Es war Ende November. Der frische Neuschnee lag friedlich auf den Dächern der Häuser und an einzelnen Bäumen hingen noch einige braune Blätter, die nach und nach vom Wind weggetragen wurden.
Mit einer Tasse Tee und frisch gebackenen Plätzchen sass ich auf der Couch und schaute mir auf Netflix einen Weihnachtsfilm an. Ich liebte Weihnachten und so versuchte ich, schon so früh wie möglich in Stimmung zu kommen.
Plötzlich schrillte das Telefon und ich sprang auf. Mit meinen Kuschelsocken rutschte ich beinahe auf dem glatten Boden aus. Ich riss den Hörer von der Telefonstation.
„Hier ist Rebecca Brown." Kurze Stille.
„Hey Reb. Hier ist Daniel. Wie geht's dir?" Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich hörte nicht mehr, was er noch sagte, ich hatte nur noch diesen einen Satz mit der glockenhellen Stimme und dem leicht französischen Akzent im Kopf; Hier ist Daniel. Ich spürte pure Überforderung. Was sollte das? Wieso jetzt? Konnte das wirklich sein? Nach all den Jahren ohne ein einziges Lebenszeichen?
„Rebecca? Bist du noch dran?" Danis Stimme holte mich aus meinen Gedanken.
„Hey Dani... ich... was willst du denn? Ich meine... wie... ach mir geht's gut. Weshalb rufst du an?" Die Spannung in mir stieg. Als ich Danis Stimme wieder hörte, erfüllte sie mein ganzes Herz.
„Reb... Monique und ich... nun ja... wir kommen an Weihnachten nach Deutschland!" Hiess das etwa, er wollte mich besuchen? Mit seiner Freundin? Mein Herz machte Luftsprünge und ich hoffte, dass Dani nicht merkte, dass ich mich gerade freute wie ein kleines Kind kurz vor seinem Geburtstag.
Das Feuer prasselte im Kamin, als ich das Glas mit den Geschenkschleifen hervorholte. Ich wurde mit jeder Minute nervöser. In zwei Stunden würden sie da sein.
Es wurde Zeit, dass ich mit dem Kochen begann. Als der Braten endlich im Ofen vor sich hin schmorte, ging ich mich noch schnell ins Zimmer umziehen. Mein grünes Kleid lag schon parat auf dem Bett. Ich wollte gerade wieder aus dem Zimmer verschwinden, als mir der Karton ins Auge fiel.
Dort befand sich der Weihnachtsschmuck, unter anderem auch ein kleiner Mistelzweig. Ein verschmitztes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und ich schnappte mir den staubigen Mistelzweig aus der Kiste.
Als alles parat war, setzte ich mich erschöpft auf die Couch. Das schummrige Licht und das leise Piepsen des Radios machten mich schläfrig und nach kurzer Zeit nickte ich ein.
Dani kam auf mich zu.
„Reb, es tut mir leid aber... ich... ich meine, ich liebe dich... aber meine Freunde... oh shit, da kommen sie." Ich schaute über meine Schulter und sah Henry und die anderen, wie sie geschockt zwischen mir und Dani herschauten.
Tränen schossen mir in die Augen. Warum konnte ich nicht einfach lieben, wen ich wollte? Warum kamen Danis Freunde, und wollten, dass ich von ihnen fernblieb? Ich würde es wohl nie verstehen.
Meinen Blick zurück nach vorn gewandt, sah ich Danis schwarze Jacke um die Ecke wehen. Mit dem nächsten Windstoss war er verschwunden. Ich würde ihn wohl nie wiedersehen.
Ein Klingeln riss mich aus dem Schlaf. Ich schaute nach draussen. Alles war verschneit und strahlte blendende Schönheit aus. Ich hörte das Klingeln ein zweites Mal und merkte, dass es von der Tür kam.
Scheisse!
Schnell sprang ich von der Couch, zupfte mein Kleid zurecht und riss die Tür auf. Dort stand ein junger Mann. Ein hübsches Gesicht, lange Beine und braune Haare. Mein Blick glitt zu seinen Augen. Unverkennbar die Danis.
„Äh... Kommt doch rein!" Unschlüssig stand ich Dani gegenüber. Noch komplett verwirrt von meinem Traum lächelte ich ihn zaghaft an, doch er nahm mich einfach in den Arm.
„Hey Rebecca. Schön dich zu sehen... ich meine... wie lange ist es her? Zehn Jahre?" Ich nickte strahlend.
„Jahh... ungefähr..." Bevor sich Dani löste, flüsterte er mir etwas ins Ohr.
„Du bist richtig hübsch geworden." Ich lächelte verlegen.
„Das ist Monique, meine Freundin." Ich lächelte auch sie an und führte meine Gäste zum Tisch. Ich servierte den Braten und zündete Kerzen an, um noch mehr in Stimmung zu kommen.
Wir assen, tranken und genossen das Zusammensein. Ich fand heraus, dass sich Danis Kindheitswunsch, einmal Kindergärtner zu werden, verwirklicht hatte. Er war einer der ersten Männer, die diesen Job übernahmen. Monique war nett und sehr gesprächsfreudig und ich verstand mich sofort sehr gut mit ihr.
Am späteren Abend ging ich etwas angetrunken zur Toilette, um mich frisch zu machen. Plötzlich hörte ich Schritte im Gang und da stand er. Dani. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt lächelte er mich an.
„Wa..." Weiter kam ich nicht, denn Dani war schon bei mir und drückte mir seine Hand auf meinen Mund.
„Schhhh... Monique darf uns nicht hören!" Verwirrt liess ich geschehen, dass Dani mich weiterzog. Plötzlich standen wir im Wohnzimmer. Danis Blick war durchdringend und seine Augen strahlten mich an. Sie funkelten wie der frische Neuschnee draussen. Ich hob meine Augen und sah, dass wir genau unter dem Mistelzweig standen. Mein Herz raste. Wieso hatte ich es noch nicht bemerkt? Dani wollte mich. Er war noch immer in mich verliebt.
„Ein Mistelzweig...", flüsterte er mir ins Ohr.
„Du weisst, was das heisst..." Ich legte meine Hand an seine Wange.
„Oh ja..." Lange schauten wir uns nur an.
„Rebecca... ich liebe dich. All die Jahre, die zwischen uns waren, sind jetzt wie verschwunden. Es fühlt sich richtig an. Und jetzt kümmert es mich einen Dreck, was die anderen denken. Du gehörst mir." Ich lächelte in mich hinein, konnte nicht glauben, was gerade passierte. Ich verband einfach unsere Lippen und küsste den Mann, den ich seit Jahren liebte.