Kapitel 13
Dukan bedeutete Mr. McMiller ihm zu folgen, während Simmons und White im Beiboot zurück blieben.
Sie hatten lange auf dem Schiff gewartet, doch nachdem sie das britische Schiff erspäht hatten, welches die Insel verließ, hatte ihn ein ungutes Gefühl ergriffen.
Ein ungutes Gefühl, welches sich, als sich die Minuten zogen, in Angst verwandelte.
Etwas war geschehen.
Und wenn Cathrin nicht zurück kam, musste es etwas Schreckliches gewesen sein.
Also hatte er sich McMiller, Simmons und White geschnappt, sie in ein Beiboot gesetzt und war zurück zur Insel gerudert.
Nun schritt er vorsichtig durch die unheimlich stillen Gänge des Höhlenkomplexes, schluckte die Übelkeit hinunter.
Irgendetwas war nicht richtig...
Sie erreichten die Haupthöhle und er ließ seine Fackel fallen, stürmte vorwärts.
Barbossa lag auf dem Rücken, das Hemd von seinem eigenen Blut rot getränkt und der Blick leblos. Neben ihm jedoch lag Cathrin, die Augen geschlossen und das Gesicht weißer als ein Laken.
Ihre gesamte rechte Körperhälfte schien mit Blut verschmiert zu sein, ihr schwarzes Hemd war von den Rippen bis hinab zur Hüfte aufgeschnitten.
„Bitte, Cathrin, lass mich nicht zurück", flüsterte er entkräftet, als er neben ihr auf die Knie sank, mit zitternden Fingern nach einem Puls tastete.
Im nächsten Moment rief er nach McMiller.
„Sie lebt noch! Verdammt, sie lebt noch!", verkündete er enthusiastisch, hob die Verletzte mit Hilfe des Waffenmeisters in die Höhe.
„Vorsichtig, wir wollen die Wunde nicht noch schlimmer machen..."
So schnell es ihnen mit ihrer zerbrechlichen Last möglich war, kehrten die beiden Männer zurück zum Beiboot.
Dort angekommen betteten sie die Verletzte so schonend wie möglich, sprachen kein weiteres Wort.
Nicht einmal als der Affe des toten Piraten mit einem Goldstück an einer Kette zu ihnen ins Boot sprang gaben sie einen Mucks von sich.
Das Tier selbst wich Cathrin nicht von der Seite, behielt das Medaillon gleichzeitig fest in den kleinen Händen.
Zügig erreichte das kleine Beiboot die „Feuertiger" und noch bevor sie an Bord gelangen konnten, rief Dukan bereits nach Jonny.
Cathrin wurde in ihrer Kajüte untergebracht und der Schiffsarzt besah sich die Verletzungen, wechselte einen ernsten Blick mit dem ersten Maat.
„Ich weiß nicht, wie viel ich für sie tun kann. Ich werde mein Bestes geben, aber wir müssen so schnell wie möglich einen Hafen anlaufen."
„Tortuga liegt am nächsten..."
„Besser als keiner", brummte O'Brien und machte sich an die Arbeit, mit der Unterstützung von Toby, der Schiffsjunge und zugleich der Enkel O'Briens war.
Dukan unterdes blieb nichts anderes über, als vorrübergehend das Kommando über das unheimlich stille Schiff zu übernehmen und sie so schnell wie möglich nach Tortuga zu bringen.
Ich ertrank.
Ertrank in einem Meer aus rot.
Blut.
Tod.
Schmerzen, die meinen Körper unter Feuer setzten.
Dunkelheit, die um mich kreiste.
Kälte die von einer unnatürlichen Hitze abgehalten wurde.
Verzerrte Stimmen...
Ich bekam keine Luft mehr.
Ich wollte schreien, ich wollte um mich schlagen.
Konnte mich nicht bewegen.
Bilder, Erinnerungen an tote Augen.
Verlust.
Rote Wellen schlugen über mir zusammen.
Mir war kalt.
Nein, warm.
Schlimmer, heiß.
Ein Wimmern.
Die Dunkelheit kroch näher.
Jemand rief.
Deine Zeit ist noch nicht gekommen...
Es tat so unglaublich weh.
Die Hitze ließ nach.
Schwärze.
Lichtpunkte, nein, Sterne.
Luft.
Ich konnte wieder atmen.
Der Schmerz jedoch blieb.
Er brachte mich dazu aufzuschreien und zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit gehorchte mir mein Körper.
Mein eigener Schrei gellte mir noch in den Ohren, als ich panisch die Augen aufschlug, in der Dunkelheit um mich herum nichts erkennen konnte.
Wo war ich?
Wann?
Wer?
Was war geschehen?
Jemand packte mich vorsichtig aber bestimmt an der Schulter und ich hätte beinahe erneut geschrien, wenn sich nicht im gleichen Moment eine Kerze entzündet hätte und ich in ein sehr bekanntes Gesicht blickte.
„Cathrin...Cat, kannst du mich hören?"
„Teague?", krächzte ich ungläubig und er atmete erleichtert aus.
„Willkommen zurück, Kind", lächelte er müde und ich runzelte erschöpft die Stirn.
„Was...?"
„Schon deine Kräfte. Du bist schwer verletzt und bis vor ein paar Tagen waren wir uns nicht einmal sicher, ob du es schaffen würdest", erklärte er knapp und eine kühle Hand legte sich auf meine Stirn.
Die Berührung war angenehm, lindernd und ich konnte mir ein leises Stöhnen nicht verkneifen.
„Du hast immer noch Fieber, wenn auch nicht mehr so hoch wie die letzten Tage", bemerkte er und ich nickte nur leicht, atmete schwer.
Alles tat mir weh und jeder Atemzug kostete Anstrengung.
„Ich werde den Arzt holen, du versuchst in der Zwischenzeit wach zu bleiben", befahl mein ehemaliger Kapitän und ich nickte schwach.
Kurz darauf war er aus meinem Blickfeld verschwunden und ich bemühte mich wirklich, seinem Befehl Folge zu leisten, doch die Dunkelheit war stärker als ich.
Als ich das nächste Mal zu mir kam, saß Teague erneut an meiner Seite, das Gesicht von Müdigkeit gezeichnet.
Der Schmerz war noch immer allgegenwärtig, doch die Anstrengung, die es mich das letzte Mal gekostet hatte auch nur zu atmen, war beinahe verschwunden.
„Teague..."
Er schreckte aus seinen Gedanken auf und wandte sich dann mit einem hoffnungsvollen Blick mir zu.
„Du bist wieder wach...Wie geht es dir?"
„Mir tut alles weh", gestand ich schwach und er nickte leicht.
„Verständlich...Nach dem was du durchgemacht hast, würde es jedem übel gehen..."
Ich runzelte verwirrt die Stirn, doch er bedeutete mir zu schweigen.
„Ich werde jetzt zur Tür gehen und deinem verzweifelten ersten Maat sagen, dass du wieder wach bist und er den Arzt holen soll. Und diesmal erwarte ich, dass du wach bleibst, sonst werde ich heute noch irgendwas aus dem Fenster dieses Zimmers werfen", drohte er und entlockte mir gleichzeitig ein leichtes Lächeln.
„In Ordnung, Käpt'n..."
Er bedachte mich noch einmal mit einem mahnenden Blick, dann erhob er sich von seinem vermutlich unbequemen Stuhl und eilte mit langen Schritten zur nicht weit entfernten Tür des Zimmers.
Irgendwie kam mir das schlichte Zimmer bekannt vor, ebenso das große weiche Bett in dem ich lag. Mein Verstand wollte mir jedoch immer noch nicht erlauben, mich an irgendetwas auf das ich mich zu konzentrieren versuchte, zu erinnern.
Und da es mir zusätzlich Kopfschmerzen verursachte, ließ ich es schließlich bleiben.
„Sieh mal an, du bist tatsächlich wach geblieben", brummte Teague zufrieden, als er sich wieder auf seinem Stuhl niederließ.
„Ich bin mir sicher, er wird bald wieder zurück sein - vorausgesetzt er versucht sich nicht so sehr zu beeilen, dass er über seine eigenen Füße fallen wird", fügte er amüsiert an und ich atmete tief durch.
„Wo bin ich?"
„Tortuga. Dein erster Maat hat das Schiff in den Hafen gebracht und nach einem Arzt für dich gesucht. Zufällig war ich gerade in der Stadt und hab ihm unter die Arme gegriffen. Schien so, als habe er auf See noch die Fassung behalten können, doch in der Stadt ist er herumgerannt wie ein kopfloses Huhn", erzählte Teague und ich versuchte mir vorzustellen, was er sprach.
Es half die Dunkelheit zu vertreiben.
„Ich kann dir jedoch nicht sagen, was geschehen ist..."
„Und warum nicht?"
„Ich weiß es nicht. Keiner scheint es genau zu wissen...Aber ich bin zuversichtlich, dass du dich wieder erinnern wirst, sobald es dir besser geht."
In diesem Augenblick klopfte es an die Zimmertür und nachdem Teague ein „Herein" gerufen hatte, trat ein schlanker Mann mit breiten Schultern und jungem Gesicht in den Raum.
„Käpt'n Teague, Käpt'n Smith - schön zu sehen, dass Sie wieder wach sind", lächelte der Mann und trat mit langen Schritten an meine Seite.
„Ich bin Mr. Myers, der Arzt, der sie die letzten Wochen behandelt hat", fügte er noch an, als er neben dem Bett stehen blieb und dann begann zuerst meine Temperatur zu messen, meine Augen und meinen Puls zu überprüfen.
„Soweit so gut", murmelte er, schlug im nächsten Moment die Decke unter der ich lag zurück.
Zu meinem Glück trug ich eine Hose, war jedoch erschöpft genug um mir darüber nicht viele Gedanken zu machen, was mir gleichzeitig ersparte mich für irgendwelche Blöße sinnlos zu schämen.
Stattdessen konzentrierte ich mich lieber auf die gewaltige Narbe, die sich rot und geschwollen vom Ansatz meines rechten Brustkorbes bis hinab zu meiner Hüfte zog.
„Die Wunde ist noch immer leicht entzündet, aber die Heilung schreitet gut voran", bemerkte der Arzt und tastete leicht am Rand der Narbe entlang, was mir ein schmerzhaftes Zischen entlockte.
„Entschuldigt, Miss. Ich schlage vor, Sie nehmen demnächst ein Bad und wenn Sie zu essen anfangen, dann nur mit karger Kost. Etwas trockenes Brot, am besten jedoch eine Suppe, dünn und wenig bis gar nicht gewürzt. Ansonsten würde ich Ihnen vor allem Ruhe empfehlen. Geben Sie ihrem Körper Zeit auszuruhen", fügte er mit einem sympathischen Lächeln an, dann legte er die Decke wieder zurück über meinen Körper, deutete vor mir und Teague eine Verbeugung an.
„Nächste Woche würde ich gerne noch einmal auf die Narbe sehen."
„Natürlich", antwortete Teague an meiner Stelle und begleitete den Arzt zur Tür.
Anstatt jedoch sofort zu mir zurück zu kommen, sprach er noch kurz mit jemandem, der vor der Tür gewartet hatte.
„Wer war das?", murmelte ich, als er an meine Seite zurückkehrte.
„Mr. Mergue. Ich hab ihm aufgetragen Elaine zu holen und sich darum zu kümmern, dass du eine Suppe bekommst."
Bei dem mir so bekannten Namen horchte ich auf.
„Elaine? Du meinst doch nicht etwa..."
Schwungvoll wurde die Tür aufgeschlagen und eine ältere Frau schritt in das Zimmer. Ihre blonden Haare wiesen bereits einige silberne Strähnen auf und ihr Gesicht hatte im Laufe der Jahre einige Falten mehr gewonnen und dennoch hätte ich sie überall wiedererkannt.
Tränen liefen ihr über das runde Gesicht, als sie an meine Seite hastete, mit zitternden Händen meine eigenen griff.
„Du bist endlich wieder wach", schniefte sie und ich lächelte sie schwach an.
Schuld und Freude mischten sich in meiner Brust, konnten sich nicht einig werden, welches von ihnen schwerer wog.
„Hallo, Mama..."
Die ersten Wochen konnte ich nicht aufstehen. Und wenn, dann nur, wenn ich von mindestens einer Person gestützt wurde.
Zu meinem Glück war meine Mutter zu meist diese Person, was vor allem den Gang zur Toilette weniger beschämend machte.
Teague jedoch bestand weiterhin darauf, jede Nacht neben meinem Bett zu sitzen um „darauf aufzupassen, dass ich auch ja wieder wach wurde", wie er es so schön ausdrückte.
Meine Mahlzeiten bestanden aus dünner Suppe und ab und zu einer Scheibe Brot, doch auf langes Betteln meiner Seite aus, wurde aus dem warmen Wasser schließlich eine kräftige Brühe und nach drei Wochen spürte ich endlich wieder etwas mehr Leben in mir.
Was geschehen war, blieb mir immer noch verborgen und als ich Dukan darauf ansprach, wich er der Frage aus und verabschiedete sich eiligst von mir.
Mein langjähriger Freund war am ersten Tag mit feuchten Augen neben meinem Bett in die Knie gesunken und hatte erst langen Zuspruch von mir und Teague benötigt um sich wieder zu beruhigen.
Von ihm hatte ich erfahren, dass er die Crew ausbezahlt und das Schiff im Hafen verankert hatte. Zu meiner großen Überraschung hatte ich auch erfahren, dass die meisten Männer sich fast täglich nach mir erkundigten und bis auf drei alle von ihnen darauf warteten erneut mit mir in See stechen zu können.
Dukan kam fast täglich zu Besuch, doch meine Mutter blieb immer an meiner Seite.
Sie bat mich davon, von meinen Jahren auf See zu berichten und so erzählte ich. Ich erzählte alles, an das ich mich erinnerte.
Bis zu dem Tag, als wir den Schatz aus den Höhlen geholt und die „Feuertiger" damit beladen hatten.
Besonders interessiert war sie an Hector.
Sie wollte alles über ihn wissen, wie er aussah, wie er mich zum Lachen bringen konnte, seine Art und Weise zu reden.
Ich tat ihr den Gefallen, doch schwang bei jedem Wort eine Unsicherheit mit, die ich mir nicht ganz erklären konnte.
Wo war Hector?
Sicherlich würde er mich nicht alleine eine solche Verletzung auskurieren lassen, wenn ihm nichts Wichtiges dazwischen gekommen war...
Irgendwas musste also geschehen sein...
Nach einem Monat konnte ich das erste Mal ohne Hilfe aufstehen. Die Schwellung an der Narbe war bereits vor ein paar Tagen zurück gegangen, auch hatten die Schmerzen nachgelassen.
Ich schaffte es tatsächlich schwerfällig alleine an das Fenster des Zimmers meiner Mutter, atmete tief die frische Morgenluft ein.
Hinter mir auf seinem Stuhl streckte sich Teague inzwischen verschlafen.
„Guten Morgen, Kind."
„Guten Morgen", gab ich zufrieden zurück und ließ gleichzeitig meinen Blick über den Hafen schweifen.
Es lagen einige Schiffe vor Anker, die „Feuertiger" schien im ersten Moment das prächtigste von ihnen zu sein - bis ich ein schwarzes Schiff mit schwarzen Segeln entdeckte.
Die „Black Pearl".
„Seit wann ist Hector da?"
„Wie?"
„Die „Pearl" - Hectors Schiff", gab ich zurück und wandte mich Teague zu, welcher mich verwirrt ansah.
„Cathrin, die „Black Pearl" gehört meinem Sohn - Jack."
Nein, nein, das stimmte nicht.
„Guter Witz...Die „Pearl" segelt seit über zehn Jahren unter dem Kommando von Hector Barbossa", entgegnete ich verunsichert und langsam schien sich so etwas wie Verstehen in seinem Gesicht auszubreiten.
„Vielleicht kommst du zurück zum Bett und wir klären das?", schlug er plötzlich vor und ein ungutes Gefühl stieg in mir auf.
Jack - Jack Sparrow.
Irgendetwas war mit ihm gewesen, irgendwas hatte er getan...
Nun schlug auch noch die Tür zum Zimmer auf und Dukan trat ein, atmete erleichtert aus, als er mich am Fenster erblickte.
Inzwischen war mir beinahe schlecht.
„Gut, ich dachte, du wärst vielleicht aus dem Zimmer gegangen..."
„Dukan, was hat Sparrow mit der „Pearl" zu schaffen?", fuhr ich meinen ersten Maat an, welcher schlagartig jegliche Farbe im Gesicht verlor.
Meine Mutter hatte nun ebenfalls das Zimmer betreten.
„Cathrin...jetzt ist noch nicht die Zeit gekommen darüber zu reden", wich Dukan aus und ich straffte die Schultern.
Auch wenn es mir in der Kehle eng wurde, ich wollte endlich wissen, was mein erster Maat vor mir verbarg.
„Worüber zu reden, Dukan? Glaub nicht, ich hätte nicht mitbekommen, dass du etwas vor mir verheimlichst! Wo ist Hector? Was ist geschehen?"
Der ältere Mann zuckte vor meinen harschen Worten zusammen, wagte es nicht mir in die Augen zu sehen.
„Ich kann dir nicht genau sagen, was auf der Insel geschehen ist...ich weiß nur, als du nicht wieder gekommen bist, haben wir dich gesucht. Du warst mehr tot als lebendig..."
Er atmete tief durch, trat auf mich zu, zog gleichzeitig etwas aus seiner Jackentasche.
„Es war uns wichtiger dich zu retten, also haben wir ihn zurück gelassen. Der Affe jedoch hat das aus der Truhe entwendet und bis wir in Tortuga eintrafen aufbewahrt", meinte er und reichte mir das Medaillon, welches ich die letzten Jahre getragen hatte.
Es lag schwer in meiner Hand, war mit längst getrocknetem Blut beschmiert.
„Es tut mir leid", murmelte Dukan betroffen, hatte den Blick noch immer gesenkt.
Das konnte er doch nicht ernst meinen...
Es musste sich um eine Lüge handeln, einen schlechten Scherz...
Hector würde garantiert gleich durch die Tür kommen und sich köstlich über mein entsetztes Gesicht amüsieren.
Aber das war Wunschdenken.
Ich wusste es.
Tote Augen, die kalt zur Decke starrten.
Ein weißes Hemd voller Blut.
Etwas in mir zerbrach, zerbrach und schnitt mir brennend in die Seele.
Ich bemerkte nicht, dass ich das Gleichgewicht verloren hatte, oder das Teague und Dukan mich mühsam zum Bett schoben, wo meine Mutter mich in die Arme schloss. Ich spürte nicht die heißen Tränen, die über meine Wagen liefen, oder die Krämpfe die meinen geschundenen Körper schüttelten.
Ich spürte nur diesen Schmerz, der mir all die angesammelte Kraft wieder raubte.
Hector war tot.
Und es gab nichts, was daran etwas ändern konnte.
Mein gesundheitlicher Zustand hatte sich nicht weiter verbessert.
Die Schmerzen, die mir anfangs meine Verletzung zugefügt hatte, waren ersetzt worden durch den Verlust meines besten Freundes.
Jeder Gedanke an Hector brannte in meinem Körper und auch wenn ich nach mehreren Tagen keine Tränen mehr übrig hatte, wurde ich dennoch von trockenen Schluchzern geschüttelt.
Teague hatte nach einigen Abenden mein Zimmer verlassen und war seither nicht wieder zurück gekommen.
Dukan hatte mir erklärt, dass sie versucht hatten, den Affen an Bord zu behalten, aber als dieser das Schiff seines ehemaligen Herrn gesehen hatte, konnten sie ihn nicht mehr halten.
Er ging nach ein paar Tagen ebenfalls.
Vermutlich lag es daran, dass ich auf seine Versuche ein Gespräch mit ihm zu starten, keinerlei Reaktion zeigte.
Es war nicht, weil ich wütend auf ihn war.
Er hatte alles getan, was in seiner Macht stand und ich war dankbar dafür.
Ich konnte nur keine Kraft aufbringen zu reden. Es war bereits anstrengend genug weiterhin zu essen und wenn meine Mutter mich nicht dazu zwingen würde immer wieder zu baden...
Die meiste Zeit des Tages und der Nacht schlief ich, träumte nicht einmal mehr.
Und sollte ich doch einmal wach sein, starrte ich ziellos ins nichts.
All die möglichen Wege, die mein Leben hätte nehmen können verliefen plötzlich im Sande.
Denn keiner von ihnen beinhaltete die Möglichkeit ohne Hector vorwärts zu kommen.
Warum sollte ich mich also noch anstrengen?
„Cathrin?"
Meine Mutter trat vorsichtig ein, schloss die Tür hinter sich.
„Wie geht es dir heute?"
Was sollte ich darauf antworten?
Wie sollte ich beschreiben, was in mir vorging, was mich immer tiefer zog?
Ich konnte es nicht.
Also schwieg ich lieber.
Sie seufzte tief, ließ sich neben mir auf der Matratze nieder.
„Weißt du, wie viel du mit deinem Vater gemeinsam hast?"
Ich löste meinen Blick von der dunkelgrauen Decke und richtete ihn auf meine Mutter, zeigte ich somit, dass sie meine Aufmerksamkeit hatte.
Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Lippen und sanft strich sie mir mit einer Hand über die Wange.
„Mir war von Anfang an klar, dass du zur See fahren würdest. Es war mir in dem Moment klar, als ich deine Augen sah, seine Augen. Mir war auch klar, dass du sein Temperament und sein Geschick mit dem Schwert erben würdest. Ich hatte jedoch gehofft, du würdest nicht ebenfalls so sensibel sein, wie er es ist", seufzte sie und ich runzelte die Stirn.
„Woher...?"
„Ich konnte es in seinen Augen sehen, damals, als er die „Laughing Widow" betreten hatte. So viel Schmerz stand in diesen blauen Augen, dass es mir beinahe das Herz zerriss. Es war der gleiche Schmerz, den ich auch bei dir sehen kann", antwortete sie und ich schluckte schwer.
„Ich weiß, Verlust kann einem die größten Schmerzen zufügen, die man sich nur vorstellen kann, aber ich weiß auch, dass man diese Schmerzen überwinden kann. Dein Vater konnte es - obwohl...vielleicht hat er nicht ganz die cleveren Entscheidungen getroffen", fügte sie nachdenklich an und ich schnaubte amüsiert.
„Was hat er getan? Sich sein Herz rausgeschnitten?", scherzte ich bitter, verzog das Gesicht als mein Hals beim sprechen zu kratzen anfing.
„Leider ja", antwortete meine Mutter melancholisch und warf mir dann einen ernsten Blick zu.
„Ich werde nicht zulassen, dass du eine ähnliche Dummheit begehst."
Ich nickte schwach, hatte jedoch eine andere Frage im Kopf.
„Hast du meinen Vater geliebt?"
„Ich kannte ihn kaum, ich kann also nicht von Liebe sprechen. Nein, ich hatte Mitleid mit ihm. Habe ich immer noch. Manchmal denke ich von ihm wie von einem alten Freund, der mir das größte Geschenk gemacht hat, dass ich je erhalten konnte", lächelte sie und tippte mir mit einem Finger gegen die Nase.
„Und jetzt hätte ich noch eine Frage an dich - Was würde Hector denken, wenn er dich so sehen würde?"
Was würde er denken?
Vermutlich wäre er enttäuscht.
„Ich denke...ich denke er hätte mich schon längst über die Schulter und ins Meer geworfen", antwortete ich stumpf und meine Mutter lächelte breit.
„Nun...um dich noch über die Schulter zu werfen bin ich schon zu alt und du zu erwachsen, aber aus dem Bett werde ich dich trotzdem kriegen."
Mit diesen Worten zog sie mir die Decke weg und packte mich an den Händen.
„Du hast da draußen ein Schiff und eine Crew, die auf dich warten. Wir haben dir deine Zeit zu trauern gegeben, doch nach knapp drei Wochen solltest du dich langsam wieder daran erinnern, wie man lebt!"
Sie zog mich auf die Beine und schob mich schließlich Richtung Bad, wo ich neben warmem Wasser auch meine alte Kleidung fand.
„Diesmal wäscht du dich alleine und danach zeigst du mir dein Schiff", verkündete meine Mutter und wollte bereits die Tür hinter sich schließen, als ich sie noch einmal zurück hielt.
„Ich liebe dich", murmelte ich und sie lächelte mich sanft an.
„Ich liebe dich auch, mein Schatz. Und jetzt in die Wanne mit dir!"
Es hatte lange gedauert.
Es musste fast ein halbes Jahr oder mehr vergangen sein, seit ich die „Pearl" in Tortuga gesehen hatte und beinahe ein dreiviertel Jahr, seit ich auf der „Isla de Muerta" verletzt worden war.
Die „Feuertiger" hatte in dieser Zeit kein einziges Mal die Segel gesetzt. Dafür hatte sie eine Behandlung erhalten, die all die Zeichen von den vergangenen zehn Jahren auf See verschwinden ließ.
Ausgebessert und überholt, sah sie wieder aus, wie an dem Tag, als ich zum ersten Mal mit ihr diesen Piratenhafen verlassen hatte.
Meine Männer ließen es sich in den Kneipen und teilweise auch bei ihren Frauen gut gehen, sprachen mich jedoch immer wieder darauf an, wann wir wieder Segel setzen würden.
Ich vertröstete sie immer auf „bald" und gab die nächste Runde Getränke aus.
Nachts wurde ich zumeist noch immer von Alpträumen geweckt, doch die Tage wurden erträglich.
Dukan bot mir an, mit mir zu trainieren und nachdem ich wieder ein Schwert gekauft hatte, fochten wir täglich für mehrere Stunden an Deck meines Schiffes.
Anfangs waren meine Bewegungen noch ungelenk und kraftlos gewesen, doch nach mehreren Wochen kehrte langsam die alte Kraft in meine Attacken, meine Geschwindigkeit in meine Finten und meine Beweglichkeit in meinen Körper zurück.
Die Anstrengung war Ablenkung genug.
Doch da war noch etwas anderes.
Etwas, dass sich durch meinen Verstand fraß, sobald ich alleine war.
Oder wenn ich meine Aufmerksamkeit auf das schwere Medaillon richtete, das ich, seit ich es wieder erhalten hatte, um meinen Hals trug.
Zorn.
Er brannte sich durch meinen Verstand und überschattete meine Gedanken, fügte einem Namen einen bitteren Beigeschmack bei.
Jack Sparrow.
Er war für die Katastrophe auf der Insel verantwortlich.
Er hatte die Kugel abgefeuert, die Hector aus dem Leben gerissen hatte.
Dieser verfluchte Mistkerl, der noch dazu Hector das Schiff gestohlen hatte.
Das erste Mal an Rache dachte ich, als ich alleine in einer Ecke der Kneipe saß und in meinen leeren Becher starrte.
Ich dachte darüber nach, wie befriedigend es sein würde, wenn eine Kugel aus meiner Pistole das Herz dieses Verdammten durchschlug. Wie sich das so überlegene Grinsen in eine bestürzte Grimasse verzog.
Ich stellte mir vor, wie ich seinen Leichnam über die Reling warf, den Haien zum fraß. Oder noch besser - ich könnte versuchen den Kraken auf ihn anzusetzen...
Es gab jedoch nur eine Kleinigkeit, die ich davor klären musste.
Die Möglichkeit dazu bot sich mir beinahe ein Jahr nach meiner Verletzung.
Ich saß wieder in meiner Ecke in der „Laughing Widow" und beobachtete das fröhliche Geschehen um mich herum wie hinter einer Glasplatte.
Ich war ein Zuschauer und vorübergehend zufrieden damit.
Bis sich ein mir so bekannter Mann mit rot-silbernem Mantel neben mir auf einen Stuhl fallen ließ.
„Ich muss gestehen, ich hätte erwartet, dass du schon wieder auf See bist", brummte Teague statt einer Begrüßung und ich warf ihm einen kurzen Blick zu.
„Und ich muss gestehen, dass ich auf dich gewartet habe", gab ich zurück und der alte Kapitän neigte fragend den Kopf.
„Worum geht es?"
„Jack."
„Ah...Verstehe", murmelte er und richtete sich in seinem Stuhl wieder auf.
Er wirkte gefasst, doch ich konnte Nervosität und auch einen Funken Trauer in seinem Blick erkennen. Mir selbst gefiel es auch nicht wirklich, wusste jedoch bereits wie dieses Gespräch enden würde.
„Es gibt keinen Weg dich davon abzubringen?", versuchte er mich halbherzig umzustimmen, hatte bereits meine Entschlossenheit bemerkt.
„Nein. Aber wenn es dich beruhigt, so verspreche ich, dass es schnell geschehen wird", fügte ich an, zog den Ring, den er mir einst geschenkt hatte, vom Finger.
„Nimm ihn wieder."
Teague zögerte einen Moment, schien im meinen Gesicht nach etwas zu suchen, schloss dann jedoch seufzend seine Finger um den Ring.
„Du weißt, dass Rache niemals befriedigend ist..."
„Vermutlich. Andererseits - was in dieser gottverlassenen Welt ist noch befriedigend?"
„Eine Menge, wenn man die Augen dafür geöffnet hat", seufzte Teague, drehte den Ring in Händen.
„Ich werde mich endgültig auf Schiffbruch niederlassen...Man hat mir angeboten Wächter des Kodex zu werden. Vielleicht besuchst du mich dort einmal."
Ich atmete tief durch, stand schließlich abrupt auf.
Und dann sprach ich die Worte, die ich nie in Erwägung gezogen hatte, wenn wir uns sonst verabschiedeten.
„Leb wohl, Teague."
Ich wandte mich nicht noch einmal um, warf keinen Blick zurück und ließ mich auch sonst nicht ablenken.
Dieser Abschied war für immer, denn ich wusste, dass Teague mir den Tod seines Sohnes nicht verzeihen würde.
Und dennoch war ich nicht bereit mich von meinem Ziel abbringen zu lassen und wandte mich deshalb dem Hafen zu. Wenn ich Sparrow erwischen wollte, musste ich zuerst mögliche Routen berechnen...
Ich achtete nicht auf meine Umgebung, ließ mich automatisch von meinen Füßen tragen.
Vorbei an der „Faithfull Bride", in der einmal wieder eine gewaltige Schlägerei im Gange war, durch eine Seitengasse Richtung Hafen.
Sie waren zu sechst.
Sechs Männer, die sich aus dem Schatten einer Seitengasse schälten, Waffen in den Händen.
„Käpt'n Smith, Sie werden uns jetzt begleiten", verkündete einer von ihnen und ich hob unbeeindruckt eine Augenbraue.
„Und wie kommt ihr auf diesen Gedanken?"
„Weil wir Eure Mutter haben", lachte jemand in meinem Rücken und ich wandte mich hastig um, sah einem grobschlächtigen Mann dabei zu, wie er meine Mutter aus dem Schatten der Gasse zerrte.
Wie zur Hölle wussten sie von ihr...?
„Lasst Sie gehen", zischte ich, griff bereits nach meinem Entermesser.
„Waffen weg, oder ich schneide ihr die Kehle durch", drohte der Mann und entblößte dabei eine gewaltige Zahnlücke.
Gleichzeitig drückte er die schartige Klinge eines Dolches gegen die Kehle meiner Mutter.
Auch wenn mein Stolz protestierte und meine Hände vor Wut zitterten, blieb mir nichts anderes über, als den Befehlen zu folgen.
Ich zog Dolch, Pistole und Schwert und warf sie in den Dreck der Straße.
„Gut so...Matelot, fessle sie."
Einer der Männer trat an mich heran, bog mir die Hände auf den Rücken und schnürte sie dann mit grobem Seil zusammen.
„Jetzt lasst sie frei", zischte ich und tatsächlich nahm der Mann das Messer vom Hals meiner Mutter.
„So einfach kann es gehen, wenn jeder nach den Regeln spielt", murmelte der Mann in meinem Rücken, beging den Fehler zu nah an meiner Seite zu stehen.
Ich trag ihm gegen das Schienbein, zog ihm gleichzeitig einen Dolch aus dem Gürtel und hätte damit meine Fesseln durchtrennt, wenn sich nicht in dem Moment die restlichen Männer auf mich gestürzt hätten und mich zu Boden rangen.
Ich konnte meiner Mutter noch zurufen, dass Dukan sich um die „Feuertiger" kümmern sollte, als mir schon etwas Schweres über den Kopf gezogen wurde und ich das Bewusstsein verlor.
DU LIEST GERADE
To the end of the world...
FanfictionDie Geschichte eines Lebens kann mal lang und mal kurz sein. Wenn man unter schwarzer Flagge segelt erwartet man jedoch nicht all zu alt zu werden. Dafür erwarten einen Freunde und Verbündete, Feinde, Abenteuer und Ungeheuer. Dies ist die Geschichte...