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Immernoch hielt er ihre Hand fest, während Nymeria überlegte, wie sie am besten anfangen sollte. Es gab so viele Sachen, die sie erzählen wollte, aber nie jemandem anvertrauen könnte.
„Meine Mutter, die Schwester unserer Tsahìk, war fasziniert vom Reisen, von den verschiedenen Gebieten, die sie entdecken konnte und den verschiedenen Tiere.", fing das Mädchen an und schluckte etwas: Alleine darüber nachzudenken füllte sie mit tiefer Trauer, was ihr Gegenüber direkt bemerkte. Leicht strich er mit seinem Daumen über ihren Handrücken, sein Blick weiterhin auf sie fokussiert.
„Ronal war die perfekte Tochter, angehende Tsahìk, der ganze Stolz der Familie. Meine Mutter hingegen war in den Augen ihrer Eltern eine Enttäuschung, die sich lieber mit der Welt befasste, als ihren Aufgaben nachzugehen..." Nymeria's Blick ging hinunter auf ihre Hand, als ein leises Seufzen ihre Lippen verließ.
„Also entschied sie sich dazu, abzuhauen, die Welt zu erkunden, ihrem Traum folgen. Natürlich nicht gerade zur Begeisterung ihrer Eltern, aber was wollten die schon tun? Ihr Folgen war ausgeschlossen, also ließen sie sie gehen." Für einen Moment stoppte Nymeria und sah zu Neteyam auf, der ihr aufmerksam zuhörte, was sie leicht zum Lächeln brachte auch wenn ihr eigentlich zum heulen zumute war.
„So kam es, dass meine Mutter dann den Anurai Clan fand und bei diesem um uturu bat. Sie wollte unbedingt die Art und Weise verstehen, wie sie lebten."
Nymeria fiel direkt auf, wie Neteyam etwas verwirrt drein schaute, als sie den Anurai Clan erwähnte. Sie verübelte es ihm keineswegs, denn nicht viele kannten diesen Clan und es gab auch einen guten Grund wieso.
„Der Anurai Clan lebte in einem Tal voller Knochen, die von gewaltigen Tieren stammen, sie verehrten das riesige Raubtier Palulukan, auf diesem ritten die besonders tapferen Krieger. Sie bauten hohe Totems aus Skeletten, stellten wunderschöne Artefakte her und galten als besonders begnadete Künstler. Da jedoch solche Kunstwerke auf der Erde heiß begehrt sind, wurden die Anurai von den Himmelsmenschen fast vollständig ausgelöscht, um ihre Kultgegenstände stehlen und verkaufen zu können.", erklärte das Mädchen nun und rutschte etwas hin und her.
„Eigentlich hielten sich alle mehr oder weniger von dem Clan fern, doch meine Mutter war mehr als nur fasziniert von ihm und außerdem fiel ihr jemand besonders ins Auge... Dort lernte sie meinen Vater kennen."
„Also bist du gar nicht..."
„Vollständig eine Metkayina? Nein, ich bin ein Mischling, etwas, das nicht oft vorkommt oder eher... Was nicht vorkommen sollte.", beendete das Mädchen seinen Gedankengang und seufzte leise. Ihren Blick nun auf Neteyams fixiert, als sie versuchte zu verstehen, was gerade in ihm vorging.
„Und was ist dann passiert?"
„Nun ja, sie verliebten sich und vereinten sich vor Eywa. Das war kurz vor dem Krieg mit den Himmelsmenschen, zu dem mein Vater auch aufgebrochen war, um die Omatikaya zu unterstützen, auch wenn sie nicht wirklich die beste Bindung zueinander hatten."
Neteyam sah das Mädchen mit einem Blick an, der schon aussagte, dass er erahnen konnte, was kommen würde.
„Er kam nicht mehr zurück und somit ließ er seine schwangere Frau zurück. Nach diesem Verlust entschied sich meine Mutter, nach Hause zurückzukehren, dorthin, wo sie Schutz finden konnte, doch auch in der Hoffnung, ihre Familie wiederzusehen und von dieser wieder aufgenommen zu werden. Die Reaktionen waren eine Mischung aus Erleichterung, dass sie noch lebte, als auch Enttäuschung über die Situation, in der meine Mutter steckte. Letztendlich nahmen sie sie jedoch zurück und unterstützten meine Mutter, wo es nur ging, bis es dann soweit war und ich geboren wurde. Du musst wissen, zu dem Zeitpunkt war Ao'nung schon ein Jahr alt und Ronal war hochschwanger mit Tsireya." Vorsichtig schob Nymeria seine Hand weg und rieb sich mit ihren Händen über ihr Gesicht.
„Man könnte meinen, dass jetzt alles gut war und man in Ruhe weiterleben konnte, während wir Kinder miteinander aufwuchsen, doch so war es leider nicht. Meine Mutter wurde schwer krank...komische schwarze Flecken zierten ihren ganzen Körper und keiner konnte sich erklären, was es war. Weder unsere Tsahìk, noch die aus anderen Clans, die wir zu Hilfe holten, konnten herausfinden, was es sein könnte... nicht einmal ich konnte ihr helfen! Das einzige, was wir tun konnten, war warten und beten, beten, dass es ihr vielleicht durch ein Wunder doch besser gehen würde, dass sie nicht zu viel litt. Alle Hoffnung, die wir hatten, wurde jedoch zerschmettert, als ich fünf Jahre alt war." Ihre Stimme brach und Nymeria versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
Es fühlte sich an, als würde eine Last von ihren Schultern fallen, weil sie endlich darüber sprechen konnte.
„Was hättest du schon machen können? Du warst erst fünf, du kannst dir deswegen doch keine Vorwürfe machen!", sagte Neteyam eindringlich, doch das Mädchen schüttelte leicht ihren Kopf.
„Das stimmt nicht ganz, Neteyam...", fing Nymeria an und atmete kurz durch, bevor sie fortfuhr: „Eywa segnete mich mit einem Geschenk, oder Fluch, man könnte es so oder so sehen... Seit ich klein bin, habe ich die Kraft, jede Art von Verletzungen und sogar einige Krankheiten heilen zu können, doch ich konnte diese Kraft noch nicht wirklich kontrollieren. Ich hätte sie retten können, wäre ich einfach nur weiter gewesen..."
Nun liefen doch Tränen über die Wange des Mädchens, obwohl sie versuchte, sie zurückzuhalten.
„Nymeria, du warst ein Kind, hör auf dir Vorwürfe zu machen.", sprach er sanft und strich mit seiner Hand leicht über ihre Wange, um die Tränen wegzuwischen. Für einen Moment herrschte Stille, nur das Schluchzen des Mädchens war zu hören. Es versetzte dem Jungen einen Stich ins Herz, Nymeria so zu sehen... Wie lange sie das wohl schon für sich hatte behalten müssen?
Ohne weiteres zog er das Mädchen in eine Umarmung und hielt sie nah an sich.
„Alles ist gut.", sprach er ruhig.
Nymeria, die zunächst etwas überfordert war, versteifte sich für einige Sekunden, entspannte sich dann aber relativ schnell wieder und legte ihre Arme locker um seine Taille, während ihr Kopf auf seiner Brust ruhte und sie seinem Herzschlag lauschte.

Eine Weile saßen die beiden einfach nur so da und langsam beruhigte sich Nymeria auch wieder, während Neteyam ihr leicht über den Rücken strich. Keiner sagte etwas, nur das Rauschen des Meeres, und die Wellen, die an den Steinen brachen, waren zu hören. Doch diese Ruhe wurde durch ein lautes Rufen unterbrochen:
„Nymeria!", hallte Tonowaris Stimmen durch die Dunkelheit, was das Mädchen aufschrecken ließ.
„Oh nein...", murmelte sie und stieß sich leicht von Neteyam weg. „Du musst gehen...bitte." Fast flehend sah das Mädchen ihn an, sie wollte nicht, dass er wegen ihr in irgendwelche Schwierigkeiten geriet.
„Aber...-"
„- Nichts aber...Wenn sie mitbekommen, dass ich dich trotz des Verbotes sehe, wird es Ärger geben.", unterbrach sie ihn und stand vorsichtig auf.
„Komm morgen Abend wieder hier her...ich muss dir was zeigen", fügte das Mädchen hinzu und lächelte ihn leicht an.
„Also gut, auch wenn ich dich ungern allein lassen möchte, nach dem, was du mir erzählt hast.", grummelte er etwas und erhob sich nun auch. Nymeria schüttelte leicht ihren Kopf und beugte sich etwas nach vorn, als sie einen leichten Kuss auf seine Wange platzierte.
Überrascht sah Neteyam dem Mädchen nach, welches sich direkt danach umgedreht hatte und in der Dunkelheit verschwunden war.

Beim mauri angekommen sah Nymeria ihren Onkel vor dem Eingang stehen, sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes
„Wo warst du? Es ist spät.", sprach er nun und musterte das Mädchen vor ihm.
„Ich habe mir die Sterne angesehen, war wohl zu sehr abgelenkt.", antwortete Nymeria und hoffte, dass er mit dieser Antwort zufrieden war. Tonowari schnaubte nur etwas und betrat, gefolgt von Nymeria, das mauri.

Diesmal entschuldigte sich Nymeria vom Essen mit der Familie und entschied sich dazu, direkt schlafen zu gehen. Der Tag war ermüdend gewesen und da morgen wieder einiges anstand, wollte sie ausgeruht sein. Als Nymeria ihre Augen schloss, fiel sie recht schnell in einen Traumlosen Schlaf; der erste seit langem.

My little Healer || Neteyam Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt