|VIII Flusenpfote|

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„Komm raus, Nachtjunges! Ich hab dich entdeckt!" rief Windjunges aufgeregt und Flusenpfotes Maul verzog sich zu einem sanften Lächeln. Die Jungen spielten „Jäger und Beute", ein typisches Kinderstubenspiel.

Jetzt gerade saß Schneejunges, Weißglanz' Sohn, hinter dem frisch vernarbten Körper des jungen Schülers und musste aufpassen, dass er nicht entdeckt wurde. Er hatte sich ausgesucht, ein Eichhörnchen zu sein, eine schwer fangbare Beute. Deshalb sah er sich gezwungen, sich versteckt zu halten und bei Bemerkung schnell zu fliehen.

Der Ältere schnurrte, als er Nachtjunges, einen winzigen, schwarzen Kater, sah, der sich in den Wurzeln an der Decke versteckt hatte. Windjunges sprang auf und ab und versuchte vergeblich, die „Amsel" zu erreichen.

Mit wachsamen Augen suchte Flusenpfote immer wieder den Eingang des Baus ab, achtete darauf, dass niemand hereinkam. Es war Vollmond und nur die Jungen, Flusenpfote, Tupfengold und zwei Krieger waren im Lager geblieben. Seine Mentorin lag auf der Seite und atmete tief und ruhig. Ihr dicker Bauch hob und senkte sich mit jedem Atemzug.

Seit Funkensturms Angriff waren eineinhalb Monde vergangen und man sah der Königin an, dass sie bald werfen würde. Eigentlich hätte der junge Kater heute bereits wieder mit auf die Große Versammlung gedurft, allerdings hatte Abendrot sein Veto eingelegt und ihm eine weitere Nacht Ruhe in der Kinderstube aufgedrängt. Zornig biss er die Zähne aufeinander und grub die Krallen in den Boden.

Ein begeisterter Aufschrei riss ihn aus seinen Gedanken. „Hab ich dich! Ha! Wer ist hier jetzt die lahme Schnecke?" Windjunges hatte es geschafft, Nachtjunges aus der Luft zu holen und jagte ihn jetzt durch die Kinderstube. Schneejunges kicherte und der Schüler spürte, wie kleine, spitze Krallen sich in seine Seite und seinen Rücken bohrten.

Er zuckte zusammen, als die winzigen Pfoten eine seiner frischeren Narben berührten. Seine Erinnerung daran war noch frisch.

„Komm, Winzling. Gehen wir eine Runde spazieren." Funkensturms Augen wiesen nicht die geringste Gefühlsregung auf und Flusenpfote schluckte. Der Krieger drückte ihm harsch seine Tatze in die Seite, damit er sich bewegte. Krallen bohrten sich hinein. Natürlich hatte der Ältere sie ausgefahren. Er wimmerte leise, als eine alte Wunde wieder aufriss.

Er hatte ihn nicht in Ruhe gelassen, hatte ihn immer wieder auf „Spaziergänge" mitgenommen, ihn in Dornbüsche stolpern lassen oder sich einfach daran geweidet, den jungen Kater Schmerzen erleiden zu lassen. Nicht selten war Grünklee mitgekommen und hatte selbst Pfote angelegt in Flusenpfotes Bestrafungen.

Die Kinderstube war sein sicherer Hafen geworden. Anfangs waren die Königinnen noch unfreundlich oder mitleidig ihm gegenüber gewesen, doch mit der Zeit waren sie aufgeweicht und behandelten ihn nun normal. Er verstand allerdings immer noch nicht, warum sie Mitleid mit ihm gehabt hatten.

Er hatte Fehler gemacht, nicht?

Der Weißgraue war erleichtert, dass das Junge nun scheinbar auf seinem Kopf angekommen war und er schnurrte: „Das Spiel ist vorbei. Kommt her, dann erzähle ich euch eine Geschichte." Sofort hielten die Kätzchen inne und froren in ihren Bewegungen ein.

Schließlich war es Donnerjunges, der leise, fast schüchtern, miaute: „Erzählst du uns ... warum du in der Kinderstube lebst? Wir wollen das wissen. Also, äh, ich möchte das wissen."

Stocksteif war der junge Schüler in seinem Nest aus Federn und Moos geworden, nur seine Ohrenspitzen zuckten nervös. Dann besann er sich und bevor er sich stoppen konnte, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus:

„Also, ihr wisst ja, ich bin noch nicht lange Schüler gewesen, als ich verletzt wurde. Es gibt eine sehr böse Katze, ich werde keine Namen nennen, nur damit ihr es wisst, in deren Gegenwart ich immer wieder Fehler gemacht habe. Daraufhin hat er mich zum Schlangenbach verschleppt und ziemlich übel zugerichtet... Oh nein..."

Flusenpfote hatte ein Auge entdeckt, das durch die Wurzeln blickte, eine dunkelblaue Iris, die ihm so bekannt war. Nebelschweif, Grünklees Vater und Funkensturms gelegentlicher Komplize, hatte ihn belauscht und würde sicher alles brühwarm an seinen Peiniger weitergeben.

Verschreckt und angsterfüllt vor einer weiteren Attacke sank der junge Schüler in sich zusammen. Das winzige Fünkchen Hoffnung, endlich gerächt zu werden, fiel in sich zusammen und wurde von eiskalter Resignation ersetzt. Er würde wohl nie Gerechtigkeit erhalten.

„Nun bin ich erneut daran Schuld, wenn er mich bestraft", murmelte der kleine Kater so leise, dass es niemand hören konnte.

Hoffnungslosigkeit grub ihre Krallen tief in das Herz des Schülers und zerrte an ihm, unbändig und erzürnt. Er vergrub sein Gesicht tief im Moos und starrte in das Dunkel hinein, spürte die Tränen, die sich unerbittlich einen Weg aus seinen Augen bahnten und seine Schnauze hinunterliefen.

War er nicht genug für den Clan? Musste er sich mehr anstrengen, um dazuzugehören? Was hatte er ihnen getan, dass sie so feindlich ihm gegenüber waren? Warum musste er so leiden? Weshalb wurde er nicht so akzeptiert, wie er war? Hasste ihn der SternenClan?

Er wusste keine Antwort. Er wusste nur, er war beim HimmelClan nicht erwünscht.

„Du bist sehr wohl erwünscht, Kleiner. Jeder hier, der mir nicht zustimmt, ist im Unrecht."

Flusenpfote hob schwach seinen Kopf. Seine Mentorin hatte nicht laut gesprochen, dennoch hatte jedes ihrer sanften Worte seine Seele wie Balsam berührt. Sie stand dicht vor seinem Nest, einen seltsamen Ausdruck auf ihrem Gesicht und glitzernde Tränen in den Augen.

„Komm, Flusenpfote. Und ihr auch, ihr kleinen Racker." Folgsam wollte der kleine Schüler schon den Bau verlassen, bereit für eine Bestrafung. Verwirrt sah er sich um, als er Tupfengold erneut in ihrem Nest erblickte, ihre Brust hob und senkte sich ruhig mit jedem Atemzug. Die Jungen hatten sich an sie gekuschelt und die Königin schleckte Schneejunges vorsichtig über den weißen Pelz.

„Worauf wartest du, Liebling? Komm schon her. Das brauchst du scheinbar."

Schüchtern und mit hängendem Schwanz schlich er zu ihr ans Nest. Sie wies mit ihrem Schweif zu ihrer Seite. Sich innerlich sträubend ließ er sich neben seiner Mentorin nieder und seine Ohren zuckten unruhig.

Er fuhr zusammen, als er etwas auf seinem Rücken spürte, verrenkte sich den Hals, um im Halbdunkel der Kinderstube die Bedrohung erfassen zu können und entspannte sich augenblicklich, da Flussjunges auf seinen Schultern lag und müde das kleine Maul zu einem Gähnen aufgerissen hatte.

Die hochträchtige Kätzin hob das Kätzchen vorsichtig hinunter und legte es an seinen Bauch. Er blickte sie verwirrt an. Sie würde ihm doch wohl kaum ein Junges anvertrauen? Doch, scheinbar schon, denn sie nickte freundlich. Er rollte sich in einem Ball um das winzige Wesen zusammen, um es vor jeglichem Schaden zu beschützen und schloss die Augen, erst jetzt bemerkend, wie müde er war.

Sanfte Zungenstriche fuhren zärtlich über seine zahlreichen Narben und Wunden und er driftete in den Schlaf, sein weißgraues Fell von hellem Mondlicht beschienen.

—~—

So, ein weiterer Einblick in Flusenpfotes Gedanken. Was denkt ihr davon?

Irgendwie habe ich das Gefühl, meine Katzen schlafen am Ende der Kapitel immer ein... Kommt euch das auch so vor oder bin das wirklich nur ich?

Ich muss mal gucken, wann das nächste Kapitel kommt, da ich im Moment einfach keine Motivation oder Zeit habe, um weiterzuschreiben. Wenn das nächste rauskommt, kündige ich das an, aber ich versuche auch, mir nicht übermäßig viel Zeit damit zu lassen, damit ihr nicht so lange warten müsst. ^~^

Ich wünsche euch ein schönes neues und hoffentlich besseres Jahr 2023.

Möge der SternenClan auf euch Achtgeben!

Eure Wolke

Warrior Cats - Wüstentraums MissionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt