Türchen 17

15 2 31
                                    

Nervös wippt sie von einem Bein auf das andere. Wie lange schon steht sie an dieser riesigen und bunt geschmückten Tanne, mitten auf dem Weihnachtsmarkt? Viel zu früh war sie hier, weil sie talentiert darin ist, sich zu verspäten. Aber nicht heute, auf gar keinen Fall. Es ist wahnsinnig kalt, in den letzten Tagen ist die Temperatur ganze neun Grad unter null gefallen. Dadurch ist der Weihnachtsmarkt auch nicht brechen voll, was ihr wenigstens ein wenig die Aufregung nimmt. Sie hatte noch nie ein Date auf dem Weihnachtsmarkt. Jetzt ist es auch noch die aller erste Begegnung mit diesem Menschen. Genau dieser taucht plötzlich vor ihr auf und begrüßt sie mit einem breiten Lächeln.

„Hey Ani!", die Stimme hört sich genauso warm an, wie bei den unzähligen Telefonaten und Sprachnachrichten.

„Jaime! Hast du gut hierher gefunden?"

„Nur ein ganz klein wenig Verspätung und gestreikt hat auch keiner", antwortet Jaime, immer noch mit einem Lächeln.

Sie umarmen sich, Ani nimmt sofort den Duft von Pfefferminzkaugummi und blumigem Weichspüler war. Jaime sieht genau so hübsch aus, wie auf dem Profilbild. Die kurzgeschnittenen braunen Haare stecken unter einen schwarzen Linkin Park Mütze, ein Stückchen vom Haupthaar schaut vorn heraus. Dabei wollte Ani doch unbedingt mal durchwuscheln.

„Du hast recht, euer Weihnachtsmarkt sieht nicht schlecht aus. Besser als die drei Glühweinbuden bei mir auf dem Dorfplatz", erzählt Jamie ihr, „Magst du mir ein bisschen mehr zeigen?"

Jaime liebt Weihnachtsmärkte sehr, das ging in ihren Gesprächen oft genug hervor. Deswegen wollte Ani auch unbedingt, dass ihr Date hier stattfindet. Auch wenn das für Ani selbst ein Riesending ist. Es ist ihr aller erstes Date mit einer nicht binären Person und dann auch noch an einem Ort, wo es besonders viele Zuschauer gibt. Da möchte sie auf keinen Fall etwas falsch machen. Wobei Jaime schon mehrfach gesagt hat, dass sie nicht viel falsch machen könne. Ani ist bemüht, sich bei jedem Schritt etwas mehr zu entspannen und beginnt, ein paar unnötige Fakten über ihre Stadt zu erzählen. Für Jaime ist das alles dennoch ziemlich spannend, auf dem Dorf passiert wohl nicht so viel.

„Früher gab es hier mal richtig altes Karussell, über sechzig Jahre alt. Es gab nur Pferde und Kutschen darauf und alles war aus Holz. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie gerne ich als Kind auf diesem einen weißen Pferd saß und die Runden gedreht habe. Das war toll."

„Warum steht es jetzt nicht mehr hier, Betriebsrente?"

„Der Besitzer ist verstorben und sein Sohn hat das Karussell an ein Freilichtmuseum verkauft. So eins mit alten Häusern und so. Blöderweise wurde es beim Versuch des Transports ziemlich kaputt gemacht und es musste verschrottet werden."

„Oh, das ist traurig. Das tut mir leid."

„Ist schon ein paar Jahre her, aber ja, traurig ist es immer noch."

Sie schlendern an Holzhütten und Zelten vorbei, an denen all Mögliches verkauft wird. Jaime bleibt an einem Zelt mit Schmuck stehen. Hier hat Ani in ihrer Jugend mal zwei Freundschaftsketten gekauft, mit einem geteilten Herz, dass man zusammenfügen konnte, wenn man die Ketten aneinandergehalten hat. Leider zerbrach die Freundschaft, nachdem Ani sich als Pansexuell geoutet hat.

„Meine Mutter steht auf Schmuck, da bleibe ich automatisch an jedem Schmuckstand stehen. Entschuldige, es ist ja schließlich unser Date."

„Ach das macht gar nichts, wir können doch was zusammen aussuchen, dann hast du ein Weihnachtsgeschenk."

Jaime hatte vor ein paar Tagen geschrieben, dass noch ein Geschenk für die Mutter fehle und keine Idee da sei. Aber damit ist Jaime sofort einverstanden. Die ältere Dame, die den Schmuck verkauft, will ihnen natürlich Allmögliches andrehen, aber Jaime hat Ansprüche. Es sollte nicht zu plump, aber auch nicht zu kitschig aussehen. Ringe mag sie nicht so gerne, lieber eine Kette. Oder doch ein Armband?

„Sieh mal hier, das wäre doch was."

Ani deutet auf ein Armband, was an einem kleinen hölzernen Ständer hängt. Es ist Silber und mit blauen Steinchen versehen. Eines der Steinchen ist zu einem Herz geformt. Jaime findet es auch schön und entscheidet sich für das Armband. Die ältere Dame nimmt das Geld entgegen und packt das Armband in ein Papiertütchen. Jaime lässt es in der Tasche seiner gefütterten Karojacke verschwinden.

„Danke, sie wird es lieben", Jaime fällt Ani um den Hals und in ihr macht sich ein wärmendes Gefühl breit.

An einem Crêpestand holen sie sich was zu essen. In einer Sache sind die beiden sich sofort einig, Nutella ist ein Muss. Ani vergisst sogar die Angst, gleich mit Nutella im Gesicht vor Jaime zu stehen. Sie nimmt einfach eine Servierte mehr mit. Außerdem besteht Ani darauf, Jaime einzuladen. Abseits des Gewusels können sie in Ruhe essen.

„Danke für das Crêpe", bedankt Jaime sich lächelnd und lässt es sich schmecken.

„Andere gehen in schicke Restaurants und wir stehen bei Minusgraden draußen rum und essen französische Pfannkuchen. Ich finde, das hat was", stellt Ani schmunzelnd fest.

Jaime erzählt beiläufig davon, dass im Dorf immer noch sehr darüber gesprochen wird, wie Jaime sich identifiziert. Die Eltern haben es gut aufgenommen, aber wie Dörfer denn ja so sind.

„Es hat nur noch gefehlt, dass es am schwarzen Brett an der Feuerwehr hängt", berichtet Jaime und verdreht die Augen.

Ani kann das gar nicht nachvollziehen, warum muss man sich über andere Leute das Maul zerreißen. Selbst jetzt in der Weihnachtszeit, wo es um das Miteinander geht, wird Jaime daheim nur schief angeguckt.

„Wenn dir das zu blöd wird, dann kommst du einfach zu mir. Hier könnte ein regenbogenkotzendes Einhorn durch die Straßen rennen, es interessiert keinen. Von den Leuten in unserem Alter würde es eher noch gefeiert werden."

„Cool", wieder zeigt sich ein Lächeln auf Jaimes Gesicht.

Eigentlich wollten sie noch zusammen auf die Eisbahn, aber da sind grade so viele Kinder drauf, die waren eben definitiv noch nicht da. Das macht dann keinen Spaß.

„Ich kann ja wiederkommen und dann machen wir das", schlägt Jaime vor.

„Das wäre schön", stimmt Ani mit einem Grinsen zu.

Also wird sich bei einem heißen Kakao am Glühweinstand aufgewärmt, wobei Ani ein immer besseres Gefühl mit Jaime bekommt. Es war definitiv richtig, sich auf Jaime einzulassen und zu treffen. Dieses Date läuft absolut perfekt und sie können sich noch mal auf eine andere Art kennen lernen.

Abends bringt Ani Jaime noch zum Zug, es steht noch eine zweistündige Reise bevor.

„Es war wirklich wunderschön und der heiße Kakao war genauso süß wie du."

Ani errötet bei dem Kompliment. Jaime drückt ihr einen Kuss auf die Wange, steigt dann in den Zug. Ani bleibt noch so lange am Bahnsteig stehen, bis nur noch die Leuchten der hinteren Lok zusehen sind. Es war ein perfektes erstes Date und Ani möchte am liebsten Luftsprünge machen. Nächste Woche sehen sie sich wieder, auf dem Dorf. 

It's Christmas Time || Adventskalender 2022Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt