Kapitel 1 und 2 - Entwurf

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Kapitel 1

Weißer Glanz hüllte alles ein. Glitzernde Stille überall. Oben und unter ihren Füßen. Rings um, an jedem Ast, Busch, der gesamte Wald. Die harten Linien der Felder waren verwischt, die Berge passten plötzlich zu den Tälern, wirkten nicht mehr hart, unbezwingbar und kahl. Die Welt hatte sich vereinigt zu einer Tanzfläche für die kleinen Füße der Tochter, die sich fiepend vom Arm ihrer Mutter loslöste, um sich endlich dem Tollen in der perfekt ebenmäßigen weißen Puderschicht auf dem Erdboden hinzugeben. Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen der jungen Mutter, als sie sich erinnerte, dass sie vor nicht allzu langer Zeit selbst noch das Verlangen verspürt hatte, einfach mit Händen und Füßen im Schnee zu wühlen. Als wären darunter Spielsachen und glänzende Gegenstände vergraben und man musste sie nur suchen. Es hatte etwas geheimnisvolles, wenn man nicht mehr jeden Stein und Weg ersehen konnte. Ach, der Winter. Die langen welligen Haare des kleinen Mädchens hingen zwischen einer übergroßen weißen Bommelhaube und einem dreimal herumgewickelten violetten Schal hervor. Mit der ebenso dicken Winterjacke und der Skihose schaute die fünfjährige aus wie ein buntes Schneehäschen, das wild herumhüpfte. In den blonden Kinderhaaren hatten sich schon die ersten Schneeklumpen gefangen. Sie stieß ein lautes Kichern aus, als sie nach den dicht fallenden Flocken griff. Wenn es so weiterschneite, würde heute Abend ein halber Meter gefallen sein. Seit einer Woche war das Dorf in tiefem Winter versunken. Die Menschen heizten fleißig die Öfen, aus praktisch jedem Rauchfang wölbten sich dicke Schwaden in Richtung des weißen Wolkenhimmels. Astrid, pass auf, da vorne ist der Abhang! Komm zu mir, mein Schatz. Komm her. Rief die Mutter ihre Tochter herbei. Zärtlichkeit und Sorge schwang in den Worten mit. Astrid sah auf von dem schon wieder zerfallenden Schneeball in ihren behandschuhten Händen. Ein Ausdruck von Verwirrung. Will noch nicht gehen, sagte sie. Wir gehen nicht heim. Nur bis zu der Waldgrenze. Da ist auch viel Schnee und keine Gefahr, herunterzufallen. Die schlanke Frau nahm die Kleine and die Hand und so schritten sie los. Es ging einen Hang hinauf, in Richtung eines Waldsaumes, nur ein kleiner Flecken mit so wenigen Bäumen, dass man auf die andere Seite hindurchsehen konnte. Die Sonne glänzte durch einen Wolkenspalt herunter wie ein metallener Scheinwerfer. Der Schnee blitze in allen Farben auf. Dann kam ein Wind, ein Luftstoß, der ganz nach Bergluft roch, nach Felsen und gefrohrenem Moos. Es war ein so durchdringender Duft nach Freiheit, der die junge Frau unvorbereitet traf. Der Wind hatte die langen braunen Haare auf die Seite geworfen und blies nun auf ihren warmen Hals. Ein Zittern durchlief sie und genau an der freien Stelle unterm linken Ohr wuchs ein kleiner Fleck stahlsilberner Schuppen. Gelbgoldene Augen schlugen auf und an ihrer plötzlich gestochen scharfen Sicht bemerkte die Frau ihren Fehler. Schnell verbarg sie ihren Hals mit den Haaren und duckte sich nach unten. Doch Astrid war vorausgeeilt und spielte am Rand der Baumgruppe vergnügt in den Wogen. Sie versuchte wohl gerade, einen Tunnel durch den tiefen Schnee zu graben. Ihr Haar war nun nicht mehr blond, sondern weiß. Ihre braunen Augen blinkten zu ihrer Mutter herüber. Mama schau! Ein tiefes Seufzen entwich aus ihrer Kehle. Nach kurzem Tasten wusste die Frau, es war schon wieder verschwunden. Astrid, was baust du denn da? Ein unterirdisches Haus für Winterfeen? Da fehlt aber noch die Sitzstange für ihre Reittiere, die Eisvögel! Magst du mit mir da zwischen den Bäumen nach einem schönen Stock dafür suchen?

Als Mama gesagt hatte, sie würden rausgehen in den Schnee, da war Astrid wie ein Sturm durchs Haus gelaufen, so sehr gefreut hatte sie sich. Mama hatte nämlich noch den Haushalt erledigen müssen, hatte ein köstliches Mittagessen auf den Tisch gesetzt (es hatte Schinkenfleckerl gegeben) und war dann noch zu müde gewesen. Sie hatten eine Stunde auf der Couch gelegen, in ihrem kleinen Haus am Hügel, von wo man auf das ganze verschneite Dorf schauen konnte! Sie waren am weitesten oben von allen. Manchmal fühlte sich Astrid wie die Prinzessin und ihre Eltern waren die Könige der Welt. Von einer winterlichen und magischen Welt. Denn in den Wäldern schliefen die Winterfeen unter den Wurzeln der Bäume und kamen nur heraus, wenn es geschneit hatte. Sie mussten sich dann nämlich ein Winterquartier in den Schneewehen bauen, und meistens ritten sie auf Eisvögeln, Spatzen und Tauben umher, weshalb sie dort ihre Höhlen in den Schnee bauten, wo sich die treuen Reittiere auf Äste oder große Steine setzen konnten. Manche mutigen Feen hatten Falken als Reittiere. Es gab da den Gerfalken, das war eine Art, die nur in den Gebirgen der Nordlande wohnte, wo Astrid mit ihren Eltern aufgewachsen war. In den Nordlanden hatten die meisten Tiere ein weißes Fell und die meisten Vögel waren perfekt auf die kalten Nächte vorbereitet mit dichtem Gefieder und schneller Flugakrobatik. Der Gerfalke, so hatte Papa gesagt, wurde nur von edlen Feengeschlechtern geritten, von der Königsfamilie und ihren obersten Kundschaftern und Feldherren. Unten im Dorf floss ein Bach, an dem immer Wasseramseln turnten! Das war ein Spaß, wenn sie einkaufen waren oder sonst jemanden besuchten, am Bach vorbeizukommen und ihnen zuzusehen. Astrid war überzeugt, dass es auch Winterfeen gab, die in den Wellen daheim waren, in den Tümpeln und Seen, den Bächen und Flüssen. Sie ritten Fische und Wasseramseln, auf deren Rücken sie im Wasser auf und abtauchen konnten. Astrid hatte Mama einmal nach den Wasserfeen gefragt. Sie hatte ihr nämlich alles von den kleinen fliegenden Menschen erzählt. Sie hatten Flügel, die aussahen wie eine von Eisblumen bedeckte Fensterscheibe und es gab sie im Wasser, im Wald und sogar welche, die auf den Flammenzungen der Lagerfeuer tanzten. Das waren dann die seltensten Feen, denn Lagerfeuer gab es nicht überall. Die kleinen Menschen konnten nicht alle fliegen. Es gab auch Erdfeen. Diese hatten braunes Gewand an und grüne Haare und waren viel dicker als andere Feen. Sie mussten ja auch Höhlen in die Erde graben. Immer wieder hatte Astrid bei Spaziergängen in den Wald solche Löcher gefunden. Sie fand aber, dass ja auch ein Fuchs oder Hase diese Löcher gegraben haben könnte. Da war sie sich noch unsicher.

Astral der Sternengleiter - Shortstories ✨Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt