es an der großen Anzahl Handelsschiffe, die diesen Hafen nutzen um die geplünderten Waren von Piraten wie mir aufzukaufen.
Zu guten Preisen noch dazu.
Natürlich war es nicht ganz der Preis, den man erzielen konnte, wenn man als ehrlicher Handelsmann in einer Kolonialstadt einlief, aber mehr, als jeder Pirat woanders bekommen würde.
Zusammen mit dem inoffiziellen Gouverneur von Nassau und mit Unterstützung von Mr. Simmons und Dukan hatte ich den gesamten Vormittag über die Preise verhandelt, über Anteile des Gouverneurs und möglichen Abzügen an Gebühren.
Es waren harte, aber höfliche Verhandlungen geblieben – zurückzuführen auf die vielen sehr erfolgreichen Ladungen, die ich bereits hier verkauft hatte, was mich in der Gunst des Gouverneurs hoch getrieben hatte.
Alles in allem, waren wir tatsächlich sehr erfolgreich gewesen und wie Mr. Simmons es prophezeit hatte, konnten er und Dukan am Ende des Tages jedem Mitglied des Schiffes eine mehr als ordentliche Summe auszahlen.
Mit vollen Geldbeuteln und mit der Aussicht auf mehrere Tage Landgang verstreute die Crew sich recht schnell.
Dukan war einer der wenigen die es nicht ganz so eilig hatten, was daran lag, dass er das Schiff immer erst verließ, sobald ich von Bord gegangen war.
Ich sortierte noch die neuesten Unterlagen ein, wartete darauf, dass die Tinte im Logbuch getrocknet war.
Mein erster Maat lehnte währenddessen mit verschränkten Armen im Türrahmen.
„Habe ich eigentlich jemals nachgefragt, was zwischen dir und diesem Käpt'n Barbossa lief, als ihr beinahe jeden Tag auf Tortuga verschwunden seid?"
Ich hob überrascht den Kopf.
„Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Weshalb?"
„Einfach so..."
Ich nickte leicht, war froh, dass die Tinte endlich trocken war. Schwungvoll klappte ich das Buch zu und stellte es dann zu den anderen schwarzen Logbüchern, die in einem neu angebrachten Regal über meinem Schreibtisch standen.
„Darf ich fragen, was damals war?"
„Du darfst, aber es gibt nicht allzu viel zu erzählen. Er hat mir mit meinem Outfit geholfen und später geäußert, dass es außer dem üblichen Schindluder nichts anderes auf Tortuga zu tun gäbe. Diese Ansicht habe ich nur zu Recht gerückt", antwortete ich knapp.
„Ist das alles?", bohrte er nach, doch ein strenger Blick von mir reichte um ihn zum Schweigen zu bringen.
Wahrheit war – ich redete nicht gerne über diese Zeit. Nicht, weil ich sie bedauerte. Ich bedauerte eher, dass sie nicht länger war. Dass ich vielleicht erneut zehn Jahre warten musste um Hector wieder zu sehen.
Dukan war ein sehr guter Freund, aber es war nicht zu vergleichen mit der Unbekümmertheit, mit der ich mich mit Kapitän Barbossa unterhalten konnte.
Noch dazu war ich noch immer über seinen plötzlichen Aufbruch ungehalten – Probleme hin oder her.
Nun gut, vielleicht nicht über den Aufbruch an sich, eher über den Umstand, dass er keinen Versuch unternommen hatte, mit mir wieder Kontakt aufzunehmen.
Ich schüttelte den Kopf um diese Gedanken zu vertreiben, scheuchte Dukan aus dem Türrahmen, als ich die Kajüte verließ und hinter mir abschloss.
„Du könntest mich immer noch zu Lilly begleiten", schlug der ältere Mann vor und ich winkte wieder nur ab.
„Hab du deinen Spaß mit deiner Frau, Dukan. Ich werde mich lieber umhören, was wir als unser nächstes Ziel anvisieren könnten", entgegnete ich, sprach damit die halbe Wahrheit.
„Dein Pech. Wir sehen uns dann übermorgen bei Smithers."
Dukan hob noch einmal die Hand zum Abschied, dann verschwand er in den vollen Gassen der Stadt.
Smithers war der größte Händler auf der Insel der nicht ankaufte, sondern verkaufte – hauptsächlich Proviant und Munition.
Für letzteres hatte ich eine ganze Liste von Mr. McMiller – unserem Waffenmeister – mitbekommen.
Ich seufzte leicht, als ich mir den bevorstehenden Verhandlungsmarathon vorstellte.
Das würde kein Spaß werden...
Ich betrat ein großes Backsteingebäude – die älteste und erfolgreichste Kneipe der ganzen Insel, was vermutlich an dem integrierten Hurenhaus lag.
Oder aber auch an dem qualitativ hochwertigem Rum, den sie hier ausschenkten.
Da es bereits später Nachmittag war, war das Etablissement bereits gut gefüllt und ich hielt auf die Theke zu.
„Das übliche, Käpt'n Smith?"
Ich nickte nur und der beleibte Wirt stellte mir einen relativ großen Krug vor die Nase. Ich schob ihm die Münzen hin, hielt die Finger jedoch noch ein wenig länger darauf.
„Wer hier kann mir am ehesten zuverlässige Angaben zur „Black Pearl" machen?"
„Dem verfluchten Schiff? Das wäre dieser Mann da hinten. Sein Name ist glaub ich Joshamee Gibbs, nimmt nur Rum als Bezahlung", fügte der Wirt an und ich überließ ihm die Münzen, genug für noch einen weiteren Krug.
Wortlos reichte der Wirt ihn mir und ich neigte als Zeichen meines Dankes leicht den Kopf.
Mit beiden Krügen fest in den Händen, schlängelte ich mich durch die Kundschaft der Kneipe, bis ich den abgeschiedenen Tisch erreichte, an dem ein älterer Mann mit Backenbart und bereits ziemlich grauen Haaren, die er mit einen Lederband zusammen gebunden hatte, saß.
„Dürfte ich mich zu Ihnen setzten?"
Er sah überrascht auf, aber als er den zweiten Krug in meiner Hand erblickte nickte er lächelnd.
„Gerne Miss..."
„Smith. Käpt'n Smith. Und Sie sind Mr. Gibbs, oder?"
„Aye, der bin ich."
Er nahm zufrieden seinen Krug entgegen, als ich mich setzte und nahm gleich einmal einen kräftigen Schluck.
„Was kann ich für Euch tun, Käpt'n Smith?"
„Nun, mir wurde gesagt, Ihr hättet Informationen über die „Black Pearl". Entspricht das der Wahrheit?"
Bei meiner Frage verschluckte er sich, klopfte sich hustend gegen die Brust, bevor er mich mit aufgerissenen Augen anstarrte.
„Ihr wollt Informationen über dieses verdammte Schiff?"
„Hätte ich sonst gefragt?"
Er atmete tief durch, schob den Krug etwas auf die Seite.
„Die „Black Pearl"... ein schwarzes Schiff mit schwarzen Segeln, das schnellste Schiff der Karibik. Sein Kapitän, ein gewisser Barbossa ist ein Mann, so grausam, dass selbst die Hölle ihn wieder ausgespuckt hat. Er und seine Männer schlagen entweder im Nebel oder in der Nacht zu, lassen niemals Überlebende. Zweimal habe ich es bereits mit eigenen Augen gesehen", verkündete er und schüttelte sich unangenehm. Ich nahm wenig überzeugt einen Schluck aus meinem Krug.
Bisher hatte es keinen Unterschied mit dem üblichen Seemannsgarn, aber ich war dennoch neugierig, was Gibbs mir zu sagen hatte.
„Das erste Mal, war vor noch nicht allzu vielen Monaten, als ich auf der HMS Dauntless diente. Sie überfielen ein Handelsschiff – die „Prinzess" – und brannten es komplett nieder. Wenige Wochen später überfielen sie „Puerto de los Hispanioles" auf Trinidad, mordeten wer ihnen in den Weg kam und setzten die gesamte kleine Ortschaft in Flammen. Ich muss gestehen, dass ich ein Feigling war und mich nicht von dem Hof traute, der etwas außerhalb der Stadt lag und mir als Nachtlager diente."
„Und Sie sind sich sicher, dass es sich in beiden Fällen um die „Black Pearl" handelte?"
„So sicher, wie Sie vor mir sitzen, Ma'am", beteuerte der Seemann und ich stützte den Kopf auf die rechte Hand, dachte nach.
Von dem Angriff auf Trinidad hatte ich tatsächlich selbst gehört.
Das Fort mit den wenigen Hütten war in der Nacht angegriffen worden und nur sehr wenige hatten die Attacke überlebt. Gleichzeitig war die anfängliche Ortschaft bist auf die Grundfesten niedergebrannt worden.
Ich hätte nie gedacht, dass vielleicht Barbossa hinter diesem Angriff stecken konnte, aber ich verstand auch nicht, weshalb er es hätte tun sollen.
Noch dazu mit solch einer Brutalität.
In diesem kleinen Nest gab es nichts wertvolles, das es sich zu stehlen hätte lohnen können...
„Weshalb genau spricht man von einem verfluchten Schiff?"
Gibbs zögerte kurz, dann entschied er anscheinend, dass er es mir doch sagen konnte. Verschwörerisch lehnte er sich über den Tisch, bedeutete mir näher zu kommen.
„Man munkelt, dass die gesamte Crew nun...verflucht ist. Untote, Monster - da sind sich die Männer nicht so ganz einig."
Er zuckte mit den Schultern und ich verkniff mir ein Lachen.
„Glauben Sie wirklich daran?"
„Weshalb auch nicht, Ma'am? Lieber vorsichtig, als es später zu bereuen", fügte er an und ich musste ihm zugestehen, dass er damit nicht gänzlich unrecht hatte.
Ich nickte leicht, atmete tief durch.
„Gibt es sonst noch etwas, was Sie mir über die „Pearl" sagen können?"
„Leider nicht, Käpt'n Smith. Außer dem einen – lassen Sie die Finger von dem Schiff, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist."
„Ich werde es im Hinterkopf behalten, Mr. Gibbs. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend."
„Ihnen ebenfalls", gab er wenig enthusiastisch zurück, dann stand ich auf, nahm meinen Krug und wandte ihm den Rücken zu.
Im Grunde waren es nur Geschichten, aber ich wusste, dass hinter vielen ein wahrer Kern steckte.
Die Frage war nur, was war der wahre Kern in diesen Geschichten?
Was genau ging auf der „Pearl" vor sich?
Sicher war, ich brauchte eine Ablenkung und die fand ich in Form eines Kartentisches.
Vor zwei Tagen hatten wir wieder Segel gesetzt und Nassau verlassen – mit zufriedenen Crewmitgliedern, vollen Proviantkammern und gutem Wind.
Doch jetzt hatte sich die zuerst heitere Stimmung auf dem Schiff gedreht und eine unangenehme Stille hatte sich über die arbeitenden Männer gesenkt.
Und dafür gab es einen guten Grund.
Ich stand auf dem Achterdeck und spähte mit dem Fernrohr backbord hinaus aufs Meer.
Trotz strahlendem Sonnenschein und wolkenlosen Himmel hatte sich dort eine dichte, graue Nebelbank gebildet, die sich langsam aber sicher dem Schiff zu nähern schien.
„Was haltet Ihr davon, Mr. Mergue?", frug ich meinen ersten Maat, welcher skeptisch in die Ferne starrte.
„Ich denke, da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu", brummte Dukan und verschränkte die Arme vor der Brust.
„So etwas Ähnliches dachte ich mir auch - Mr. White, haltet den Kurs. Und Mr. Mergue, Sie rufen die Männer auf Gefechtsstation. Wir werden uns nicht unvorbereitet dem stellen, was darin auf uns lauern mag."
„Aye, aye, Käpt'n!"
Dukan hastete zum Geländer des Achterdecks, rief die Männer zu den Waffen. Mr. Tricour besetzte die Kanonen, während McMiller einen letzten Blick über manche Entermesser und Pistolen warf.
Ich beobachtete angespannt, wie die Crew sich kampfbereit machte, mit beinahe vorbildlicher Disziplin, Ordnung und Schnelligkeit. Insgesamt dauerte es nur wenige Minuten, dann war die „Feuertiger" komplett gefechtsbereit.
Ich richtete meinen Blick wieder abschätzend auf die Nebelwand und für einen kurzen Moment kamen mir die Geschichten in den Sinn, die Mr. Gibbs mir in Nassau erzählt hatte.
Aber es konnte sich doch nicht wirklich...
In diesem Moment riss der Nebel auf und spie eine gewaltige schwarze Galeone mit schwarzen Segeln regelrecht aufs Meer hinaus. Eigentlich sollte es dem Schiff unmöglich sein überhaupt Fahrt aufzunehmen, so zerrissen und durchlöchert wie die Segel waren, und doch näherte sich das Schiff uns zügig, erlaubte mir eine gute Sicht auf die Galionsfigur.
Der letzte Hinweis, den ich benötigte um mir sicher zu sein, dass ich mich nicht getäuscht hatte.
Fast gleichzeitig feuerte das ankommende Schiff einen Salutschuss und ich atmete tief durch, nahm das Fernrohr herunter.
„Mr. Mergue, Salut abfeuern. Beenden Sie die Gefechtslage und bereiten Sie das Schiff darauf vor, von unseren Besuchern betreten zu werden."
„Kennen Sie das Schiff, Käpt'n?"
Ich nickte knapp, sah dabei zu, wie die schwarzen Segel langsam eingeholt wurden, die Galeone gemächlich und mit Abstand mit unserer Breitseite gleich zog.
„Das ist die „Pearl", der derzeitige Schrecken des Karibischen Meeres", antwortete ich und Dukan erbleichte.
Also maß er den Geschichten mehr Wahrheit bei, als er zugeben wollte.
„Das verfluchte Schiff? Gott steh uns bei", murmelte er, folgte jedoch meinen Befehlen.
Nachdem auch wir einen Salut gefeuert hatten, legte sich die „Pearl" langsam backbord an die „Feuertiger" und wurde mit Tauen an unserem Schiff befestigt, damit wir nicht voneinander oder ineinander getrieben wurden.
„Sie achten auf den Abstand, Mr. White", mahnte ich meinen Rudergänger, welcher geflissentlich nickte.
Ich stieg die Treppe vom Achterdeck hinab, blieb an der Reling stehen und wartete.
Kaum das etwas Ruhe an Deck der „Pearl" einkehrte, erschien ein einzigartiger Hut in der Menge, näherte sich mit hüpfenden Federn der Reling.
Als Hector Barbossa aus seiner Crew trat, ließ er seinen Blick über das Deck meines Schiffes schweifen. Ein kurzes Lächeln huschte über sein angespanntes Gesicht, als er mich entdeckte.
Er deutete eine Verbeugung an, die ich mit einem leichten Nicken erwiderte.
„Einen guten Tag, Käpt'n Smith", grüßte er und ich runzelte überrascht die Stirn. Seine Stimme war rauer geworden, vielleicht auch etwas heißer, als hätte er zu viel gerufen.
„Ihnen auch, Käpt'n Barbossa. Was treibt Euch hier in diese Gewässer?"
„Um ehrlich zu sein, haben wir nach Ihnen gesucht, Käpt'n Smith", gestand er und ich neigte überrascht den Kopf, war mir plötzlich der feindseligen Blicke seiner Crew bewusst.
„Wenn ich an Bord kommen dürfte, könnte ich es Ihnen erklären..."
Ich traute Hector, deshalb nickte ich Dukan zu, welcher die schmale Laufplanke auslegen ließ.
Während Hector seiner Crew noch unmissverständliche Befehle zublaffte, huschte bereits ein weiteres Mitglied seiner Crew zu mir an Deck. Mit einem freudigen Kreischen sprang Jack der Affe auf meine Schultern und drückte seinen kleinen Kopf gegen meine Wange.
„Hallo Jack", murmelte ich und kraulte ihn vorsichtig, während ich Hector dabei beobachtete, wie er mit großen Schritten über die Planke an Bord schritt.
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass meine Männer vor dem fremden Kapitän mit der düsteren Ausstrahlung Angst hatten – Angst auch vor den Geschichten die über ihn erzählt wurden.
Also zögerte ich nicht ihn in meine Kajüte zu führen und somit die Spannung nicht weiter ansteigen zu lassen.
Kaum dass sich die Tür hinter uns schloss, atmete er tief durch, nahm seinen Hut ab und legte ihn auf meinen Tisch, bevor er sich auf einem der Stühle niederließ und sein Blick durch den Raum wanderte.
„Ein wirklich eindrucksvolles Schiff, was du dir da zugelegt hast", begann er und ich neigte dankend den Kopf, zog einen der Stühle von seinem Platz und stellte ihn direkt vor Hector ab.
Jack war von meinen Schultern verschwunden und hatte sich auf einem Balken über uns niedergelassen.
„Wir haben uns alle Mühe damit gegeben", meinte ich und ließ mich ihm gegenüber nieder, war beinahe nah genug, dass sich unsere Knie berührten.
„Habt ihr die Spanische Galeone erwischt?"
„Das haben wir. Sie hat zwar einen guten Kampf geliefert, aber letztendlich trugen wir den Sieg davon. Das Gold hat gereicht um die Ausstattung zu vervollständigen und mehr Männer anzuheuern", erzählte ich und er lauschte aufmerksam, schien jedoch alles andere ansehen zu wollen als mich.
Auf meine letzten Worte streckte sich Schweigen über uns.
Ein angespanntes Schweigen, in dem ich unausgesprochene Gedanken fühlen konnte. Das Verlangen ihn nach so langer Zeit in eine Umarmung zu ziehen, brannte in meinem Körper, doch die Verbitterung durch seine lange Abwesenheit, drückte auf meine Schultern wie ein Gewicht und hielt mich in meinem Stuhl.
Er hingegen wirkte nervös, allein schon durch den Umstand, dass er mir nicht in die Augen sehen konnte.
Jedoch war er es, der das Schweigen brach.
„Tut gut dich wieder zu sehen", murmelte er und ich atmete tief durch, wollte noch nicht meinen Gefühlen nachgeben.
„Was führt dich her?", entgegnete ich deshalb etwas barscher als beabsichtigt und er zuckte überrascht zusammen.
„Darf ich dich zuerst etwas fragen?"
Ich hob skeptisch eine Augenbraue, bedeutete ihm dann jedoch fortzufahren.
„Hast du auch Angst vor mir, so wie all die anderen?"
Überrascht runzelte ich die Stirn, hatte definitiv nicht mit dieser Frage gerechnet.
„Wenn du damit auf diese Geschichten ansprichst – es sind nur Geschichten. Ich sehe keinen Grund vor dir Angst zu haben, denn wenn dem so wäre, dann würdest du jetzt nicht hier sitzen, sondern müsstest dich auf deinem Schiff vor unseren Kanonen in Acht nehmen", antwortete ich ernst, woraufhin sein Blick endlich auf den meinen traf.
Seine Augen waren bei weiten nicht mehr so strahlend wie ich sie in Erinnerung hatte, wirkten eher abgestumpft. Etwas Schlimmes musste geschehen sein um ihnen diesen Funken zu nehmen, den ich immer faszinierend gefunden hatte.
„Und wenn ich dir beweisen könnte, dass die Geschichten wahr sind? Dass ich das verfluchte, blutrünstige Wesen bin, von dem alle reden?"
Sein Gesicht hatte sich verfinstert, seinen Worten haftete ein gefährlicher Unterton an, der andere vielleicht verunsichert hätte. Ich jedoch bedachte ihn mit einem skeptischen, aber auch neugierigen Blick.
„Und wie gedenkst du das zu beweisen?"
Er lehnte sich auf seinem Stuhl vor, sein Blick wanderte an meine Hüfte.
„Dürfte ich mir deinen Dolch ausleihen?"
Ein ungutes Gefühl schlich sich in mein Unterbewusstsein, während ich die Klinge aus der Scheide zog und sie an den Kapitän vor mir weiterreichte.
Er musterte kurz die blanke Klinge, dann warf er mir einen ausdruckslosen Blick zu und rammte sich den Dolch ohne mit der Wimper zu zucken bis zum Heft in die Brust.
Entsetzen schwappte einer Welle gleich über mich und paralysierte mich für den Bruchteil einer Sekunde.
Das konnte doch jetzt nicht...
Gleich darauf stand ich auf den Beinen, warf den Stuhl dabei halb um. Mein Herzschlag pochte in meinen Ohren und ich konnte nicht glauben, was er gerade getan hatte.
Wollte er sich etwa umbringen?
Ich überbrückte den letzten Abstand zwischen uns, packte ihn an den Schultern und wusste gleichzeitig nicht, ob ich ihn für diese Tat schlagen oder ob ich ihn einfach nur festhalten sollte, sobald er bewusstlos wurde.
Als ich jedoch das eindeutig zweideutige Grinsen in seinem Gesicht sah, zusammen mit dem Umstand, dass es ihm anscheinend ausgezeichnet ging, entschied ich mich impulsiv für die erste Option.
Wut kochte in mir hoch und meine Ohrfeige traf ihn überraschend, warf seinen Kopf zur Seite und wischte ihm das Grinsen aus dem Gesicht.
Ein schmerzhaftes Brummen entkam ihm und ich funkelte ihn wütend an.
„Schmerz spürst du also anscheinend noch", knurrte ich und zog den Dolch wieder aus seiner Brust, drehte die Klinge, was ihm diesmal ein unangenehmes Grunzen entlockte.
„In gewisser Weise, ja", stöhnte er und ich wandte mich ab um das Blut von der Klinge zu wischen.
Sein Hemd war im Gegensatz zu meiner Waffe sauber geblieben.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du dir solche Sorgen machen würdest", summte er leicht amüsiert und ich wandte mich mit blitzenden Augen zu ihm um, konnte die charakteristische Hitze wieder in mir aufsteigen spüren.
Die Spitze des nun wieder sauberen Dolches zeigte auf ihn und meine Hand bebte vor Wut und dem zuvor erlittenen Schock.
„Noch einmal eine solche Aktion und ich dreh dir eigenhändig den Hals um, verdammter Mistkerl!", fauchte ich und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.
„Verdammt bin ich allerdings..."
„Und zu was? Unsterblichkeit?"
Ich zwang mich dazu ruhig zu bleiben, steckte den Dolch wieder ein und blieb mit verschränkten Armen vor ihm stehen.
„Zum Teil...Wir sind weder tot noch lebendig. Wir können nicht sterben, aber ein Leben führen wir auch nicht mehr. Essen wird zu Asche, unser Durst kann nicht gestillt werden und die Gier die uns antrieb diesen verdammten Schatz zu plündern frisst nun an uns", erklärte er und ich wollte soeben den Mund öffnen um ihn zu fragen, ob er denn meinte mich damit auf den Arm nehmen zu können, doch er bedeutete mir, dass er noch nicht zu Ende geredet hatte.
„Ich kann nicht schlafen, nicht träumen. Nicht einmal den Wind auf meinem Gesicht kann ich fühlen, keine Berührung – nur Schmerz. Doch noch schlimmer wird es, sobald es Nacht wird, wenn das Mondlicht offenbart, wer oder besser was wir wirklich sind...Und bitte, versuch einfach daran zu glauben, dass ich dich nicht anlügen würde. Immerhin hast du gerade selbst gesehen, dass ich nicht sterben kann", fügte er beinahe verzweifelt an und ich atmete tief durch, versuchte meine Gedanken zu ordnen.
Während er gesprochen hatte, hatte ich meinen Stuhl wieder aufgerichtet und mich hingesetzt.
Ich versuchte mir vorzustellen wie schlimm es wäre, nichts mehr essen und trinken zu können, nichts zu spüren außer dem Schmerz einer Wunde, die doch nicht existierte.
Es musste grausam sein...
„Wie ist es dazu gekommen?", seufzte ich schließlich und ein Funke Hoffnung schien in seinen Blick zurück zu kehren.
„Der Schatz von Cortez", antwortete er und ich runzelte die Stirn, konnte nicht verhindern dass sich meine Hand um das Medaillon um meinen Hals schloss.
„Keine Sorge, bisher scheint niemand verflucht zu sein, der das Gold von uns bekommen hat", versicherte er und ich senkte meine Hand wieder, lehnte mich auf meinem Stuhl nach vorne.
„Hat der Fluch dann eine gewisse Zeit benötigt, bevor er ausgebrochen ist?"
„Nein. Wir haben es auf Tortuga nur nicht bemerkt...Meine Männer und ich waren alle abgelenkt und die Nächte waren ohne Mondlicht."
Langsam verstand ich, zumindest hoffte ich das.
„Die Nacht in der du verschwunden bist..."
„War die erste Nacht mit Mondlicht. Ich hatte wie abgemacht am Steg gewartet, doch dann..."
Er lehnte sich ebenfalls vorwärts, starrte erneut auf seine Hände.
„Wie schlimm ist es?"
„Schlimm...Ich...Ich wollte nicht, dass du mich so siehst."
Ich nickte nachdenklich.
Meine Wut war endgültig verraucht und an ihre Stelle trat Mitleid. Mitleid für den Mann, der vor mir saß, die sonst Stolz gestrafften Schultern müde gesenkt.
Dieser Mann, den ich seit Tortuga als meinen Freund sah, steckte in den größten Schwierigkeiten, die man sich vorstellen konnte.
Und was für eine Freundin wäre ich, wenn ich ihm nicht helfen würde?
„Gibt es einen Weg den Fluch zu brechen?"
„Den gibt es. Wir müssen alle 882 Stücke wieder zurück bringen und ein jeder von uns muss Blutzoll bezahlen, wo wir das größte Problem hätten. Die Medaillons zurück zu bringen ist nicht das Schwierigste – notfalls brenne ich die gesamte Welt nieder um sie zurück zu bekommen – aber das Blut wird beinahe unmöglich."
„Warum?"
„Einer meiner Männer, Stiefelriemen Bill Turner, fing Ärger an. Behauptete wir wären wegen der Meuterei zu Recht verflucht. Ich habe mich von meiner Wut leiten lassen und warf ihn an eine Kanone gebunden über Bord", gestand er und ich hielt mich davon ab frustriert die Augen zu verdrehen.
„Und jetzt habt ihr sein Blut nicht", erkannte ich und Hector nickte zustimmend, das Gesicht zu einer grimmigen Maske verzogen.
„Jedoch hat er ein Kind, aber das wird sehr schwer zu finden sein."
Ich nickte verstehend, hatte noch eine Frage.
„Wie genau findet ihr das Gold?"
„Es ruft nach uns...ein ständiges Summen in unseren Gedanken, das uns auf die richtigen Wege leitet", antwortete er murmelnd und ich bemerkte wie sich bei diesen Worten sein Blick auf das Gold um meinen Hals fixierte.
Deswegen war er also gekommen.
Nicht unbedingt weil er mich vermisst hatte, sondern weil er das Gold zurück wollte.
Irgendwo konnte ich ihn verstehen, andererseits war diese Erkenntnis auch ein unschöner Schlag in den Magen.
Mit einer schnellen Bewegung hatte ich die Kette von meinem Hals gelöst und reichte sie ihm.
Doch er blinzelte nur überrascht zu mir auf.
„Deshalb bist du doch hier. Also nimm es", brummte ich ungehalten und er schüttelte zu meinem großen Unglauben den Kopf.
„Deswegen bin ich nicht hier – also nicht unbedingt. Ich habe dir eher ein Angebot zu machen."
Nun sah ich ihn überrascht an, senkte die Hand in der ich die Kette hielt.
„Ein Schiff alleine würde die halbe Ewigkeit brauchen um jedes einzelne Goldstück zu finden. Noch dazu sind meine Männer und ich zwar unsterblich, aber die „Pearl" nicht unzerstörbar. Ich könnte Hilfe gebrauchen..."
Ich hob überrascht eine Augenbraue, konnte ein neckendes Grinsen nicht verhindern.
„Käpt'n Barbossa braucht also meine Hilfe", schnurrte ich und er verdrehte leicht verärgert die Augen.
„Bring mich nicht dazu es noch einmal zu sagen", brummte er und ich lachte leicht.
„Wenn es nur mich betreffen würde, hättest du meine Zusage sofort. Aber ich hab da draußen ein paar Männer um die ich mich kümmern muss. Was wäre also für uns drin?"
„Was hältst du von dreißig Prozent bei Landüberfällen und fünfzig, wenn wir ein Schiff oder eine Flotte kapern?"
„Hm...sechzig und achtzig, dann bin ich dabei", entgegnete ich und er hob skeptisch eine Augenbraue.
„Und auf welcher Grundlage verlangst du so viel?"
„Meine Männer sind nicht unsterblich im Gegensatz zu deinen. Ich muss Verletzungen und Todesfälle einkalkulieren..."
„Vierzig und siebzig."
„Fünfzig und siebzig – und das Medaillon behalte ich, bis wir alle anderen haben. Damit du nicht auf dumme Gedanken kommst", fügte ich an und er schnaubte amüsiert.
„Nun gut, fünfzig und siebzig. Abgemacht."
Ich griff die von ihm dargebotene Hand, erwiderte den Händedruck fest.
„Jetzt wirst du mich nicht mehr los, Hector", lächelte ich und er nahm das Medaillon, das ich noch immer in der anderen Hand gehalten hatte und legte es mir wieder um.
„Und damit kannst du auch nicht vor mir weg laufen, Cat", erwiderte er und endlich löste sich das Gewicht auf meinen Schultern auf und ich schloss ihn in eine feste Umarmung.
„Wir werden das alles wieder in Ordnung bringen, Hector...Versprochen."
Der Wind warf mir ein paar meiner kurzen Haarsträhnen ins Gesicht, aber ich hatte bereits aufgegeben sie zu bändigen.
Ich hatte meiner Crew von meiner Abmachung mit Barbossa erzählt, auch mit dem Hintergrund des Fluches, und anfangs hatten sie noch Bedenken geäußert, doch als ich ihnen unsere Anteile an den zu erwartenden Prisen offenbarte, hatten sie sich schnell überzeugen lassen.
Hector hatte währenddessen seine Männer ebenfalls ins Vertrauen gezogen und eine etwas unschöne Situation zu klären gehabt, bei der jedoch glücklicherweise keine Klingen gezogen werden mussten.
Den restlichen Nachmittag hatte Hector mir Koordinaten auf den Seekarten eingezeichnet – darunter auch die der Insel, auf der sie den Schatz gefunden hatten.
Die „Isla de Muerta".
Von dort aus setzte die „Pearl" segel und verstaute dort ihre Beute, sowie den Schatz, den sie zurückbrachten.
Unser derzeitiger Kurs führte uns mit einem kleinen Umweg dorthin.
Wobei dieser Umweg in Form einer spanischen Galeone und deren Begleitschiff Gestalt annahm.
Erneut peitschte mir eine Haarsträhne schmerzhaft gegen die Nase und fluchend schob ich sie wieder hinter mein Ohr, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte hinaus aufs Wasser.
Ich stand wieder auf dem Achterdeck, Mr. White in meinem Rücken hielt das Ruder sicher in Händen.
Die „Pearl" war noch immer mit uns vertaut, was auch daran lag, das Hector sich noch immer in meiner Kajüte befand, die letzten Formalitäten mit Dukan und Mr. Simmons regelte.
Ich hatte mich irgendwann entschuldigt um frische Luft zu schnappen.
Früher hatte ich nie wirklich an Geistergeschichten geglaubt. Geschweige denn an Götter oder Flüche.
Natürlich hatte es immer etwas Magisches in der Welt gegeben, etwas das ich nicht abstreiten würde – der Kraken war das beste Beispiel dafür - aber einen ausgewachsenen Fluch?
Wenn ich Hectors Unsterblichkeit nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich es jetzt vermutlich immer noch nicht glauben.
Die Sonne neigte sich langsam der Wasseroberfläche entgegen und ich konnte bereits die Silhouette des Mondes am dunkler werdenden Himmel erkennen. Der Nebel, der die „Pearl" bei ihrer Ankunft begleitet hatte, war inzwischen komplett verflogen.
Ich hörte, wie sich die Tür zu meiner Kajüte öffnete und vermutlich alle drei Männer sie verließen.
Jemand erklomm die Treppe zum Achterdeck und ich rechnete eigentlich mit Dukan, war jedoch überrascht Hector zu finden, der sich neben mich stellte, ebenfalls die Arme verschränkte.
„Deine Männer sind beinahe bürokratischer als die verdammte Navy", brummte er und ich verkniff mir ein lautes Lachen.
„Das sind sie manchmal. Aber ich könnte mir keine bessere Crew wünschen", entgegnete ich und er brummte etwas unverständliches, warf einen Blick in den Himmel.
Die Sonne war beinahe komplett unter gegangen.
„Ich sollte besser gehen."
„Das Mondlicht?"
„Du willst mich nicht so sehen, glaub mir", schnaubte er und ich warf einen schnellen Blick über das Deck.
Fast alle Männer hatten sich zu Bett begeben und die wenigen die auf den Füßen waren, achteten nicht auf uns.
„Und was, wenn doch? Hector, früher oder später werde ich es sehen, wäre es da nicht sinnvoller alle Karten gleich auf den Tisch zu legen? Ich habe keine Angst", fügte ich entschlossen an.
„Die wirst du haben", hielt er dagegen und ich verdrehte genervt die Augen.
„Wenn du noch länger stehen bleibst, dann hat sich die Sache von selbst geregelt", entgegnete ich und er legte mit einem genervten Schnauben den Kopf in den Nacken.
„Du kannst einen ziemlichen Sturkopf haben, wenn du willst, oder?"
„Da kenne ich aber noch einen", bemerkte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue und er atmete tief durch.
„Sag aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt."
„Abgemacht."
In diesem Moment versank die Sonne im Meer, das Licht des Mondes war aber noch nicht kräftig genug um irgendwelche sichtbaren Veränderungen zu zeigen.
„Wo ist eigentlich der Affe?"
„Vermutlich noch in der Kajüte", antwortete Hector und ich wandte mich vom Meer ab.
So sehr wie ich den kleinen Kerl mochte, so wenig wollte ich ihn momentan in meinen Zimmern haben, wenn ich schlafen wollte.
Hector folgte mir, schien erleichtert zu sein, das Unvermeidliche noch ein wenig hinauszögern zu können.
In der Kajüte selbst war es schon dunkel, weshalb ich erst einmal ein paar Kerzen entzündete.
Ich runzelte missbilligend die Stirn, als ich den Stapel Papier auf meinem Tisch bemerkte.
Da stand mir heute noch einiges an Arbeit bevor...
„Jack?"
Ein aufgeregtes Kreischen ließ uns aufschauen. Tatsächlich saß der Affe auf einem Balken über uns, spähte skeptisch zu uns hinunter.
„Na komm, Jack. Lassen wir die Dame für heute in Ruhe."
Doch anstatt auf den dargebotenen Arm seines Herrchens zu springen, landete er erneut auf meinen Schultern, klammerte sich mit seinen Händen in meine Haare.
„Bitte sag jetzt nicht, das bedeutet, was ich denke", stöhnte ich gequält und Hector schüttelte nur lachend den Kopf.
„Anscheinend hat er dich mehr vermisst, als ich angenommen hatte."
„Ist ja schön, dass er das hat – ich hab euch auch vermisst, aber dennoch bin ich nicht erpicht darauf, dass er hier bleibt!"
„Du hast uns vermisst?"
„War das nicht offensichtlich?"
Der Blick den er mir zuwarf sprach Bände.
Ich verdrehte die Augen, verschränkte schützend die Arme vor der Brust.
„Nun gut...jetzt hab ich es ja gesagt, oder? Und ich werde es nicht wiederholen", fügte ich noch entschlossen an und er schüttelte nur lächelnd den Kopf.
„Das wirst du dir jetzt dein Leben lang anhören müssen", meinte er zuckersüß und ich hob drohend einen Zeigefinger.
„Das kannst du vergessen! Ich bring jetzt den Affen auf die „Pearl" und dann werd' ich versuchen immerhin noch etwas Schlaf zu bekommen", verkündete ich und schritt zur Tür, doch kaum dass ich sie geöffnet hatte, sprang der Affe von meinen Schultern und zurück auf den Balken meiner Kajüte.
„Du wirst dich wohl damit abfinden müssen, dass er vorerst hier bleibt", meinte Hector und trat an meine Seite.
„Na gut – aber nur für eine Nacht", knirschte ich und trat aus meiner Kajüte zurück an Deck.
Inzwischen war es dunkler und das Licht des Mondes stärker geworden, doch Hector blieb gerade außerhalb des Lichtschimmers stehen.
Das Deck um mich herum war leer.
Als ich merkte, wie Hector zögerte, nahm ich ihn entschlossen an der Hand und zog ihn ins Mondlicht.
Die Veränderung geschah sofort.
Und aus einem Mann wurde ein Monster.
Bleiche Knochen, an denen nur noch graue Fetzen hingen, wo eigentlich Haut und Fleisch gewesen war. Seine Kleidung war zerrissen, löchrig, wenn überhaupt vorhanden. Neben seinen Haaren waren es nur seine Augen die sich nicht veränderten.
Diese meerblauen Augen, die unsicher auf meine Reaktion warteten.
Anfangs starrte ich nur.
Ich hatte keine Angst vor ihm, verrückt aber wahr.
Ich war eher fasziniert.
„Darf ich?"
Er neigte leicht den Kopf, schien nicht zu wissen, was ich vor hatte.
Ich zögerte jedoch nicht länger und steckte meine Hand zwischen seine Rippen. Kein Widerstand, es handelte sich also nicht um eine Täuschung.
„Faszinierend", hauchte ich, inspizierte im nächsten Moment seine Knochenhände und steckte probehalber noch die andere Hand zwischen seine Rippen.
Barbossa ließ mich gewähren, starrte mich nur die ganze Zeit über sprachlos an.
„Du...du hast wirklich keine Angst", stellte er schließlich fest, als ich meine Hände wieder aus seinem Brustkorb genommen hatte und versuchte ein Grinsen zu verkneifen.
„Hab ich dir doch gesagt", entgegnete ich und klopfte ihm freundschaftlich gegen die Schulter.
„Aus dir werde ich wohl nie komplett schlau", schnaubte Hector belustigt, dann wandte er sich der „Pearl" zu.
„Sag mir, wenn du es wirst. Ich versteh mich nämlich selbst nicht."
„Das werde ich, Käpt'n Smith."
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To the end of the world...
FanfictionDie Geschichte eines Lebens kann mal lang und mal kurz sein. Wenn man unter schwarzer Flagge segelt erwartet man jedoch nicht all zu alt zu werden. Dafür erwarten einen Freunde und Verbündete, Feinde, Abenteuer und Ungeheuer. Dies ist die Geschichte...