Eisige Berge

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Sicht von Kagome:

»Da oben ist es?« Mit zittriger Stimme krallte ich mich in das Mokomoko von meinem Mann.
Es war eine Kälte hier oben in den Bergen, die kaum zu beschreiben war.
Meine Füße spürte ich schon gar nicht mehr. Ein Taubheitsgefühl machte sich in meinem Körper breit.
»Ja.«
Der Atem Sesshoumarus gefror sofort.
»Na dann los! Den Rest schaffen wir auch noch!« Ich wollte keine unnötige Zeit vergeuden. Nicht wenn Rin zu Hause um ihr Leben kämpfte.
Ich nahm etwas Anlauf und setzte zum Sprung an. Fliegen konnte mein Daiyoukai nicht mehr, denn er hatte seine gesamte Energie verbraucht um mit mir im Schlepptau in unmenschlicher Geschwindigkeit hier her zu gelangen. So hatten wir nicht einmal einen Tag verpasst. Aber Sesshoumarus Kräfte hatten sich noch nicht vollständig regeneriert.
Meine Füße wollten sich gerade vom Boden abstoßen, da rutschte mein rechtes Bein auf dem Eis weg und ich fiel nach vorn.
Bevor mein Gesicht jedoch den Schnee küssen konnte, packte mich Sesshoumaru am Arm und zog mich zu sich.
»Pass doch auf!«, forderte er streng.
Mein Rücken lehnte gegen seine Rüstung.
»Danke«, murmelte ich leise.
»Ich weiß, du willst keine Zeit verlieren. Aber was bringt uns das, wenn du hier vom Berg fällst und dir das Genick brichst?«, schimpfte er weiter, »Ich kann nicht mehr fliegen und dich wie immer auffangen!«
Beschämt sah ich auf den Boden. Manchmal ging mein Temperament mit mir durch. Das würde sich wohl nie ändern.
»Du hast recht«, entschuldigte ich mich ehrlich.
Mein Mann nickte und schaute nun nach oben.
Auf der Spitze des höchsten Berges konnte man einen gigantischen Baum erkennen. Tatsächlich hatte er noch all seine Blätter und die eisige Kälte schien nicht zu stören. Das konnte nur das Lager vom Eremiten sein.
»Wir müssen vorsichtig von einem Vorsprung zum anderen springen.«
Leichter gesagt als getan. Wie sollten wir das machen und gleichzeitig einen festen Halt unter den Sohlen bekommen?
Mein Gefährte blickte nun zu mir, schlang seine Arme um meine Hüfte und stieß sich vom Boden kräftig ab.
Vorsichtig landeten wir im Schnee, jedoch waren meine Arme fest um Sesshoumarus Hals geschlungen. Der Lord des Westens schnaufte erschöpft nach Luft.
Es kostete ihn einfach zu viel Kraft.
»Sesshoumaru, lass mich uns nach oben bringen«, schlug ich vor.
Ich machte mir langsam wirklich Sorgen um ihn. Er durfte nicht noch mehr Energie verbrauchen. Behutsam legte ich meine Hand auf seine linke Wange und strich ihm ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht.
»Ich schaffe das schon!« Ob ich mich selbst mit diesen Worten ermutigen wollte? Wahrscheinlich.
Sesshoumaru sah mir für einen kurzen Moment in die Augen, ehe er meinen Worten Glauben schenkte. Ich griff mir dieses Mal seinen Arm und legte ihn mir um den Hals. Danach suchte ich an seinem Obi nach Halt und sprang in die Höhe.
Sobald ich das Eis berührte, rutschte ich erneut aus und dieses Mal fiel ich wirklich auf die Nase.
»Verdammt!«, fluchte ich.
Sesshoumaru stöhnte auf, weil sich die Spitze seiner Rüstung unglücklich in seine Schulter bohrte.
»Gomen!«
Erschrocken japste ich nach Sauerstoff. Das wollte ich wirklich nicht!
»Schon gut«, winkte mein Mann die Sache ab und richtete sich gleichzeitig auf.
Ich umarmte ihn kurz, ehe ich uns erneut eine Etage höher brachte.
Dieses Mal kamen wir sicher zum stehen. Ohne ein weiteres Wort machte ich weiter. Wir mussten dieses Gebirge schnellstmöglich hinter uns lassen. Für Rin!
Der riesige Baum kam uns bei jedem Sprung weiter entgegen. Ich war auch wirklich froh darüber. Mir ging als Dämonin ebenfalls langsam die Puste aus. Wir sind schließlich keine Götter!
Schwankend landeten wir ein letztes Mal und fielen direkt schlaff auf unsere Knie.
»Geschafft!«
Mein Jubel war allerdings nur von kurzer Dauer. Als ich sah, wo wir nun waren, blieb mir die Spucke im Halse stecken.
Die angeblichen Blätter von diesem Dämonenbaum waren in Wirklichkeit lauter Schädel! Von Tieren, Youkai und Menschen! Sogar ziemlich kleine Totenköpfe, weshalb ich vermutete, dass es sich hier um Kinder handelte.
Schluckend stand ich einfach nur da und versuchte diese Bilder in meinem Kopf zu verdrängen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich konnte meinen Blick jedoch nicht abwenden, es war wie ein schrecklicher Albtraum. Von so einem Wesen sollte ich Hilfe verlangen? Ihn bitten?
»Schau sie dir nicht mehr an«, flüsterte Sesshoumaru in mein Ohr.
»Ich kann nicht«, antwortete ich, »es sind so viele!«
Etliche. Hunderte? Tausende? Ich war mir nicht sicher.
Mein Gefährte nahm mein Gesicht in seine Hände und erlöste mich von diesem grausamen Anblick.
»Das darf uns nicht kümmern!«, ermahnte er mich, »wir sind aus einem anderen Grund hier.«
»Aber...«
»Nichts aber! Verliere unser Ziel nicht aus den Augen, Kagome.«
Ich wusste, dass er recht hatte. Mir war auch klar, dass ich nichts mehr für die armen Geschöpfe tun konnte. Und genau dieser Gedanke quälte mich unendlich.
»Beruhige dich!«, forderte Sesshoumaru.
Seine Stirn lehnte er gegen meine und sein Geruch gab mir eine gewisse Sicherheit. Der gewohnte Duft ließ mich meine Bilder ordnen und das Schreckliche beiseiteschieben. Ich brauchte ihn.
Das hier war der beste Beweis. Ohne meinen Mann wäre ich nicht mehr überlebensfähig!
Nachdem ich nochmals tief ein und aus geatmet hatte, führten wir unseren Weg fort.

Es schneite ununterbrochen und der Wind pfiff uns heftig um die Ohren. Meine Kleidung war bereits durchnässt und die Haare zerzaust.
Von diesem Baum aus verlief ein schmaler Trampelpfad tiefer in den Berg hinein. Abseits von diesem Weg würde man hüfthoch im Schnee stecken bleiben. Eine dicke Eisschicht zog sich über den Weg und ich schlidderte förmlich voran.
Links und rechts vom Pfad türmten sich Wände in die Höhe, bis sie weiter oben die Bergspitze bildeten. Eiszapfen und Kristalle konnte man überall finden, egal wo man hinsah. Ein Schauspiel der Natur, wie mächtig das Element doch war und vor allem wie schön!
Am Ende des Kurses kamen wir endlich an. Jedenfalls vermutete ich das.
Dort stand eine alte Holzhütte, die mit dem Felsen verbunden wurde. Wahrscheinlich befand sich dort auch eine kleine Höhle, was dann ebenfalls als Unterschlupf genutzt werden konnte.
Entschlossen liefen wir weiter, bis die Distanz überwunden war.
Ich zögerte auch nicht und klopfte gegen die Eisschicht auf der Tür. Nervös und mit einem starken Herzklopfen wartete ich ab.

Zweifelhafte EntscheidungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt