Das Sechste oder wie ich Detektiv wurde

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Von Elizabeth an Holly

Liebe Holly,
es tut mir leid, dass wir zum Tee nicht kommen konnten. Ich hoffe, es geht Winston und dir gut.
Langsam findet sich alles wieder zum Alten. Mycroft hat immer noch, wie sollte es auch anders sein, seinen Sturkopf, aber das war mir auch vor unserer Hochzeit bewusst.
Du wirst es kaum glauben, aber es scheint, als würde langsam Licht ins Dunkle kommen. Die Polizei hat wohl eine Spur, die zu Enola führt. Ich hoffe sehr, dass wir eure Schwester in Sicherheit wissen können. Auch wenn es dein Bruder niemals zu geben würde, macht es ihn doch zu schaffen.
Jetzt muss ich dir aber unbedingt noch etwas Unglaubliches erzählen. Du wirst lachen! Aufgrund der Strapazen, die wir in der letzten Zeit hatten, wollte ich eine zerbrochene Vase ersetzen gehen. Die Vase aus dem Eingangsbereich unseres Hauses, die dir immer so zugesagt hat. Also ging ich Einkaufen, Blumen und Kuchen besorgen und selbstverständlich die Vase. Allerdings hatte ich nicht darauf geachtet genug Geld mitzunehmen und so stand ich also in dem Laden und konnte mir die Vase nicht leisten. Nun, es war mir unverschämt peinlich in diesem Moment. Doch wie durch ein Wunder kam mir ein charmanter Mann, er musste ungefähr unser Alter sein, zur Hilfe und erworben die schöne Vase für mich. Ich wollte nicht unhöflich sein, also nahm ich sein Geschenk an. Du kannst dir allerdings sicherlich vorstellen, dass ich ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte, da ich durchaus genug Geld zur Verfügung hätte. Also habe ich ihn zu einem Tee eingeladen, wir haben uns unverschämt gut verstanden und jetzt schreiben wir uns seit zwei Tag unentwegt Briefe. Keine Liebesbriefe, mit Nichten. Es sind ganz unverbindliche Dinge, über die wir schreiben. Am Wochenende treffe ich ihn erneut, zu einem Spaziergang im Park.
Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.
Alles Liebe, deine Elizabeth

Telegramm an Elizabeth
Ich erwarte dich zum Tee.
~ Sherlock Holmes ~

Ich trat aus der Kutsche auf den Bürgersteig vor der 221 Bakerstreet. Die Nachmittagssonne schien durch die Wolken hindurch, die vereinzelt über den blauen Himmel schwebten. Ich bedankte mich aus Höflichkeit bei meinem Kutscher, welcher mir versicherte auf mich zu warten. Ich öffnete die Eingangstür und stieg die knarzenden Holzstufen zur Wohnung B hinauf. Mit einem festen Klopfen an der massiven Holztür kündigte ich mich an. Aus dem Raum hinter dieser Tür konnte man lange Schritte vernehmen. Mein Schwager öffnete die Tür schwungvoll und sah kurz überrascht aus, mich zu sehen. Doch gleich darauf lächelte er. „Ich bin erfreut, dich wohl aufzusehen, Liz." „Die Freude ist ganz meinerseits. Du wolltest mich sprechen?", erkundigte ich mich, während er mich in den Raum eintreten ließ. „Ja ich mache mir Sorgen.", gab er zu. Sein Wohnbereich war keinesfalls aufgeräumt. Auf dem Boden lagen Briefe, Dokumente und auf den Tischen beliebiger Krimskrams. Diese Bezeichnung traf womöglich nicht zu, aber für Außenstehende wie mich, machte es den Anschein, dass keines der Gegenstände, die im Raum herumlagen, eine Bedeutung hatten. „Ich habe ein Telegramm bekommen.", erklärte sich Sherlock, als er mir eine Teetasse entgegen reichte, die ich dankend annahm. „Ein Telegramm, von einer anonymen Quelle." Ich stellte die Tasse auf einem Buch auf dem Tisch ab und nahm das Telegramm im meine Hände.

Telegramm an den Detektiv Sherlock Holmes
Cavanaugh Industries ist nicht unschuldig.

Ich wurde stutzig, was sollte das bedeuten? Erlaubte sich einer einen Scherz mit dem Namen meiner Familie? „Sherlock, ich verstehe nicht.", stammelte ich. „Ich auch nicht. Aber ich denke, es hat etwas mit dem Unglück in den Produktionshallen zu tun." „Das Feuer?" Mir lief es eiskalt den Rücken runter, als ich an die Tragödie dachte, die sich kurz nach meiner Hochzeit in dem Unternehmen meines Vaters zugetragen hatte. Hunderte Arbeiter kamen bei dem Feuer ums Leben, kaum einer der Nachtschicht verließ die Halle lebend und die, die es taten, starben nur wenige Tage später an ihren Verbrennungen im Krankenhaus. „Es war ein Feuer, ausgelöst durch eine fehlerhafte Nutzung im Maschinenwerk, welche eine Kettenreaktion auslöste und die Halle binnen weniger Augenblicke in Flammen aufgehen ließ." „Ich weiß, Liz. Ich habe den Artikel damals auch gelesen.", rechtfertigte sich Sherlock. Ich hatte nie in Erwägung gezogen, dass es sich auch um eine gezielte Sabotage gehandelt haben könnte. Doch um ehrlich zu sein, wollte ich dies auch gar nicht in Betracht ziehen. „Du glaubst doch nicht allem Ernstes, dass meine Familie dieses Unglück selber ausgelöst hat!" Mein Schwager blieb ruhig und drehte sich zum Fenster um. „Ich bin mir durchaus bewusst, dass ein in Brand stecken, der eigenen Produktionshallen weit hergeholt ist. Aber ich kenne Mr. Cavanaugh nicht und deswegen bist du hier." Mit diesem Satz wandte er sich wieder mir zu. Ich war recht perplex. Mein Vater sollte seine eigene Firma angezündet haben? Mit welcher Begründung? Mein Herz schlug immer schneller in meiner Brust, als ich darüber nachdachte. Er war nie ein besonders ehrbarer Mann gewesen. Er war mürrisch, gebieterisch und hatte nur seine eigenen Ziele im Sinn. Er scherte sich kaum um die Arbeiter in seinen Hallen. Die Stundenlöhne waren knapp bemessen und die Arbeitsbedingungen schlecht. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich es ihm zutrauen würden, was mich noch mehr verunsicherte. „Ich...", zitterte meine Stimme, als ich mich auf dem Chaiselongue niederließ. Etwas benommen faste ich mir an den Kopf, der sich mit Gedanken nur so überschlug. „Ja.", brachte ich heraus. „Sicherlich kann er es getan haben, Sherlock. Aber warum sollte er solche Kosten riskieren?" Der junge Mann grummelte nachdenklich und legte seine Hand auf meine Schulter. „Genau das heißt es herauszufinden."

Auch wenn Sherlock nicht begeistert war von meinem Vorhaben, ihn bei den Ermittlungen zu unterstützen. Willigte er schlussendlich ein. Ich konnte zweifelsohne eine gute Partie in diesem Fall sein, schließlich hatte ich alle wichtigen Informationen über das Unternehmen und konnte weiter Dokumente besorgen, ohne meine Beweggründe offen darzulegen. Das Büro meines Vaters war stets verschlossen. Den Schlüssel zu bekommen war nicht einfach und Sherlock hielt es als eine eher schlechte Idee, als Erstes dort einzubrechen. Er bevorzugte den gediegenen Weg, auch wenn dieser weitaus länger dauerte. So befanden wir uns gemeinsam in der Kutsche, die zu den neuen Produktionshallen meines Vaters fuhr. „Es ziemt sich ganz und gar nicht, für eine Frau, auf dem Firmengrundstück ihres Vaters herumzuschnüffeln.", seufzte Sherlock, der sich inzwischen ärgerte, nicht durchsetzungsfähiger gewesen zu sein. „Nun, es ziemt sich allerdings genauso wenig, für einen Mann, auf dem Grundstück eines anderen herumzuschnüffeln.", erwiderte ich. „Mich kennt dort nur niemand." „Tu nicht so, als würdest du nicht jeden zweiten Tag in der Zeitung stehen." Sherlocks Gesicht wurde kurz etwas finster, als ich diesem Punkt erwähnte. „Ich habe niemanden um die Aufmerksamkeit meiner Person gebeten." „Genauso wenig, wie ich gebeten habe, Miss Cavanaugh zu sein.", lächelte ich zurück. „Wenn Mycroft davon erfährt, dass ich dich in einem Fall eingebunden habe." Das war eine berechtigte Sorge von Sherlock. „Er wird es nicht erfahren. Wer soll es ihm erzählen?"
Die Kutsche hielt vor den Produktionshallen von Cavanaugh Industries. Sie waren außerhalb Londons errichtet worden. Angeblich wegen der direkten Handelsrouten, von denen die Firma so kostengünstig profitierte. „Ich frage mich, ob es Änderungen in der Architektur gab oder ob sie exakt gleich gebaut wurden.", murmelte Sherlock. „Sie sind noch nicht fertiggestellt. Vielleicht finden wir den Architekten oder den Bauleiter." Ohne ein Wort zu sagen, ging der größere voraus. Die aufgewühlte Erde war unerträglich zum Laufen. Ohne Pause rutschte ich immer wieder mit meinen Füßen ab und war kurz davor umzuknicken. „Blöder Absatz." „Ich sagte dir ja, eine Baustelle ist nichts für eine Frau." „Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun! Das sind die Schuhe. Wir können gerne tauschen, dann kannst du mit Absatz durch die Erde stampfen.", keifte ich zurück, worauf mein Begleiter augenblicklich verstummte. Allerdings schien ich ein leichtes Schmunzeln über sein Gesicht huschen zu sehen.
Endlich auf festeren Boden angekommen, erblickte ich auch schon den Bauleiter. „Ich kenne den Mann. Das ist Mr. Smith, ein Vertrauter meines Vaters. Er ist der Bauleiter, Sherlock." „Dann solltest du lieber im Hintergrund bleiben, es wäre ungünstig, wenn er dich erkennt." Stumm nickend ließ ich Sherlock in Ruhe seine Fragen stellen, während ich in von Ferne die Halle begutachtete. Ich hatte keinerlei Ahnung über Bauweisen und so brachte mir meine Beobachtung keinen einzigen Hinweis, welchen ich Sherlock bringen könnte. Ich war in der Tat nutzlos auf der Baustelle, aber es war ein großartiges Gefühl sich durchgesetzt zu haben. Das Gespräch meines Begleiters dauerte unverschämt lange. Langsam wurde ich wahrlich ungeduldig, als ich Schritte hinter mir hörte, die auch mich zu kamen. „Lass und gehen, Liz. Bevor dich noch jemand erkennt. Ich habe alles, was ich brauche.", erklärte mir Sherlock, als ich mich zu ihm umdrehte. „Wirklich alles?", fragte ich nach. „Fürs Erste ja."

~ Nequesse

Elizabeth Cavanaugh - The Wife Of Mycroft HolmesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt