Die Ruhe vor dem Sturm

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Sicht von Kagome:

»Verdammt ist das k-kalt!«, fluchte Rin.
Das Zähne klappern der jungen Frau neben mir war so laut, als würde ein kräftiges Gewitter in den Wäldern wüten.
»Rin! Das gehört sich nicht für eine Hime!«, maßregelte Sesshoumaru seine Ziehtochter.
Ich konnte mir ein Kichern gerade so verkneifen. Nebenbei schnappte ich mir eine weitere Decke aus der Satteltasche von Ah Uhn und legte sie der Schwarzhaarigen um die schmalen Schultern.
»Ich weiß Liebes, halte noch etwas durch«, mischte ich mich ein. Das Meckern der jungen Frau konnte ich absolut verstehen.
Rin nickte mir zu, rutschte etwas näher zum Lagerfeuer und krallte sich mit ihren zarten Fingern in den Stoff.
Ich setzte mich nah an sie heran, damit meine Körperwärme ebenfalls als Quelle dienen konnte und rieb ihre Oberarme. Wir Dämonen spürten diese Kälte nicht so extrem. Erst bei tiefen Minusgraden würden wir frieren.
»Wie froh ich doch jetzt w-wäre, wenn ich s-so sein könnte w-wie du, Kagome«, stotterte die Schwarzhaarige.
»Glaube mir, das willst du nicht. Ich meine, es ist ein Vorteil, dass die Temperaturen uns erst ab einer bestimmten Grenze gefährlich werden. Aber vertraue mir, es gibt auch genug Nachteile! Du solltest froh sein ein Mensch zu sein.«
»Nachteile? Welche?«, fragte sie neugierig.
»Das musst du gar nicht erst wissen!«, antwortete ich. Das war die Wahrheit. Rin musste nichts davon wissen, dass wir leicht zu einem Monster werden können. Und der Gedanke, dass es in meiner Geburtszeit – im modernen Tokyo – gar keine Dämonen mehr geben würde, stimmte mich ebenfalls traurig. Auch wieder eine Tatsache, die sie definitiv niemals erfahren wird.
»Ich bin kein Kind mehr, Kagome«
Ich stupste mit dem Finger auf ihre schmale Nase.
»Das stimmt. Aber es gibt manchmal Dinge im Leben, die man nicht erfahren muss. Und die hässlichen Seiten des Dämonen-Lebens sind Sachen, die dich nicht beschäftigen sollten.«
Rin blies ihre Wangen auf.
»Ich stelle es mir so gut vor! Man kann länger leben, hört besser und kann in der Nacht auch sehen. Man ist ewig schön«, zählte die junge Frau auf.
»Ja, die Lebensspanne ist erhöht, aber dafür sieht man auch mehr Leid auf der Welt. Die Ohren funktionieren sehr gut, aber will man wirklich immer alles mitbekommen? Das mit der Nachtsicht ist wirklich ein Vorteil, aber auch ohne kann man gut leben. Glaube mir Rin, alles hat seine Vor- und Nachteile. Ich kann es beurteilen, weil ich beide Seiten kenne. Lange lebte ich als Mensch, aber eine gewisse Zeit als Dämonin habe ich ebenfalls auch verbracht. Es ist nicht immer alles nur gut oder schlecht. Als Mensch lebst du nicht so lange, dafür genießt du aber jeden Moment. Das du nicht alles hörst, lässt dich nachts besser schlafen und so weiter.«
Die Schwarzhaarige schien kurz zu überlegen, ehe sie mich wieder ansah.
»Würdest du lieber wieder ein Mensch sein?«
Dass die Frage kam, schockierte mich nicht. Ich kannte Rin und hatte es schon geahnt.
»Nein. Das will ich damit nicht sagen. Ich bin der Meinung, wir sollten zufrieden sein mit dem was wir haben oder was wir sind. Das ich nun solch einen Wandel durchleben durfte, ist ein Geschenk, aber nicht die tägliche Realität.«
Sie verstand und sah nun in die auflodernden Flammen.
»Weißt du was ich mir wünsche?«
»Was denn?«
»Das einfach alle glücklich sind! Ich möchte eine große Familie, ein Leben voller Liebe und Freunden.«
Nun lächelte ich sie an, legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie zu mir.
»Das wird auch so kommen, da bin ich mir sicher!«
Gemeinsam beobachteten wir weiter das Lagerfeuer, bis ihr Zittern nachließ. Ich konnte spüren, wie ihr Körper immer schwerer wurde. Sie schlief nun tief und fest.
Vorsichtig löste ich mich von ihr und stand auf. Einen Arm legte ich unter ihre Knie, mit der anderen Hand stützte ich ihren Kopf.
So trug ich Rin zu unserem Reisegefährten Ah Uhn und legte sie an seinen Bauch. Damit würde sie die Kälte vom Boden nicht mehr spüren und könnte in Ruhe schlafen.
Liebevoll strich ich ihre Strähnen aus dem Gesicht und küsste ihre Stirn.
»Schlaf gut meine Schöne!«, flüsterte ich leise.
Für einen kurzen Moment beobachtete ich die Beiden noch einmal, sah ebenfalls noch zu Jaken, der auf dem Bauch lag und laut vor sich hin schnarchte. Daraufhin sprang ich auf den dicken Ast, auf dem mein Mann die ganze Zeit saß.
»Na, hast du mich vermisst?«, fragte ich ihn.
»Hn.«
Ich kicherte, setzte mich vor ihm hin und ließ die Beine herunter baumeln. Sesshoumaru lehnte mit dem Rücken am Stamm, ein Bein angezogen und das andere streckte er durch.
»Sie schlafen jetzt alle.« Eine durchaus sinnlose Tatsache die ich ihm erzählte, denn er wusste es bereits.
»Soso. Es gibt also für alles Vor- und Nachteile?«
Ich sah dem Daiyoukai ins Gesicht und lächelte sanft.
»Natürlich. Das ist auf jeden Fall meine Meinung.« Sesshoumaru nickte zustimmend.
»Und das was du erhalten hast, siehst du als Geschenk an?«, bohrte er weiter.
Ich kratzte mich am Hinterkopf. Ein Zeichen meiner Unsicherheit.
»Ist das nicht klar?«
»Ist es nicht!«, antwortete er prompt.
Bildete ich mir das nur ein, oder klang er etwas bockig?
»Selbstverständlich ist das ein Geschenk für mich! Alles was in der Vergangenheit passiert ist, macht mich zu dem, was ich heute bin. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich jetzt im Nachhinein nur froh sein, dass alles so geschehen ist!«
»Warum?«
Nun berührte ich zaghaft seine Hand die auf seinem Knie ruhte.
»Ohne Inuyashas Verrat und die Geschehnisse Rund um Naraku und dem Juwel der vier Seelen wäre ich gar nicht in dieser Welt. Außerdem haben mich diese Ereignisse gestärkt«, erklärte ich, »und...«
»Und?« Seinen typischen Blick mit einer hochgezogenen Augenbraue setzte er auf. Ich liebte diese Gestik!
»Und das alles hat mich zu dir geführt!«
Dieser Satz schien ihn berührt zu haben. Er entzog mir seine Hand, streckte seine Arme nach mir aus und ich rutschte zwischen seine Beine. Entspannt lehnte ich mich an seine Brust. Ich konnte hören, wie er seine Nase in meinem Haar vergrub und die Luft tief einsog.
»Bist du glücklich?«
Die Frage überforderte mich leicht. Kurz löste ich mich von ihm, aber nur um im nächsten Moment in seine Augen schauen zu können.
»Aber natürlich«, antwortete ich. Das war die absolute Wahrheit.
Sesshoumaru lächelte leicht, zog mich dann wieder zu sich und schlang seine kräftigen Arme um meinen Oberkörper.
»Ai shiteru!«
Sein Flüstern in meinem Ohr bescherte mir eine Gänsehaut. Die Wirkung dieser Worte ließ meine Schmetterlinge im Bauch Loopings schlagen!
Solch ein Moment war kostbarer, als jedes Gut dieser Welt!
Sofort drehte ich meinen Kopf zu ihm um und als Antwort drückte ich meine Lippen auf seine. Danach sah ich ihm tief in die Augen, ehe ich erwiderte: »Ich liebe dich auch!«
Es folgten noch ein paar unschuldige und fast schon hauchzarte Küsse, bis wir uns ebenfalls schlafen legten. Selbstverständlich war es eher ein Ruhen, denn unsere beiden Youki-Energien befanden sich in Alarmbereitschaft.

Zweifelhafte EntscheidungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt