Die Krankheit

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Der erste Winter in der Einöde bringt außer Kälte auch eine ungeahnte Bedrohung mit sich. Eiren weiß nicht weiter.

Heulend strich der Wintersturm um Eirens und Astrals Wohnberg herum. Die zackige Felswand machte das Pfeifen noch lauter und teilte es in hohe und tiefe Töne. Wie als Vorwarnung, denn wenn man zum Höhleneingang hinausblickte, sah man keine zwei Meter weit, bevor alles im weißen Wirbel der Schneeflocken und Eisnebel unterging. Eiren hatte sich dicht um Astral gewunden, um sie warm zu halten. In den letzten Tagen war sie immer erfrorener geworden. Mit der Schwanzspitze ums Maul und geschlossenen Augen hatte sie sich seit ihrem letzten Mahl vor drei Tagen nicht mehr aus dem Nest bewegt. Ein beklemmendes Gefühl wuchs mit jeder Stunde in Eirens Herz, er machte sich Sorgen um seine Gefährtin. Drachen, die krank wurden, waren meist nicht mehr allzu leicht vor dem Tode zu bewahren. Beschwerden kamen höchstens als Begleiterscheinung einer Verletzung vor, doch aus dem Nichts krank zu werden, war untypisch. Besonders Astral, die in ganzjährig harten Bedingungen in den nördlichen Ausläufern des Orugien-Gebirges groß geworden war. Sie musste besonders leicht mit Kälte umgehen können und ihr inneres Feuer vor kalten Temperaturen isolieren. Man musste aber kein Heiler sein, um genau zu erkennen, dass es nun immer schwächer brannte und ihre Energieströme versiegten. Die normal kalte Haut hatte Temperatur entwickelt und sie litt unter dauerndem Zittern. Auch ging ihr Atem flach. Seit gestern fiel ihr das Sprechen schwer und sie konnte sich nicht mehr aufrichten. Eiren, der normal schon wieder Hunger hatte, war dieser vergangen, Astrals Appetit war gänzlich verschwunden. Jetzt wütete seit dreißig Stunden schon dieser Sturm, und somit hatte der Drakon die Seite seiner Gefährtin nicht mehr verlassen.

Es war Anfang Herbst gewesen, als sich Astral und Eiren kennengelernt hatten. Jetzt war es tiefster Winter in Orugia. Außer den südlichsten Feuergebieten standen überall Eis und Schnee an der Tagesordnung. Glücklicherweise war es den beiden Bewohnern des Exils gelungen, einen kleinen Vorrat an haltbaren Wurzeln und Trockenfleisch anzulegen, bevor die Kälte hereinbrach. Hinter dem Orugiengebirge war es immer herbstlich, die Winter daher umso extremer. Das hatte Eiren schon einige Male miterleben müssen. Der Hunger war stärker geworden. Der rote Wasserdrache erhob sich zögernd von dem Lager und tappte in den hintersten Teil der Höhle, wo lange Stalagmiten von der Decke hangen. Er nahm sich ein Stück kaltes Fleisch zwischen die Zähne, ein Bein einer Bergziege, und trug es zu Astral. Liebste, bitte, iss doch ein wenig. Du wirst noch völlig abmagern! Sieh her, ich kaue es auch für dich vor, du musst es nur runterschlucken. Eiren begann, das zähe Fleisch zwischen seinen Kiefern zu zermahlen. Astral stöhnte nur und drehte den Kopf außer Reichweite. Es reichte nun. Nach einiger Anstrengung hatte der Drakon die Kranke zwangsgefüttert. Sie wand sich noch enger um sich selbst, schien unter Magenkrämpfen zu leiden. Sie war sehr krank. Todunglücklich legte Eiren seinen Schwanz um ihren Bauch und versuchte extra viel Wärme abzugeben.

Finsternis. Überall, in Astrals Gedanken, in ihrem Herzen, um sie herum. Es raubte ihr alle Sinne und den Verstand. Kein Funken Licht drang hindurch, sie litt endlose Qualen, schleichende, unvorhersehbar zuschnappende, wie kleine Schlangen, die im Gebüsch lauern. Es hatte begonnen, als es kälter wurde. Das Tageslicht war hier noch weniger als in ihrer Heimat. Die Sonne zeigte sich nur alle zwei Wochen etwa für wenige Stunden, ansonsten pfiff der Wind und graue Wolken verhangen den Himmel. Oft regnete es. In den Bergen war sie es gewöhnt gewesen, sich in Unwettern auf Patrouille zu begeben. Doch hier war sie so einsam, kein Wesen außer Eiren war ihr je in Sicht gekommen. Fast schon hatte sie gehofft, es würden die Verfolger auftauchen, um sie zu suchen, doch es schien, als hätten sie die Verbannte ihrem sicheren Tod in der Einöde überlassen. Hätte sie Eiren nicht getroffen, wäre sie es vielleicht schon. Die Einöde war nämlich noch aus einem weiteren Grund unbesiedelt. Sie grenzte an das Land der Drachenfresser an. Das waren spinnenartige Wesen mit riesigen Totenköpfen und scharfen Beißwerkzeugen, die darauf spezialisiert waren, Drachen aufzulauern und sie aufzufressen. Sie packten einen mit ihren langen Beinen, stachen mit einem Giftstachel gezielt in den weichen Bauch und rissen, wenn der Drache aufgehört hatte, sich zu wehren, seinen Kopf ab, um ihn gründlich auszuweiden und den Korpus liegen zu lassen. Einer dieser Scheusale hatte Jagd auf Astral gemacht, sie hatte sich zu nah an ihrem Gebiet herumgetrieben. Eiren hatte das Vieh kommen gehört hatte und einen Warnruf ausgestoßen, sodass beide noch fliehen konnten. Die schnellsten Verfolger waren diese Biester nicht aber Meister der Tarnung und somit die einzigen Todfeinde der Drakone.

Astral der Sternengleiter - Shortstories ✨Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt