1. Ende

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Ginny

Morgens, wenn ich aufwache und verschlafen ins Bad tapse, vergesse ich es oft. Ich schaue in den Spiegel und mein gewohnt sommersprossiges Gesicht schaut zurück, umrahmt von flammenrotem Haar. ‚Flammenrot ist nur ein dramatischeres Wort für „orange".', denke ich. Doch dann ich wundere mich über meine Augenringe, die Trauer in meinen geröteten Augen und mein verquollenes Gesicht. Und auf einmal schlägt sie mir ins Gesicht: Die Wahrheit, dass Harry und ich kein Paar mehr sind. Es wird mir bewusst, dass ich im Haus meiner Eltern erwacht bin und hier vor dem Badezimmerspiegel meiner Kindheit stehe. Es wird mir bewusst, dass er nicht mehr neben mir aufwacht, mich nicht mehr im Arm hält, mich nicht mehr küsst. Und der rationale Teil meines Gehirns weiß, dass es das Beste ist. Warum sollten wir noch ein Paar sein, wenn wir uns nicht mehr lieben? Aber es nicht nur die Trennung von meinem Freund. Es ist die Trennung von dem Mann, in den ich seit meinem elften Lebensjahr verliebt gewesen war. Ich dachte, ich würde alt mit ihm werden. Es ist die Trennung von meiner Jugendliebe. Meiner Jugend. Von Hogwarts. Sei nicht so dramatisch, Ginny, sage ich mir heute und werfe mir einen strengen Blick im Spiegel zu. Hogwarts war so viel mehr als Harry. Dann versuche ich all das, was nicht Harry war, aufzuzählen. Tatsächlich fällt es mir nicht allzu schwer. Denn ja, er war ein großer Teil meiner Jugend, aber ich war beliebt und hatte auch andere Menschen, die mir wichtig waren. Ich habe auch mit anderen geknutscht. Ich habe keinen Unterricht mit ihm gehabt. Im Jahr des Krieges war er nicht einmal in der Schule gewesen. Nachdem ich all das aufgelistet habe, geht es mir besser, das Drama hat sich in eine Ecke verkrochen. Scheiße aussehen tue ich trotzdem noch.

Mum und Dad sitzen am Küchentisch, als ich hinunter komme, ich scheine heute einmal früh aufgewacht zu sein. Die letzte Zeit war ich immer erst mittags wach, da ich oft erst spät nachts einschlafe, nachdem meine Gedankenkreise und meine Heulerei mich vollkommen ausgelaugt haben.
„Darling, ich nehme das als Zeichen der Besserung, dass ich dich heute einmal vor der Arbeit zu Gesicht bekomme.", meint Mum, die einen Job als Buchhalterin in der Winkelgasse angenommen hat, seitdem wir Kinder aus dem Haus sind. Wenn jemand weiß, wie Geld gut beisammen gehalten wird, dann Mum. Ich lächele sie an.
„Na, wenn das nicht das zweite Zeichen der Besserung ist.", strahlt Dad und ich muss unwillkürlich grinsen. Sie haben Recht.
„Irgendwann muss ich wohl ins Reich der Lebenden zurückkehren.", sage ich und schaufele mir eine Tonne Rührei auf meinen Frühstücksteller. Das dritte Zeichen der Besserung: Ich habe endlich wieder Hunger.

Nach dem Frühstück überlege ich, was ich mit dem Rest des Tages anfange. Ich beschließe, dass es Zeit ist, mal wieder Quidditch zu trainieren. Schließlich war ich vor der Trennung auf dem besten Weg in die erste Liga gewesen. Die Trennung hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen, und ohne lange zu überlegen, hatte ich meine Position als Jägerin in einem Zweitligaverein aufgegeben. Ich hatte keine Kraft mehr für den Alltag, und erst recht nicht dafür, mich stundenlang am Tag auf einem Besen zu halten. Wenn ich jetzt jedoch nicht noch mehr Zeit als Arbeitslose verbringen möchte, sollte ich wieder anfangen zu trainieren. Und einen Nebenjob anfangen, bevor ich mich wieder für einen Quidditchverein bewerbe, um Mum und Dad nicht weiterhin auf der Tasche zu liegen. Also wandere ich mit meinem alten Jugendbesen unterm Arm zu dem Feld um die Ecke, schwinge mich auf das Fluggefährt und endlich weht mir der Wind wieder durch die Haare. Merlin, wie ich dieses Gefühl liebe. Ich mache diverse Übungen und merke, wie eingerostet ich durch diese lange Zeit der Trauer bin. Ärgere mich über mich selbst. Und ein bisschen über Harry, aber der kann ja nun eigentlich nichts dafür, dass ich Häufchen Elend gespielt habe. Als ich Hunger bekomme, lande ich und laufe zurück. Nur an dem Stand der Sonne kann ich erkennen, dass ich mehrere Stunden lang draußen war und ich gebe zu – ich fühle mich blendend. So blendend, dass ich vor Freude gleich noch ein paar Gnome an den Füßen packe und gen Norden schicke.

Zu Hause bin ich alleine; Mum und Dad kommen erst spät abends wieder. Voller Euphorie von dem gelungenen Tag, beginne ich zu kochen, was meine Laune jedoch relativ schnell wieder dämpft. Ich bin eine beschissene Köchin. Man sollte meinen, ich hätte Talent fürs Kochen von Mum geerbt, aber tatsächlich schaffe ich es sogar, Wasser anbrennen zu lassen. Um dadurch nicht wieder in ein Loch zu fallen (denn ich spüre, dass der Abgrund nicht allzu weit entfernt ist, nachdem ich den zweiten Topf zum Schmelzen gebracht habe), lasse ich das Kochen lieber sein. Stattdessen dusche ich mich, schreibe einen Zettel an Mum und Dad, dass sie nicht auf mich mit dem Essen zu warten brauchen und lade mich selbst bei Ron zum Abendbrot ein. Ohne ihm vorher Bescheid zu geben. Er freut sich bestimmt, mich nach tausend Jahren mal wieder ohne verrotzte Nase und verquollene Augen zu sehen.

„Ginny!", meint er, tatsächlich erfreut, als ich unangekündigt aus seinem Kamin ins Wohnzimmer trete. Ron steht aus dem Sessel auf und kommt mir entgegen. „Du siehst guuuut aus.", kommentiert er mein Äußeres, nimmt meine Hände und betrachtet mich zufrieden, bevor er mich in eine typisch bärige Ron-Umarmung zieht. „Danke!", strahle ich und erzähle von meinem erfolgreichen Tag.
„Das müssen wir feiern. Pass auf, ich bestell uns was Leckeres und dann gehen wir aus." Ich glaube, dass er nicht ganz selbstlos handelt, denn seine Arbeit als Auror ist anstrengend und Hermine, die während des Schuljahres als Muggelkundelehrerin auf Hogwarts arbeitet, kann ihm nur an wenigen Tagen im Monat Gesellschaft leisten. Das heißt, auch er kann einen Abend außerhalb der eigenen vier Wände und seines Büros gut gebrauchen. Wir essen leckeres vietnamesisches Essen und machen uns dann auf den Weg in die „Drei Besen" in Hogsmeade.
„Aber erzähl' Hermine nich', dass ich ohne sie hier war, sie denkt sonst, ich flirte mit Madam Rosmerta.", meint er mit einem unangenehm berührtem Gesichtsausdruck, als wir nach dem Apparieren am Rand des Dorfes erscheinen.
„Ach, und bildet sie sich das ein, oder tust du es wirklich?" Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Alsooo, wir sind doch heute nicht unterwegs, damit ICH flirten kann, ich kann ja immer mit Hermine flirten, wenn ich will – du sollst heute flirten!", weicht er eher holperig aus. Ich bekomme einen Lachanfall, wenn ich mir vorstelle, wie Ron angeblich mit Hermine flirtet. Das würde ich nur zu gerne mal sehen, die Dynamik der beiden hat sich nämlich seit unserer Jugend nicht geändert und das ist ja wohl eher eine Art Hassliebe, als ein heißer Flirt.
„Ja, klar, Deal. Dann musst du aber auch Wingman spielen." Ich hake mich bei ihm unter und freue mich auf den Abend, der vor uns liegt. „Und danach kannst du ja einen Abstecher nach Hogwarts machen und ein bisschen mit deiner Freundin flirten.", füge ich noch hinzu, wobei der zweite Teil des Satzes in einem weiteren Lachanfall meinerseits untergeht. Er wirft mir einen bösen Blick zu. Eine leichte Röte breitet sich auf seinen Wangen aus, als wir von außen in den Pub schauen und er Madam Rosmerta hinter dem Tresen entdeckt.
„Hey! Denk dran, ICH flirte heute, du nicht.", necke ich ihn. Er nickt beschämt. Nicht, dass ich es ihm übelnehmen würde, wenn er flirten würde. Ich finde, dass man durchaus auch mal mit jemand anderem schäkern darf, wenn man vergeben ist.
Wir stoßen die Tür auf und treten in den warmen Pub, der heute nicht allzu voll ist. Doch kaum treten wir ein, ruft jemand unsere Namen.
„Ginny, Ron! Hier drüben!", ertönt Nevilles Stimme und an einem Tisch in der Ecke winkt er uns entgegen, und mit ihm Seamus, Dean und Luna.
„Na, siehst du.", murmelt Ron, „Eine richtig gute Auswahl zum Flirten." Ich lache und ziehe ihn zu den anderen, denn tatsächlich freue ich mich sehr darüber, sie alle hier zu treffen. Und wer weiß, was die Nacht noch bringt, vielleicht kann aus einer Freundschaft ja noch ein Flirt werden?

FlammenrotWhere stories live. Discover now